1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Hochwasser 2013 : Hochwasser 2013: Drei Jahre später entpuppt sich die Flut als Segen

Hochwasser 2013  Hochwasser 2013: Drei Jahre später entpuppt sich die Flut als Segen

Von Steffen Könau 09.06.2016, 18:11
Ein Brücke, über die das Wasser fließt: In der halleschen Klausvorstadt zeigte die Saale mehrere Tage, dass sie kein harmloses Flüsschen ist.
Ein Brücke, über die das Wasser fließt: In der halleschen Klausvorstadt zeigte die Saale mehrere Tage, dass sie kein harmloses Flüsschen ist. Steffen Könau

Halle (Saale) - Land unter. In diesen Junitagen vor drei Jahren ist das Wasser zuerst ein beliebtes Ausflugsziel. Es ist Sonntag, bester Frühsommersonnenschein. Die weiten überfluteten Flächen am Rande von Halle werden von Hunderten bestaunt. Ein Pilgerzug, der sich mit Kind und Hund dorthin bewegt, wo früher Flussufer waren. Jetzt stehen hier Feuerwehrfahrzeuge und THW-Männer wuchten Sandsäcke von Lkw. Polizisten machen Durchsagen, doch bitte die Arbeiten nicht zu behindern.

Mit Schippen und Sandsäcken gegen die Wassermassen

Es wirkt alles nicht ernst. Ein Hochwasser eben wie Sachsen-Anhalt es alle paar Jahre mal erlebt. Die Wiesen werden nass. Danach liegt Saaleschlamm auf den Feldern und Wegen. Ein paar Häuser unten im Saaletal saufen immer ab. Nichts, was die Mehrheit der Bürger irgendwie tragisch nimmt.

Diesmal aber ist alles anders. Denn nach dem ersten Flutsonntag folgt erst die richtige Flut. Nicht nur die Ränder der Stadt stehen unter Wasser, es schwappt in die Innenstadt. Katastrophenalarm. Tausende Jugendliche stehen am Gimritzer Damm und in der Klausvorstadt in Halle, aber auch in Dessau, Magdeburg und Bernburg mit Schippen und Sandsäcken im Kampf gegen die Fluten. Menschen werden in Sicherheit gebracht. Die Händel-Festspiele abgesagt.

Es ist eine Jahrhundertflut und sie schwemmt Träume davon. Die Fahrradmanufaktur Zonenschein wird weggespült. Dem Architekten Jo Schaller und dem Keramik-Künstler Tilman Beyer zerstört das Wasser alles, was sie in Jahren aufgebaut haben. Die bis nach Hollywood erfolgreiche Tonschmiede Metrix von Olaf Mehl steht vor einem Berg zerstörter Ausrüstung. Andreas Werkling und Frank Busch, die mit Mitgliedern der Saalebulls und freiwilligen Helfern tagelang versucht hatten, die Eissporthalle in Halle zu retten, verzweifelten vor den Trümmern der halleschen Eishockey-Tradition.

Zehntausende Tonnen Schlamm

Aber auch die Städte und Gemeinden leiden, wie sich zeigt, als das Wasser Ende Juni wieder verschwunden ist. Straßen sind unterspült, Dämme und Deiche nicht mehr stabil. Zehntausende Tonnen von Schlamm liegen im Kurpark in Bernburg, auf der halleschen Peißnitzinsel und im Wörlitzer Park. Brücken sind beschädigt, Sportplätze unbespielbar, Hallen angegriffen und Elektroinstallationen nicht mehr zu gebrauchen.

Allein in Sachsen-Anhalt klagen 1.700 Wirtschaftsunternehmen und 600 Landwirtschaftsbetriebe über Flutfolgen. Insgesamt gehen die Schätzungen in den ersten Wochen nach der Katastrophe in den Bereich von acht Milliarden Euro Schaden deutschlandweit. Rund eine Milliarde davon reklamiert Sachsen-Anhalt aus dem Fluthilfefonds, den Bund und Ländern noch im Juni 2013 auf die Beine stellen.

