Motocross Motocross: Abschied mit Grand-Prix-Sieg
TEUTSCHENTHAL/MZ. - Als Ken Roczen am Ende der letzten Runde im Teutschenthaler Talkessel den Berg Richtung Zielsprung heraufgeknattert kommt, nimmt er plötzlich das Gas weg. Er fährt geradezu im Schneckentempo über die Ziellinie. Kein euphorischer Zielsprung wie nach dem ersten Lauf, als er vor Freude seine Maschine querstellt und die linke Faust in den Himmel reckt. Diesmal, im 18. WM-Saisonlauf, ist er durch einen Sturz in Runde eins nur Dritter hinter dem Franzosen Gautier Paulin (Yamaha) und dem Briten Tommy Searle (Kawasaki). Aber nach dem souveränen Sieg im ersten Lauf - mit elf Sekunden Vorsprung vor seinem niederländischen Teamkollegen Jeff Herlings von KTM-Red-Bull-Factory - reicht das, um den Großen Preis von Deutschland in Teutschenthal in der MX 2 (250 ccm) zu gewinnen - und damit den 36 000 Zuschauern sein Abschiedsgeschenk zu bereiten.
Ob sich im Gesicht unter dem silber-blau-roten Helm Wehmut versteckt, ist nicht zu sehen. Doch der 17-jährige Mattstedter, der seit Jahren für den MSC Teutschenthal fährt, wird kommendes Jahr nicht wieder kommen. "Ja, ich gehe nach der WM in die USA, um Supercross und die Nationals zu fahren", sagt Roczen. "Unsere Vorbereitungen für meinen Sprung über den Großen Teich sind in vollem Gange."
Man kann die Supercross-Serie in den USA als endgültigen Wechsel in den Profi-Sport interpretieren. Anders als Motocross, das wie in Teutschenthal meist auf Naturstrecken gefahren wird, sind Supercross-Ereignisse perfekt vermarktete Veranstaltungen. Sie finden auf künstlichen Strecken, sehr oft in Stadien statt. Da winkt das große Geld. Etwa 40 000 Euro für drei Starts werden gezahlt.
Technisch ist Supercross immens anspruchsvoll. Die hohe Schule sozusagen. Seine Visitenkarte in den USA hatte der Jungprofi zwar bereits im letzten Winter - als 16-Jähriger in Phoenix abgegeben. Trotzdem ist es nicht unerheblich, dass sich Roczen für den Wechsel mit einem WM-Titel empfiehlt. Gestern hat er beim Heimspiel einen großen Schritt gemacht. "Ich habe heute den Vorsprung in der WM ausgebaut. Wenn ich Weltmeister werde, wäre das der Hammer."
An Selbstbewusstsein mangelt es Ken Roczen ohnehin nicht. Aus dem kindlichen Talent von vor fünf Jahren ist ein junger Mann geworden, der jetzt bereits Star-Status in der Szene genießt. In Teutschenthal begleiten ihn internationale Kamerateams auf Schritt und Tritt. Interviews hier, Fotos da, Autogrammwünsche überall, wo er auftritt. "Die Termine am Teutschenthal-Wochenende waren kaum alle unter einen Hut zu kriegen", meinte Roczen.
In den USA könnte das noch heftiger werden. Trotzdem ist Pit Beirer, Roczens Sportdirektor bei KTM, überzeugt: "Kenny kann schon mit dem ganzen Hype umgehen." Beirer kennt die Szene seit Jahrzehnten. Seit seinem schweren Unfall als Aktiver am 8. Juni 2003 sitzt er im Rollstuhl. "Ken hat das absolute Sieger-Gen. Er hat alles, um ein großer Champion zu werden. Und er ist der einzige Europäer, der das Zeug hat, um im Supercross wirklich zu bestehen."
Doch der Ex-Profi hat auch erkannt: "Die Fehler, die er durch mangelnde Konzentration macht, muss er schnell abstellen." So wie gestern im zweiten Rennen. Da stürzte Roczen schon in der ersten Runde bei einem Gedränge. "Da war ich schludrig", räumte er selbstkritisch ein. Doch seine große Aufholjagd von Platz zwölf bis auf Rang drei dokumentierte eben auch den Ausnahme-Status, den Roczen hat.
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