Jutta Schnitzer-Ungefug Jutta Schnitzer-Ungefug: «Ich sehe selbstbewusste Menschen»
Halle (Saale)/MZ. - Die Generalsekretärin der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Jutta Schnitzer-Ungefug, hat den Ort für das Halle-Gespräch mit MZ-Redakteur Peter Godazgar gewählt.
Was bedeutet die Burg für Sie?
Schnitzer-Ungefug: Ich muss zugeben, als ich im Jahr 2000 nach Halle kam, ging ich durch ein Wechselbad der Gefühle. Ich war bereits ein halbes Jahr in der Stadt, als die Burg zu ihrer Jahresausstellung einlud. Und ich weiß noch, ich ging durch dieses Tor und kam in eine komplett andere Welt. Ich traf faszinierende junge Menschen, ich erinnere mich zum Beispiel an eine Italienerin, die sich ganz bewusst für Halle und die Ausbildung an der Burg entschieden hatte. Es gibt hier einen ganz speziellen Geist in diesen Gemäuern, der mich auch heute noch begeistert. Damals empfand ich: Jetzt bin ich angekommen!
Das heißt, die angehenden Maler, Grafiker und Bildhauer der Kunsthochschule haben Sie von der Stadt überzeugt?
Schnitzer-Ungefug: Das sind Menschen, die oft noch nicht wissen, wie sie mit ihrer Kunst einmal Geld verdienen werden. Und trotzdem haben sie den Mut, genau das zu tun, was ihnen am wichtigsten ist. Und mein Eindruck ist, dass sie von den Hochschullehrern als gleichberechtigte Partner angesehen werden. Ich kann nur sagen: Die Burg ist für mein Erleben der Stadt ein ganz zentrales Element.
Sie sagten, Sie seien anfangs durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Es war also keine Liebe auf den ersten Blick?
Schnitzer-Ungefug: Ehrlich gesagt: Bevor ich nach Halle kam, habe ich nur sehr wenig gewusst über die Stadt. Ich habe schnell erkannt, wie viel Kunst und Kultur es gibt, aber die Hallenser selbst habe ich oft als spröde empfunden. Manchmal dachte ich, ich müsste die Menschen schütteln und sagen: Schaut doch mal ein bisschen freundlicher. Das empfinde ich heute übrigens nicht mehr so. Ich denke, da hat sich einiges verändert in den vergangenen Jahren.
Wie empfinden Sie ihn denn, den Hallenser?
Schnitzer-Ungefug: Ich weiß gar nicht, ob es den Hallenser überhaupt gibt. Die Stadt beherbergt doch eine Mischung von Einheimischen und Menschen, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hierher kamen. Ich stelle fest: Es ändert sich was im Bewusstsein. Ich sehe selbstbewusste Menschen.
Sie wurden in Mannheim geboren. Schöne Umgebung, aber die Stadt selbst hat auch nicht gerade einen sensationellen Ruf.
Schnitzer-Ungefug: Mannheim war wie Halle früher eine Arbeiterstadt. Aber auch für Mannheim gilt: Wenn man die Stadt kennenlernt, entpuppt sie sich als schön und liebenswert. Auch das ist eine Parallele zu Halle.
Wo sehen Sie Defizite in der Außenwahrnehmung Halles?
Schnitzer-Ungefug: Zum Beispiel in der Tatsache, dass Halle eine Stadt am Fluss ist. Damit macht man überhaupt keine Werbung. Das finde ich schade.
Welche Einstellung zur Stadt stellen Sie bei Gästen der Leopoldina fest?
Schnitzer-Ungefug: Die meisten fragen ganz banal: Wo liegt Halle? Wie komme ich dahin? Wo ist der nächste Flughafen? Bei der Abreise kennen sie die Stadt dann schon etwas besser und sind meist voll des Lobes. Viele unserer Gäste kommen aus mittelgroßen Universitätsstädten und lernen den Charme von Halle schnell schätzen.
Es müsste sich nur noch etwas mehr herumsprechen.
Schnitzer-Ungefug: Ich habe neulich in einer der großen überregionalen Zeitungen einen Artikel über die Pompeji-Schau gelesen. Darin stand als Fazit, dies sei die zurzeit beste Ausstellung, die es in Deutschland gibt! Das zu lesen, hat mich froh und glücklich gemacht. Und es stimmt ja auch.
Harald Meller, der Chef des Landesmuseums für Vorgeschichte, gehört zu den großen Halle-Trommlern.
Schnitzer-Ungefug: Das stimmt. Und wahrscheinlich bräuchten wir mehr, die das tun.
Vielleicht auch in der Leopoldina? Ich erinnere mich an ein Radiointerview, in dem die Moderatorin ihren Chef, Prof. Jörg Hacker, als Präsidenten der Leopoldina in Berlin vorstellte. Er widersprach leider nicht.
Schnitzer-Ungefug: (lacht) Das Gespräch hat vermutlich in Berlin stattgefunden. Vielleicht hatte Prof. Hacker es aber auch als unhöflich empfunden, der Moderatorin gleich ins Wort zu fallen. Fest steht aber: Wir brauchen Berlin als Dependance, einfach um näher dran zu sein, an denen, die wir beraten. Da sind nun mal alle, die Politiker, die Ministerien, auch die Verbände und wissenschaftlichen Organisationen. Aber unser Hauptsitz ist ganz klar Halle.
Und das Interesse der Hallenser scheint riesig zu sein. Mehr als 6 000 Besucher kamen im Dezember zum ersten Tag der offenen Tür. Hatten Sie damit gerechnet?
Schnitzer-Ungefug: Überhaupt nicht. Der Andrang war einfach umwerfend. Und was ich faszinierend fand: Jeder hatte eine andere Geschichte zu dem Haus zu erzählen.
Was lernen wir daraus?
Schnitzer-Ungefug: Uns ist klar, wir müssen das Haus häufiger für die Bevölkerung öffnen. Wir arbeiten dran. Einen, vielleicht zwei Tage im Monat soll es Führungen am Wochenende geben. Mit Informationen zur Geschichte, zur Baugeschichte und zur Leopoldina selbst. Ich hoffe, dass wir im April oder Mai mit ersten Terminen starten.
Und was lernen wir über den Hallenser?
Schnitzer-Ungefug: Dass viele Menschen offenbar eine tiefe Verwurzelung mit dem Gebäude verspüren. Ich selbst habe das Haus in seiner früheren Nutzung nie erlebt. Offenbar hat der Ort aber eine große Bedeutung.
Das Haus war lange quasi unsichtbar hinter dem Gestrüpp.
Schnitzer-Ungefug: Ich selbst habe es auch nicht wahrgenommen. Jetzt denke ich jeden Morgen: Was für ein toller Anblick.
Nun ist die Leopoldina seit 2008 Nationalakademie. Ist diese immense Auszeichnung im Bewusstsein der Hallenser verankert?
Schnitzer-Ungefug: Wahrscheinlich noch nicht ganz. Wir müssen noch häufiger erklären, was wir machen.
Was haben wir Hallenser denn eigentlich davon?
Schnitzer-Ungefug: Was wir tun, kann für jeden Bürger etwas Positives bewegen. Die Politikberatung ist ein wichtiges Feld. Da geht es um sämtliche großen Zukunftsfragen, bei denen wir helfen, Antworten zu finden.
Hören die Politiker denn auf die Wissenschaftler?
Schnitzer-Ungefug: Nicht alle, aber einige. Manche geben sogar zu, dass sie von bestimmten Themen zu wenig wissen. Intensive Gespräche gibt es natürlich eher im kleinen Kreis.