Aus dem Hochwasser wird eine Konjunkturmaßnahme

Eine Weichenstellung, die in den drei Jahren seitdem zu einer kleinen Sonderkonjunktur im Land geführt hat. Denn nach der Flut kam der warme Regen: Anträge über 920 Millionen Euro aus dem Fluthilfefonds wurden bis Anfang Juni diesen Jahres bewilligt. Weitere Anträge über mehr als 300 Millionen Euro werden noch bearbeitet.

Nicht alle Blütenträume reiften. Zwei schwer vom Hochwasser getroffene Tennisvereine in Halle etwa entschieden sich bei der Wahl zwischen kostengünstiger Reparatur ihrer alten Plätze und Neubau einer kompletten Anlage irgendwo weit weg für den Verbleib im Flutgebiet. Aus einem Hochwasserschaden von 4,5 Millionen Euro, wie ihn noch der erste Flutfolgenbericht der Stadt aufgelistet hatte, wurde so ein Reparaturbedarf von nur noch 485 000 Euro.

Wie das Hochwasser konkret zum Förderprogramm wurde

Doch insgesamt ist es wie Weihnachten und Geburtstag an einen Tag: Die Flut, auf ihrem Höhepunkt als Jahrhundertkatastrophe wahrgenommen, entpuppt sich mit dem Abstand von drei Jahren als einzigartige Gelegenheit, die öffentliche Infrastruktur zu erneuern.

Waren nach dem letzten Hochwasser Hilfsgelder gerade eben so geflossen, dass sich damit ein paar Flickschustereien finanzieren ließen, ist diesmal alles anders. Kommunen dürfen mit großzügiger Förderung selbst für Neubauten rechnen, die alte, flutgeschädigte Gebäude ersetzen. Mittel gebe es, heißt es in der maßgeblichen Richtlinie, für „nachhaltigen Wiederaufbau und die Wiederbeschaffung von baulichen Anlagen“. Und das auch, wenn sie „von den vom Hochwasser zerstörten oder beschädigten Einrichtungen abweichen“.

Millionenprojekte werden realisiert

Eine Formulierung, die die Türen weit öffnet für Neubau statt Flickschusterei, für moderne Anlagen, wo vorher der Putz bröckelte. Sobald ein „wirtschaftlicher Totalschaden“ festgestellt ist, der die Sanierung einer beschädigten Einrichtung zu teuer erscheinen lässt, stehen Förderbescheide in Aussicht, mit denen komplette Anlagen neu gebaut werden dürfen.

Eine Chance, die keine Stadt und keine Gemeinde ungenutzt verstreichen lassen will, wie die Statistik der bis heute vorliegenden Anträge auf Fördermittel zeigt. Ihr zufolge hat die öffentliche Hand am meisten unter Flutfolgen zu leiden. So genehmigte die Investitionsbank Sachsen-Anhalt, die für private Schadensmeldungen von Hauseigentümern und Unternehmen zuständig ist, bisher 5.880 Anträge über 296 Millionen Euro. Das Landesverwaltungsamt, das Förderanträge für Schäden an der öffentlichen Infrastruktur entgegennimmt, bewilligte mit 628 Millionen Euro mehr als doppelt so viel.

Mehr Geld für Neubauten als für Reparaturen

Es sind Millionenprojekte, die sich so auf einmal trotz permanent klammer Stadtkassen realisieren lassen. Allein in Halle spülte die Flut eine neue Eissporthalle für rund 23 Millionen Euro an, ein neues Planetarium für etwa 14 Millionen, ein neues Fußball-Leistungszentrum für zwölf Millionen und eine neue Sporthalle für 5,4 Millionen. Zum Vergleich: Die Fördermittel, die in Halle in die Reparatur flutgeschädigter Gebäude und Anlagen fließen werden, summieren sich auf 17,3 Millionen Euro. Der Betrag, der für Neubauten beantragt ist, fällt fast zehnmal so hoch aus: 151 Millionen Euro sollen es am Ende sein - anderthalb Mal so viel, wie die Stadt selbst in ihrem Haushalt an Mittel für Investitionen freischaufeln kann. Die Jahrhundertflut von 2013 hat eine Art Jahrhundertchance angeschwemmt. Fast nichts, was nun nicht geht.

