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Landet Lesefutter im Altpapier?Landet Lesefutter im Altpapier?: Bücher-Telefonzelle wird täglich ausgeräumt

Von Claudia Crodel 15.06.2018, 12:09
In der umgebauten Telefonzelle am Markt gibt es wenige Bücher, auch wenn Hallenser, so wie diese Frau, für Nachschub sorgen. 
In der umgebauten Telefonzelle am Markt gibt es wenige Bücher, auch wenn Hallenser, so wie diese Frau, für Nachschub sorgen.  Silvio Kison

Halle (Saale) - Wolfgang Kupke vom Verein Freunde der Stadtbibliothek ist ein großer Freund von kostenlosen Bücherschränken, wie der Telefonzelle am Marktplatz. Fast täglich füllt er sie mit Büchern auf, um Lesehungrige mit neuer Lektüre zu versorgen.

Doch er ärgert sich auch jedes Mal, wenn er zu der roten ausrangierten Telefonzelle kommt: „Das Regal ist jeden Tag komplett ausgeräumt. Es deutet alles darauf hin, dass Altpapiersammler am Werk sind, denn sonst würde doch das eine oder andere Buch, das keinen Lesefreund gefunden hat, noch da sein“, sagt er.

Wie der Verein dagegen vorgehen kann, ist unklar. „Die Bücher sind ja zum Entnehmen gedacht, auch wenn nicht zu diesem Zweck“, so Kupke. Selbst habe er noch niemandem bei Ausräumen der Telefonzelle beobachtet.

In Bücher-Telefonzellen steckt viel Arbeit des Vereins

Nicht nachvollziehbar ist das Ganze auch deshalb, weil man schon sehr viele Bücher braucht, um beim Altpapierhändler ein lohnendes Geschäft machen zu können. Acht Cent lediglich bekommt man im Schnitt für das Kilo Altpapier. Kupke ist vor allem deshalb sauer, weil die Freunde der Stadtbibliothek in die Bücher-Telefonzellen viel ehrenamtliche Arbeit stecken.

Immer mittwochs nehmen sie in ihren Vereinsräumen in der Wilhelm-Külz-Straße 9 aussortierte Bücher an. Ein bis zweimal im Monat veranstalten sie dort auch Bücherbasare. Für die Bücher-Telefonzelle suchen sie aus ihren Beständen Bücher heraus, von denen sie denken, dass sie auf den Basaren des Vereins unverkäuflich bleiben. „Sie sind aber noch gut erhalten und möglicherweise gibt es ja doch noch Interessenten“, erläutert er.

Vor allem mit der Bücher-Telefonzelle in Neustadt hatte der Verein kein Glück. Dort war die Zelle nicht nur ebenfalls täglich komplett beräumt. Sie wurde zudem zweimal komplett zerstört. Deshalb hat sich der Verein aus Neustadt zurückgezogen. Derzeit betreibt er Bücher-Telefonzellen auf dem Markt und im Bergzoo.

Stammgäste nutzen das Bücher-Angebot gern

Dass Leute komplett alle Bücher entfernen, findet Karen Vollrath schade. Sie ist „Stammgast“ in der Telefonzelle am Marktplatz, denn dort muss sie täglich die Straßenbahn wechseln. Sie stöbere gern im Regal, nehme aber meist nur ein Buch heraus. Diesmal ist es eins des Satirikers Ephraim Kishon. „Ich denke, das wird meine Tochter gern lesen“, sagt sie. Ausgelesene Bücher bringt sie wieder zurück, sagt die Frau.

Nicht ganz so bescheiden ist Helga Richter. Sie hat gleich vier Bücher gefunden. „Alles leichte Kost. Das will ich im Garten lesen nach getaner Arbeit“, erklärt sie. Auch sie nutzt die Telefonzelle häufig, um sich mit neuer Lektüre zu versorgen. Ein weiterer Stammnutzer des kostenlosen Bücherangebots, der allerdings anonym bleiben will, hat noch andere Intensionen: „Ich suche gezielt nach hochwertiger Belletristik und geisteswissenschaftlichen Abhandlungen“, sagt er.

Vieles von dem, was er unter diesem Aspekt in der Telefonzelle stehen sieht, habe er längst im heimischen Bücherregal. Aber fast immer ist etwas nach seinem Geschmack dabei. Diesmal sind es insgesamt sechs Bücher. All die Nutzer sind sich einig: Ein solches kostenloses Literaturangebot ist hervorragend.

Verein will mit Bücherdieben ins Gespräch kommen

Aus diesem Grund wollen die Freunde der Stadtbibliothek die Telefonzellen am Markt und im Zoo (auch dort verschwinden oft im großen Stile die Bücher) erhalten. Zwar habe man keine wirkliche Lösung des Problems. Doch Kupke hofft jetzt auf eine erhöhte Aufmerksamkeit der Bevölkerung.

Außerdem möchte er gern mit den „Bücherdieben“ ins Gespräch kommen. „Wenn es arme Leute sind und es ihnen wirklich um Altpapier geht, dann können wir ihnen anderes geben“, meint Kupke. Auch wenn er mit dem Nachfüllen derzeit nicht hinterherkommt: „Die beiden Telefonzellen aufgeben, kommt erstmal nicht in Frage.“

Weitere Informationen über die Freunde der Stadtbibliothek Halle unter www.fdsh.de (mz)