Hallenserin mit Erfolg Internet-Kaufhaus Anndora: Annedore Linder aus Halle leitet den kleinen Riesen aus Sachsen-Anhalt

Halle (Saale) - Irgendwas ist immer, das hat Annedore Linder mittlerweile begriffen. „Und bei uns knallt es gleich am Anfang richtig“, sagt die Chefin der halleschen Internetfirma Anndora.
Schraubt die Suchmaschine Google mal wieder an ihren geheimen Algorithmen, testet der Kaufhaus-Gigant Amazon eine neue Technik oder versucht ein Logistik-Partner zu beweisen, dass auch ganze Container voller Ware einfach so verschwinden können. „Es passiert zuerst mal bei uns, jede Wette“, lächelt Linder.
Nicht einmal die Anzahl der Internetfirmen in Sachsen-Anhalt ist genau bekannt. Nach Schätzungen aber beschäftigen die meist kleinen Internet-Unternehmen hierzulande zusammen doch rund 15.000 Mitarbeiter. Und die haben ein Problem: Auch zehn Jahre nach dem Start von Bemühungen der Landesregierung, Sachsen-Anhalt besser zu erschließen, liegt das Land weiter auf dem letzten Platz bei der Netzanbindung.
Grund zum Lächeln hat die Frau mit den blitzenden blauen Augen trotz solch kleiner und großer Katastrophen. Vor fünf Jahren erst gründete die Hallenserin ihre Firma Anndora.
Und in diesem Jahr wird diese trotz des von der Chefin beklagten gelegentlichen Pechs erstmals mehr als zehn Millionen Euro Umsatz machen. Zehn Millionen. Anndora ist im Weltmaßstab nur ein winzig kleiner Webkonzern. Für Sachsen-Anhalt aber ist die blutjunge Firma schon ein kleiner Riese.
Hallenserin Anndore Linder: Als Amazon nur Bücher verkaufte
Auch Annedore Linder muss der Zahl manchmal selbst noch ein bisschen nachlauschen. Als sie damals Ende der 90er Jahre anfing, im Internet Dinge zu verkaufen, war es ja nicht der Plan gewesen, eines der größten Online-Kaufhäuser Sachsen-Anhalts zu gründen.
„Viel einfacher“, sagt Annedore Linder, wenn sie sich an die Nacht erinnert, als alles begann. Das Baby schrie. Und es war schon zu spät, um noch mal einzuschlafen. Aber auch noch zu früh, um schon richtig aufzustehen.
Annedore Linder setzte sich also an den Computer und probierte ein bisschen rum in diesem Internet, von dem man so viel las. Das Netz, das war damals noch ein wildes, weites und weitgehend unerforschtes Land.
Google hatte eben erst angefangen. Amazon verkaufte nur Bücher. Und Ebay gab es noch gar nicht. „Das hieß in Deutschland noch Alando“, erinnert sich Annedore Linder, die ihren ersten Shop bei eben diesem deutschen Ebay eröffnete.
Internetfirma Anndora: „Uns wollte niemand beliefern“
Die diplomierte Land- und Betriebswirtin nennt ihren kleinen Shop „Anndora“, weil „Annedore“ schon besetzt ist und die Schwiegermutter in ihrer Lieblingsserie „Verliebt in eine Hexe“ so ähnlich heißt. Wie die hat Annedore Linder rotes Haar. Das alles soll ja auch nur ein Spaß sein, der vielleicht ein wenig Kleingeld bringt.
Dieser Plan zumindest geht gründlich schief. Wie Ebay-Gründer Pierre Omidyar ein paar Jahre zuvor staunt, wie viel Zuspruch seine Idee einer Online-Auktionsplattform findet, so staunt auch die gebürtige Weißenfelserin, wie rasant die Nachfrage nach ihren Angeboten wächst.
„Unser größtes Problem war dann, Ware einzukaufen, weil uns Internethändler niemand beliefern wollte.“ Im Großhandel und auf Messen wird die Hallenserin abgewimmelt. Fast scheint die Idee, sich auf Freizeit, Garten und Heimwerkerbedarf zu spezialisieren zu scheitern.
Unternehmerin Annedore Linder: „Alle Einnahmen direkt reinvestiert“
Gemeinsam mit ihrem Mann Ralf ist Annedore Linder dann einfach direkt zu Herstellern gefahren. Von einer Werkzeugmaschinenfirma in Belgien haben sie ein ganzes Heimwerkersortiment importiert, von einem chinesischen Hersteller, dessen Angebot Annedore Linder aus einer Spam-Mail fischt, lassen sie sich Sonnenschirme liefern.