Frischzellenkur für Städte und Gemeinden

Die Stadt wird ihre fast 50 Jahre alte Eislaufhalle ebenso los wie ein zwar denkmalgeschütztes, aber ungeliebtes Planetarium. Der größte Fußballverein bekommt ein neues Nachwuchszentrum, die Parkeisenbahn Peißnitz-Extress erhält für 2,5 Millionen Euro neue Gleise und Schuppen, der Pferderennbahn-Verein darf sich über fünf Millionen freuen und 20 Millionen stehen für den Versuch zur Verfügung, das vom Tag seiner Fertigstellung an defizitäre Multimediazentrum am Saaleufer doch noch auf sichere Beine zu stellen. „Bisher hat die Stadt Halle 248 Millionen Euro aus dem Fluthilfefonds beantragt“, rechnet Judith Marquardt vor. 151 Millionen Euro seien bereits zugesagt und können abgerufen werden, 16 Millionen wurden bereits verbaut. „Zu allen Projekten sind umfassende Planungen veranlasst, zahlreiche Bauleistungen befinden sich derzeit in der Ausschreibung“, sagt Halles Beigeordnete für Kultur und Sport.

Die Flut wird zum größten Modernisierungsprogramm, das Sachsen-Anhalt seit langem erlebt hat. Eine Frischzellenkur für Städte und Gemeinden, die das „Glück“ hatten, vom Hochwasser getroffen zu werden. Und ein Segen für das Land, das nur rund ein Zehntel der Investitionssumme aus der eigenen Tasche finanzieren muss. 100 Millionen Euro zahlt Sachsen-Anhalt in den nächsten 20 Jahren in den von Bund und Ländern getragenen Flutfonds. Herausspringen aber werden Zahlungen in zehnfacher Höhe: Beim Landesverwaltungsamt und der Investitionsbank Sachsen-Anhalt, die 7 750 private Schadensmeldungen von Hauseigentümern und Unternehmen erfasst hat, sind Anträge auf rund 1,25 Milliarden Euro eingegangen.

Viele Förderanträge noch offen

Eine gewaltige Konjunkturspritze, die noch nicht einmal richtig zu wirken begonnen hat. Von den in Halle beantragten 151,3 Millionen Euro für Neubauten flossen bisher ganze 6,5 Millionen, von den vom Landesverwaltungsamt bewilligten knapp 600 Millionen Euro waren bis Anfang des Monats gerade 125 Millionen ausgezahlt. Der Grund: Die Bauarbeiten haben einen langen Planungsvorlauf.

Zwar ist der größte Teil der Antragsflut der letzten drei Jahre bewältigt. Aber bei der Investitionsbank liegen noch offene 280 Förderanträge vor. Beim Landesverwaltungsamt sind es etwa 80, mit einem Gesamtvolumen von 305 Millionen Euro. Darunter befinden sich 57 Anträge aus Halle mit einem Volumen von fast 100 Millionen Euro. „Diese Fälle sind besonders umfangreich und schwierig zu bearbeiten, weil noch Unterlagen oder Gutachten fehlen“, sagt Behördensprecherin Denise Vopel.

Die Flut, die dem Land gut tut

Bis Monatsende sollen aber alle Entscheidungen getroffen sein, so dass das Papiergeld, das die Kommunen in Form möglicher positiver Förderbescheide in den Büchern haben, drei Jahre nach der Katastrophe in Steine und Beton fließen kann. Eine Art zweite Flut, die dem Land gut tut. (mz)

Für den Neubau aus Fluthilfemitteln musste die alte Eishalle fallen.
Für den Neubau aus Fluthilfemitteln musste die alte Eishalle fallen.
Steffen Könau
Die Generation Gummistiefel packte im Juni 2013 überall mit zu.
Die Generation Gummistiefel packte im Juni 2013 überall mit zu.
Steffen Könau