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Liebesbrief im Nachlass gefunden

Von HEIDI POHLE 26.10.2009, 15:49

HALLE/MZ. - Da verlor der Chemie-Professor 1937 seine Stelle am Institut für Physikalische Chemie, weil er sich nicht von seiner jüdischen Frau trennen wollte. Die Familie, zu der zwei Töchter gehörten, ging nach Berlin. Dort starb Carl Tubandt 1942. Vor der Deportation nach Auschwitz nahm sich seine Frau, die ohne ihren Mann nun vogelfrei war, 1944 das Leben.

Ob Wera Tubandt den Zettel mit dem Vers ihrem Carl einst in die Tasche steckte, aufs Kopfkissen legte oder anderweitig zukommen ließ, ist nicht überliefert. Doch der unscheinbare Zettel, mittlerweile vergilbt und brüchig, war den beiden so wertvoll, dass sie ihn aufbewahrten. Nun ist dieser kleine Liebesbrief aus dem Nachlass der Eheleute eines der berührendsten Zeugnisse der überaus glücklichen Beziehung, die so tragisch endete.

Am Montag wurden Fotos, Briefe, Schriftstücke und eben jener Zettel an das Stadtmuseum übergeben. Damit erfährt die dortige Judaika-Sammlung eine wertvolle lokalgeschichtliche Ergänzung, wie Kulturdezernent Tobias Kogge sagte. Im August war bereits ein Stolperstein vor dem einstigen Wohnhaus der Tubandts in der Carl-von-Ossietzky-Straße 16 verlegt worden.

Die Dokumente erzählen die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, die die schönsten Jahre in Halle verlebte. Wera, 1881 in Odessa geboren, war die Tochter eines reichen jüdischen Kaufmanns. An der Uni Halle lernte sie Carl Tubandt kennen, den Sohn einer evangelischen Handwerkerfamilie aus Halle. Beide studierten Chemie. Während er 1904 in Halle promovierte, legte sie im gleichen Jahr ihre Promotion in Gießen ab - als erste Frau in Hessen. Wenig später heirateten sie und waren damit das erste Paar Deutschlands, bei dem beide Partner promoviert hatten. Noch vor der Hochzeit konvertierte Wera zum evangelischen Glauben. Wie wohl sich die junge Frau in Halle gefühlt hat, zeigt zum Beispiel ein Bild, das in der Ossietzky-Straße aufgenommen worden ist. Dort sitzt sie, ganz offensichtlich zufrieden mit ihrem Leben, in einem Lehnstuhl.

Die Dokumente befanden sich im Besitz von Brigitte Laube (84), der Adoptivtochter von Katharina, die eine der beiden Töchter der Tubandts war. Als Brigitte Laube ins Heim ging, wurde ihr Haushalt aufgelöst, erzählte der Berliner Lutz Wedemann, der mit den Nachfahren der Familie befreundet ist. Bei der Aufarbeitung half ihm Brigittes Schwester Marianne Laube. Sie war mit nach Halle gekommen.

"Mich berührt das Schicksal der Tubandts sehr", sagte Wedemann, der nicht nur zu jedem Schriftstück, zu jedem Foto etwas erzählen konnte, sondern auch angeregt hatte, eine Erinnerungstafel am einstigen Wohnhaus anzubringen, was am Montag ebenfalls geschah.

Für Ralf Jacob, den amtierenden Leiter der halleschen Museen, zeigt der Nachlass ein Stück aus dem Alltag einer Familie des damaligen Bildungsbürgertums. Wie er sagte, sollen die Dokumente ausgestellt und in der museumspädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verwendet werden.