Knie-OP als letzte Option Knie-OP als letzte Option: Warum es in Halle weniger Implantationen gibt

Halle (Saale) - Seit 2013 ist die Zahl der Knieprothesen-Operationen in Deutschland um 18,5 Prozent gestiegen - in Sachsen-Anhalt sind es sogar über 20 Prozent. Das zeigt kürzlich eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Betrachtet man nun die Zahlen der Implantationen pro 100.000 Einwohner fällt allerdings auf, dass Halle mit 140 Implantationen zu den Städten mit den wenigsten OPs zählt.
Vorbildlich ist Potsdam mit nur rund 118 Operationen pro 100.000 Einwohner. Besonders auffällig ist das Gefälle zwischen Städten und ländlichen Regionen. Hängt die Wahrscheinlichkeit, eine Knieprothese eingesetzt zu bekommen also davon ab, wo man wohnt? Welche Gründe könnte es dafür geben?
Prothese am Uniklinikum Halle immer die letzte Option
Professor David Wohlrab, Leiter der Abteilung für Endoprothetik des Uniklinikums Halle (UKH) betont, eine Knie-OP, bei der eine Prothese eingesetzt werde, sei am UKH immer die letzte Option. „Es wird meist bei Arthrose operiert“, erklärt Wohlrab. Komme ein Patient mit Knieschmerzen zum Arzt, gebe es aber zunächst vielfältige andere Möglichkeiten wie Physiotherapie, Krankengymnastik, Wärme- oder Kältebehandlung, Sport, Massagen oder auch Hilfsmittel wie Gehstützen.
„Erst, wenn das alles nicht mehr hilft, wird operiert“, sagt Wohlrab. Die Operation stehe somit „am Ende der Therapiekette“. Es gebe aber natürlich auch Ausnahmen: Manche Patienten gingen erst dann zum Arzt, wenn sie die Schmerzen nicht mehr aushalten könnten und es dann auch keine andere Therapiemöglichkeit mehr gebe und sofort operiert werden müsse.
Knie-OPs: Auch demografische Gründe
„Man muss aber auch sagen, dass diese Operation relativ gut von den Krankenkassen vergütet wird“, erklärt Wohlrab, es gebe einen wirtschaftlichen Faktor - für ihn eine mögliche Erklärung für das Gefälle, das vor allem zwischen Städten wie Halle und eher ländlichen Regionen entstehe, in denen deutlich häufiger am Knie operiert und eine Prothese eingesetzt werde.
Dafür gebe es seiner Einschätzung nach aber noch viele andere Gründe: Städter würden generell eher zum Arzt gehen, im ländlichen Raum komme hinzu, dass die Altersstruktur anders sei: Während in den Städten viele junge Menschen leben, gibt es auf dem Land eher ältere. Und die seien eben häufiger von Arthrose betroffen.
„Die Babyboom-Generation kommt immer mehr in ein Alter, in dem Knie-OPs notwendig werden können“
Ähnlich erklärt es auch sein Kollege Martin Thoma, Orthopäde und Unfallchirurg der Saale-Klinik: „Die Studie beleuchtet beispielsweise nicht die demografische Entwicklung: Die Babyboom-Generation kommt immer mehr in ein Alter, in dem Knie-OPs notwendig werden können.“
Aber es müsse auch betrachtet werden, dass in Städten wie Halle viele Menschen im Dienstleistungssektor arbeiten - während auf dem Land häufiger Berufe ausgeführt würden, die die Gelenke auch stärker belasten. Thoma betont aber auch: „Wir hier in Halle leisten es uns, konservativ zu behandeln.“ Damit baue die Saale-Klinik darauf, nachhaltig zu helfen. Daniel Friebe, Geschäftsführer der Saale-Klinik erklärt, dass es in den Städten „knallharte Budgetverhandlungen“ mit den Krankenkassen gebe. An der Saale-Klinik gebe es jährlich rund 200 Knie-Operationen, bei denen eine Endoprothese eingesetzt würde.
Finanzielle Anreize für Knieoperationen
Die Bertelsmann-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass finanzielle Anreize für viele Kliniken und niedergelassene Ärzte die Häufigkeit von Knieoperationen beeinflussen. Die Knie-OP biete den Vorteil, gut planbar und auch in kleineren Krankenhäusern durchführbar zu sein. Dahingegen komme auf dem Land die professionelle konservative Behandlung zu kurz - schnell sei die OP die erste Wahl.
In Halle hingegen gebe es eine enge Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Therapeuten, die Saale-Klinik habe zudem Versorgungsverträge mit den Krankenkassen, die die Finanzierung einer Therapie regeln, so Friebe.
Blick auf mögliche konservative Behandlungsmethoden
„Hier ist die klinische Versorgung sehr gut und professionell - immer mit Blick auf mögliche konservative Behandlungsmethoden“, weiß auch Martin George, Gesundheitswissenschaftler und Physiotherapeut. Er leitet das Therapiezentrum Kröllwitz - jährlich kommen rund 200 Patienten mit Knieproblemen zu ihm in die Praxis.
Im Fokus der physiotherapeutischen Behandlung bei Knieproblemen stünden laut George vier Ziele: Beweglichkeit, Kraft, Koordination und Stabilität sowie die Vermeidung von Folgeschäden. Problematisch seien jedoch vor allem die knappe Vergütung und die zeitlichen Vorgaben, die von Seiten der Krankenkassen an die Physiotherapeuten weitergegeben würden.
Geringe Vergütung für Physiotherapie-Praxen
„Physiotherapie kann OPs vermeiden helfen und sehr viel für den Patienten leisten, wenn er die Chance dazu bekommt“, betont George, vor allem im ländlichen Raum könnten die Praxen die gewünschte Versorgung durch die geringe Vergütung, den damit einhergehenden dramatischen Fachkräftemangel sowie in der Folge lange Wartezeiten auf Behandlungstermine jedoch nicht leisten - was möglicherweise zu mehr Operationen führt.
Für ihn ist dieses Vorgehen unverständlich - eine therapeutische Behandlung sei für die Kassen nämlich letztlich deutlich günstiger als eine Operation und deren Folgekosten. Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg konservativer Therapien sei außerdem die Motivation und aktive Mitarbeit des Patienten.
Wie bei Gudrun Stollberg: Sie kommt seit acht Jahren zu George in die Praxis - mittlerweile auf eigene Kosten. „Ich stand damals eigentlich kurz vor der OP“, erzählt die 61-Jährige, doch mittlerweile habe sie gelernt, dass sie es durch die regelmäßige Bewegung und Therapie auch ohne Operation schaffen kann. „Das macht mich richtig glücklich.“ Jetzt könne sie auch das Leben mit ihren Kindern und Enkelkindern wieder mehr genießen und sei viel aktiver geworden. (mz)