Kröllwitzer Heimatgeschichte Kröllwitzer Heimatgeschichte: Hoch zu Ross ins Gartenlokal
Halle/MZ. - Wie in ihrem Text zu lesen ist, gehörte das mit Birken bewachsene Areal um 1875 dem halleschen Bankier Lehmann. Damals war das Gebiet noch unbebaut. Der Bankier schenkte dem Kröllwitzer Schuhmachermeister Wilhelm Bock ein Teil des Birkenwäldchens - warum er so großzügig war, ist nicht bekannt. Bock baute dort die gleichnamige Gastwirtschaft; 1876 wurde das "Birkenwäldchen" eröffnet.
Die Hallenser fanden rasch Gefallen an dem Ausflugsziel, vor allem, als nach 1900 der Schwiegersohn des Schuhmachermeisters, Werner Scheibe, das Anwesen um einen Tanzsaal und drei Kegelbahnen erweiterte. Sogar Pferdeställe gab es, da die Gäste gern auch hoch zu Ross oder mit Kutschen kamen. Ergänzt wurde das beliebte Lokal noch durch ein Gästehaus, in dem vor allem ältere Leute ihre Ferien verbrachten.
Hoch her ging es auf den alljährlichen Volksfesten, zu denen der Wirt einlud. Anngret Plumbaum, die als Lehrerin an der Giebichenstein- und Kröllwitzschule unterrichtete, fand im Stadtarchiv erstaunliche Zahlen: "Zu einem der Feste kamen 10 000 Hallenser." Kein Wunder, dass nicht nur im und am "Birkenwäldchen" gefeiert wurde, sondern auch noch im angrenzenden Amselgrund.
Der hallesche Verschönerungsverein legte aus deshalb sogar einen Weg vom Amselgrund zum Hohen Weg an. Und geboten wurde den Leuten damals einiges. So gab es Ochsen am Spieß und Würstchenbuden. Ein Glas Bier kostete drei Pfennige, ein Glas Schnaps ebenfalls. Die Hallenser vergnügten sich an Würfel- und Schießbuden, Ballons stiegen auf, und wer tanzen wollte, konnte das in einem 30 Meter langen Zelt tun.
Über viele Jahre, so heißt es bei Frau Plumbaum weiter, blieb das "Birkenwäldchen" in Familienbesitz. Die fünf Kinder der Familie Scheibe arbeiteten alle im Lokal mit. Doch nach dem Ersten Weltkrieg und während der Inflation kamen immer weniger Gäste, so dass Werner Scheibe das Anwesen im Jahr 1932 an den Gutsbesitzer Wilhelm Winter verkaufte. Der ließ Tanzsaal und Kegelbahnen abreißen. Ein Jahr später ging das Grundstück an die Stadt, und es zogen Familien ein, die auf dem nicht weit entfernten Gestüt arbeiteten.
Das Areal des gesamten Birkenwäldchens, auf dem das Lokal stand, wurde im Laufe der Zeit immer mehr unter anderem mit Einfamilienhäusern bebaut, so dass man dort schon lange nicht mehr spazieren gehen kann. Nur der alte Nussbaum im Hof des einstigen Lokals hat die Wirren der Zeit überstanden, schreibt Anngret Plumbaum weiter, die bei ihren Recherchen auf einen Enkel von Werner Scheibe gestoßen ist: Hans-Dieter Scheibe lebt mit seiner Frau in Kröllwitz.
Was wird aus dem Grundstück in bester Lage? Eigentümer ist die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG), die es seit längerer Zeit zum Verkauf anbietet - für 94 000 Euro. Da die Gebäude nicht unter Denkmalschutz stehen, könnten sie abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden, so die HWG.