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Lernen auf der Kultmaschine Lernen auf der DDR-Kultmaschine: Warum Fahrschulen auf Simson-Mopeds setzen

Von Oliver Müller-Lorey 15.08.2018, 07:51
Toni Kahnert (r), Fahrschüler aus Halle, unterhält sich mit Fahrlehrer Marco Rauchhaupt auf einer Simson S51.
Toni Kahnert (r), Fahrschüler aus Halle, unterhält sich mit Fahrlehrer Marco Rauchhaupt auf einer Simson S51. dpa-Zentralbild

Halle (Saale) - Endlich nicht mehr Bus fahren, unabhängig von Mama und Papa sein - mit einem Mopedführerschein erfüllen sich viele Jugendliche einen Traum und machen den ersten Schritt ins Erwachsenen-Leben. Wer nicht bis zur Führerscheinprüfung fürs Auto wartet, in der der "Lappen" fürs Moped gratis enthalten ist, macht vorher eine eigene Prüfung nur für den Roller.

In einer halleschen Fahrschule geht das besonders kultig: Marco Rauchhaupt, Inhaber der Fahrschule "Gangart" in der Nähe des Reilecks, bietet seinen Fahrschülern einen echten DDR-Oldtimer an: eine Simson  S 51 Enduro. Wie neu glänzt das grün lackierte Moped in der Sonne. Polierte Chromteile, saubere Felgen, ein Fahrzeug wie aus dem Museum.

Dank Sonderregelung im Einigungsvertrag dürfen Simsons 60 km/h fahren

"Ich habe sie jetzt schon zweieinhalb Jahre und bis jetzt ist zum Glück noch kein Fahrschüler damit gestürzt", sagt Rauchhaupt. Die Fahrschüler würden sehr sorgsam mit dem Liebhaberstück umgehen. Die meisten Teile sind Originale, aufgebaut hat das Moped eine auf Oldtimer spezialisierte Werkstatt in Trotha.

Der größte Vorteil der "Simme" liegt auf der Hand: Dank einer Sonderregelung im Einigungsvertrag dürfen DDR-Mopeds auch heute noch 60 Kilometer pro Stunde fahren. Heute hergestellte Roller sind bei gerade einmal Tempo 45 abgeriegelt. "Und mit 45 auf der Hochstraße, das geht nicht", sagt Rauchhaupt.

"Da schieben dich alle vor sich her." Natürlich braucht die S 51 auch mehr Pflege als ein Plastik-Roller. So muss der 39-Jährige das Benzin-Öl-Gemisch selbst mixen und auch kleinere Wartungsarbeiten ausführen. Doch das hat er aus seiner eigenen Moped-Zeit von früher noch drauf.

Die meisten Fahrschülerinnen entscheiden sich gegen DDR-Kultmaschine

Bei aller Nostalgie und Liebe zu Oldtimern, Rauchhaupt hat auch einen modernen Peugeot-Roller für seine Fahrschüler im Angebot. Der Grund: "Ich hatte mal eine 14-jährige Fahrschülerin, die die Kupplung an der Simme nicht gezogen bekommen hat", erinnert er sich. Die Technik von damals ist eben doch etwas robuster. So kommt es, dass die meisten Fahrschülerinnen sich den modernen Roller und die Jungs die S 51 aussuchen.

Dass er andere Führerscheinneulinge überholen und abhängen wird, liegt an einer Regelung im Einigungsvertrag von 1990: Damals wurde vereinbart, dass Kleinkrafträder aus der DDR, die nicht mehr als 50 Kubikzentimeter Hubraum haben und nicht schneller als 60 fahren können, den bundesdeutschen Kleinkrafträdern gleichgestellt werden, für die eine Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h gilt. Einzige Einschränkung ist, dass sie erstmals vor dem 28. Februar 1992 in den Verkehr gekommen sind.

Auch andere Fahrschulen haben das Potenzial der S 51 und ihrer Schwestern erkannt, so etwa in Quirla in Thüringen oder auch im brandenburgischen Perleberg. Allerdings machen sie zum Teil andere Erfahrungen als Rauchhaupt.

Modellprojekt für Jugendliche aus ländlichen Gegenden

So ist es bei Uli Pfaffe, der in Markneukirchen und Bad Elster Fahrschüler ausbildet, genau umgekehrt: „Die Jungs sind auch auf die Idee gekommen, den Roller zu nehmen, da man so Zeit für den Verkehr hat - wegen der Automatik.“ Dafür sitzt bei ihm eine Fahrschülerin auf der „Simme“ - „sie ist einfach zu kurz für den Roller.“

Momentan läuft in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern noch ein Modellversuch, bei dem das Mindestalter für die Klasse AM von 16 auf 15 Jahre abgesenkt wurde. Vor allem Jugendliche in ländlichen Gegenden sollen damit mobiler werden. So dürfen die 15-Jährigen Inhaber der Fahrerlaubnis AM in diesen Bundesländern Kleinkrafträder, Mopeds und vierrädrigen Leichtfahrzeuge fahren - und damit auch die „Simme“.

Die „Simme“ - Kult aus Suhl

Im Jahr 1856 gründeten die Brüder Löb und Moses Simson in Suhl ein Unternehmen, das zu Beginn Stahl und Gewehre sowie Gewehrläufe herstellte. Die ersten Zweiräder wurden - noch ohne Motor - 1896 gebaut.

Anfang des 20. Jahrhunderts stieg der Betrieb dann in die Autoproduktion ein. 1934 wurde die jüdische Familie enteignet und das Werk verstaatlicht. Zwei Jahre später wurde das erste Leichtmotorrad gefertigt, im Krieg rückte wieder die Produktion von Waffen in den Mittelpunkt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bei Simson zunächst Fahrräder, Jagdgewehre und Kinderwagen gebaut. Von 1950 an stiegen die Suhler in die Produktion motorisierter Zweiräder ein. Es entstanden legendäre Fahrzeuge wie die AWO 425, ab 1955 begann der Bau von Kleinkrafträdern; 1980 lief die erste S 51 vom Band. Insgesamt wurden von 1955 bis 1990 über fünf Millionen Kleinkrafträder in Suhl gebaut. (mz/dpa)

Marco Rauchhaupt, Fahrlehrer aus Halle, fährt auf einer Simson S51 durch die Händelstadt.
Marco Rauchhaupt, Fahrlehrer aus Halle, fährt auf einer Simson S51 durch die Händelstadt.
dpa-Zentralbild