Ihr Beruf stirbt aus Ihr Beruf stirbt aus: Sie kämpft als letzte Geburtshaus-Hebamme von Halle

Halle (Saale) - Für dieses Recht haben Hebammen einst gekämpft. Jede Frau sollte selbst entscheiden können, ob sie ihr Kind in einem Krankenhaus, zu Hause oder in einem Geburtshaus gebären will.
In Halle gründeten sich nach der Wende vier Geburtshäuser. Doch mit dieser Wahlfreiheit könnte es bald vorbei sein. Nicolle Scheibel-Hellfritsch ist mittlerweile die einzige Hebamme in der Stadt, die noch Frauen bei Geburten in einem Geburtshaus begleitet. „Wenn ich diesen Beruf nicht so sehr lieben würde, würde ich ihn wahrscheinlich nicht mehr ausüben“, sagt Scheibel-Hellfritsch.
Viel Bürokratie und teure Haftpflicht machen Hebammen das Leben schwer
Die Hebamme hat das Geburtshaus Lebenslicht in Giebichenstein vor 21 Jahren aufgebaut. 60 bis 80 Kinder kommen dort pro Jahr zur Welt. Scheibel-Hellfritsch steht den Frauen zudem vor und nach der Geburt zur Seite. Allerdings hat sich ihre Arbeit zunehmend erschwert. Täglich legt sie etwa 200 Kilometer mit dem Auto zurück, um Frauen einen Hausbesuch abzustatten.
Die Abrechnungen für die Krankenkassen würden zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem habe sich die Haftpflichtversicherung, die freiberufliche Hebammen für die Geburtshilfe abschließen müssen, immer weiter erhöht. Momentan liege diese bei 9.000 Euro pro Jahr. Geht bei der Geburt etwas schief, haftet die Hebamme. All das lässt für Scheibel-Hellfritsch nur eine Schlussfolgerung zu: „Man will die Hebammen letztendlich abschaffen.“
Immer weniger entscheiden sich für den Beruf der Hebamme
Diesen Eindruck hat mittlerweile auch Petra Chluppka, Versitzende des Landeshebammenverbands Sachsen-Anhalt, gewonnen. „Die Rahmenbedingungen haben sich so sehr verschlechtert, dass sich immer weniger Menschen überhaupt für den Beruf entscheiden“, sagt Chluppka.
Viele seien nicht mehr bereit, die langen Schichtdienste und die Rufbereitschaft für den verhältnismäßig geringen Verdienst in Kauf zu nehmen. Laut einer Studie des Sozialministeriums gibt es rund 430 Geburtshelferinnen in Sachsen-Anhalt.
Diese arbeiten entweder freiberuflich oder sind in Kliniken fest angestellt. Etwa 180 Hebammen hören in den nächsten 15 Jahren aus Altersgründen auf. Die Anzahl an Ausbildungsstellen reicht nicht aus, um das zu kompensieren.
Auf Monate im Voraus ausgebucht: Nachfrage nach Hebammen ist enorm
Die Barmer hat mit einer bundesweiten Befragung von 620 Familien herausgefunden, dass drei Viertel der Familien von einer Hebammen betreut wurden. 13 Prozent konnten keine Hebamme finden, zehn Prozent verzichteten darauf. Den Engpass bestätigt Nicolle Scheibel-Hellfritsch.
Pro Woche muss sie zehn Frauen eine Absage erteilen. Bis Oktober dieses Jahres ist sie ausgebucht. Die Barmer bietet nun Schwangeren und jungen Müttern in Kooperation mit der Firma Kinderheldin eine Hebammenberatung per Telefon und Chat an.
Telefonberatung löst das Problem nicht
Die Versicherten können sich dort täglich von 7 bis 22 Uhr melden. „Hebammen sind für Familien unentbehrliche Partnerinnen. Um mit ihnen zu kommunizieren, nutzen viele anstelle des Hausbesuchs auch Telefonate oder Chats“, sagt Stephan Hündorf, Regionalgeschäftsführer der Barmer in Halle.
Eine Alternative ist das laut der Landeshebammenvorsitzenden Chluppka jedoch nicht. „Ein Hausbesuch kann durch nichts ersetzt werden“, sagt sie. Aus der Ferne könne keine fundierte Entscheidung gefällt werden. „Es ist eine Abhilfe, die am eigentlichen Problem vorbei geht“, fügt sie hinzu. Gut findet sie hingegen die Initiative, 2020 einen neuen Studiengang für die Geburtshilfe einzuführen. „Das ist eine Aufwertung, die der Beruf braucht.“ (mz)