Alles funktioniert ohne Kredite, weil Banken und Sparkassen hierzulande nie auf die Idee kämen, Geld in Onlinefirmen zu stecken. „Wir haben alle Einnahmen für den Wareneinkauf verwendet“, beschreibt Annedore Linder.
Auch die paar Amazon-Aktien, die sich das Paar zugelegt hat, müssen eines Tages herhalten. „Ich wusste, dass ich mehr gewinne, wenn ich das Geld ins eigene Geschäft stecke.“
Internetfirma Anndora: Umzug nach Halle-Ost geschafft
Anndora wächst vom Nebenbei-Projekt der Chefin zum richtigen Internet-Unternehmen, das in einer alten Bundeswehr-Kaserne sein erstes Domizil findet.
Nicht für lange jedoch, weil die gemieteten Räume bald aus allen Nähten platzen. Fünf Jahre nach der Gründung der Anndora GmbH der zweite Umzug: aus Halle-Nord nach Halle Ost, in weite, luftige Räume neben der künftigen Umgehungsstraße.
„Hier funktioniert jetzt auch die Telefonanlage“, sagt Annedore Linder, mittlerweile Chefin von 16 Mitarbeitern, sechs Auszubildenden und drei Aushilfen.
Annedore Linder: „Geschwindigkeit im Netz ist atemberaubend“
Etwa 750 Sendungen verlassen das Anndora-Lager täglich, wie Marketing-Chefin Nicole Schneider zusammenrechnet. Und längst geht es der Firmengründerin dabei nicht mehr nur um günstige Preise für den Kunden und schöne Gewinne für ihr Unternehmen, sondern um „langfristige Bindungen“, wie sie sagt.
„Ich will, dass Menschen, die bei uns kaufen, sich umsorgt fühlen, dass sie ihren Einkauf als Rundum-Kuschelnummer empfinden.“ Annedore Linder spürt nach all den Jahren in einem Markt, der nie stehenbleibt, dass die Zeit bald zu Ende sein könnte, in der jeder haben wollte, was der Nachbar hat.
„Ich glaube, es geht in Zukunft eher darum, Produkte anzubieten, die es noch nicht gibt.“ Und weil es sie noch nicht gibt, macht die Enkelin von Oma Ilse, die einen Kolonialwarenladen in Bad Dürrenberg hatte, sie sich eben selbst.
„Gerade fertig geworden ist unsere erste Kollektion mit Skianzügen für Kinder“, zeigt Annedore Linder stolz vor. Orange-grau sind die, die Jacken haben extra lange Rücken, weil Linder als Hobby-Skifahrerin weiß, wo es bei den Jüngsten auf dem Berg immer zieht. Ein Anndora-Logo hat sie auch aufsticken lassen. „Das sieht einfach gut aus.“
Und bietet die Gewähr, im Wettbewerb aufzufallen, der gerade im Internet gnadenlos tobt. Heute in, morgen out, die Geschwindigkeit ist atemberaubend.
Internetfirma Anndora: Qualifizierter Nachwuchs gesucht
„Wir verändern uns ständig und probieren neue Dinge aus“, beschreibt Annedore Linder, die genau daran auch immer noch den meisten Spaß hat. „Was funktioniert, wie reagieren die Suchmaschinen, was bringt es uns bei Amazon, wenn wir dies oder das verändern?“
Mit solchen Fragen könne sie Tage und Nächte verbringen, ebenso wie mit der Produktentwicklung. Allerdings ist da immer noch die operative Führung eines schnellwachsenden Unternehmens, dessen größtes Problem derzeit der Mangel an qualifiziertem Nachwuchs ist.
„Wir würden gern Leute fürs Lager, für die Verwaltung und fürs Marketing einstellen“, sagt die Firmenchefin, die alle diese Posten derzeit im Grunde genommen 24 Stunden am Tag mit ausfüllt. Nur sei es eben schwer, Bewerber zu finden, die eigene Ideen mitbrächten.
Ideen aber sind es, die den kleinen Riesen aus Sachsen-Anhalt im Spiel mit den Giganten aus der ganzen Welt halten. Nichts ist fest und sicher wie beim Gründer eines erfolgreichen Eiscafés in der Fußgängerzone, zu dem die Kunden immer finden, so lange er sein Eisrezept nicht ändert. „Wir dagegen gründen eigentlich jede Woche ein neues Café“, nickt Annedore Linder. (mz)