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Kunstraub in Halle Kunstraub in Halle: Schrottdiebe stehlen das "Stasi-Denkmal"

Von Steffen Könau 14.11.2017, 07:00
Zwei Figuren des halleschen Bildhauers Gerhard Geyer standen bis vor kurzem am Gimritzer Damm.
Zwei Figuren des halleschen Bildhauers Gerhard Geyer standen bis vor kurzem am Gimritzer Damm. Steffen Könau

Halle (Saale) - Das Gebäude des ehemaligen Finanzamtes am Rande der Neustadt steht schon länger leer. Jetzt gähnt auch dort, wo seit Anfang den 1970er Jahren eine Figurengruppe aus Bronze gestanden hatte, nur noch eine leere Fläche. Die beiden überlebensgroßen Plastiken, die einen Bewaffneten und Mann mit geballten Fäusten darstellten, sind spurlos verschwunden.

Und das bereits vor Monaten, wie das Finanzministerium jetzt bestätigt, dem das Gelände gehört. „Die Figuren wurden während des Laternenfestes wahrscheinlich von Schrottsammlern gestohlen“, sagt Sprecherin Rotraud Schulze. Die ursprünglich aus drei Personen bestehende Gruppe war bereits in den 1990er Jahren dezimiert worden, als eine Figur nach einem Diebstahlsversuch eingelagert wurde.

Denkmal in Halle: Bewaffnete Männer mit Gewehr und Handgranaten

Die beiden verbliebenen Männer - einer bewaffnet mit Gewehr und Handgranaten, der andere in offener Jacke - hatten später immer wieder für Streit gesorgt. Zuletzt hatte der damalige Stadtrat Martin Bauersfeld (parteilos, Mitbürger-Fraktion) vor drei Jahren den Antrag gestellt, die Verwaltung zu beauftragen, die restlichen beiden Figuren der Skulpturengruppe, die er „Tschekist und IM“ nannte, zu entfernen und ebenfalls einzulagern.

Die Figurengruppe glorifiziere die Tätigkeit der DDR-Staatssicherheit, so der Stadtrat. Das dürfe „im öffentlichen Raum eines demokratischen Rechtsstaates nicht geduldet werden.“

Stadtverwaltung: Darstellung von „Tschekisten“ oder auch „Rotarmisten“

Allerdings handelt es sich bei dem vermeintlichen „Stasi-Denkmal“ in Wirklichkeit nicht um eine Darstellung von „Tschekisten“ oder auch „Rotarmisten“, wie die Stadtverwaltung damals meinte.

Die drei Figuren aus der Werkstatt des halleschen Bildhauers Gerhard Geyer (1907-1989) tragen den Titel „Mitteldeutsche Arbeiter im Kampf gegen General Maercker“ und erinnern an die Belagerung Halles durch das Freikorps „Landesjäger“ im März 1919 und die nachfolgenden Gefechte zwischen Korpsangehörigen und Mitgliedern der revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte, die 36 Menschenleben kosteten.

Stasi-Zentrale am Stadtrand von Halle-Neustadt

Als die Staatssicherheit sich Anfang der 1970er Jahre eine neue Bezirkszentrale an den Stadtrand von Halle-Neustadt bauen ließ, kam Gerhard Geyer zum Zuge. Der Absolvent der Burg Giebichenstein, Schüler von Gustav Weidanz und im III. Reich mit Plastiken wie „SA-Mann“ und „Frontsoldat“ erfolgreich, hatte 1968 in Weimar das weltweit erste Albert Schweitzer-Denkmal errichten dürfen.

In Halle zeugen der bronzene Matthias Grünewald am Mühlberg, der „Eisengießer“ am Lutherplatz und die in einem Gebüsch am Uni-Ring versteckte Bronzeplastik „Freies Afrika“ zu Ehren des ersten afrikanischen Studenten der Martin-Luther-Universität, Anton Wilhelm Amo, von Geyers kräftiger proletarischer Handschrift.

Büsten vom sowjetischen Geheimdienstgründer Feliks Dzierzynski

Das bekannteste Werk des Mannes, der mehrfach der Kunstpreis der DDR verliehen bekam, ist das Bronzedenkmal des kleinen Trompeters, das 1958 am Saaleufer errichtet, aber kurz nach dem Mauerfall ins Depot verbannt wurde.

Für das MfS hatte der gebürtige Hallenser zuvor bereits mehrfach Büsten etwa vom sowjetischen Geheimdienstgründer Feliks Dzierzynski geschaffen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit lieferte er Stasi-Chef Erich Mielke mit den drei kampfbereiten Arbeitern seine größte Skulptur.

Kulturdenkmal der DDR: Kunstwerk mit der Nummer 094 56601

Die Bronzeplastik wurde neben dem Eingang zur Stasi-Kantine auf einen eigens errichteten gemauerten Sockel gestellt, von außen abgeschirmt durch die Mauer mit Postentürmen, die das gesamte Gelände umgab. Über die Einweihung der Figurengruppe wurde seinerzeit nicht berichtet, im offiziellen Werkverzeichnis von Geyer findet sie sich ebenfalls nicht. In der Liste der Kulturdenkmale in Halle ist das Kunstwerk zwar mit der Nummer 094 56601, aber ohne Verweis auf den Künstler erfasst.

Um die beiden mehr als zwei Meter hohen Figuren zu entfernen, müssen die Diebe einen Kran und einem Tieflader benutzt haben. Der Aufwand lohnt sich: Die rund drei Tonnen Bronze dürften auf dem Schrottmarkt derzeit mindestens 20.000 Euro einbringen.

Für Geschichtsinteressierte und Kunstliebhaber bleibt ein Schade

Für Geschichtsinteressierte und Kunstliebhaber bleibt ein Schaden, der viel größer ist, wie Stadtarchivar Ralf Jacob findet. „Es handelt sich um ein einmaliges Kunstwerk, das mit Blick auf das hundertjährige Jubiläum der Märzkämpfe wichtig in zwei Jahren gewesen wäre.“

Inzwischen sind die beiden gestohlenen Figuren vermutlich schon eingeschmolzen. Zumindest die dritte bleibt der Nachwelt erhalk. (mz)

So stand das „Stasi-Denkmal“ mal da.
So stand das „Stasi-Denkmal“ mal da.
Steffen Könau
Vom Sockel gerissen und abtransportiert: Die Märzkämpfer sind weg.
Vom Sockel gerissen und abtransportiert: Die Märzkämpfer sind weg.
Steffen Könau