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Heimliche Hallenser Heimliche Hallenser: Wie Gottfried Bürger in Halle der "Sprachverwüstung" entgegen trat

Von Detlef Färber 09.10.2019, 08:30
Büste von Johann August Bürger in Molmerswende
Büste von Johann August Bürger in Molmerswende Jürgen Lukaschek

Halle (Saale) - Vielleicht lag es auch mit an der strengen Zucht im Hause Franckes. Dass ausgerechnet ein Zögling des halleschen Pädagogiums - einer Schule auch der Hochmoral und Geradlinigkeit - später einen Lügenbaron berühmt machen und seinerseits nicht unwesentlich durch diesen berühmt werden sollte, kann kein Zufall sein. Die Lust auf ein bisschen Doppelbödigkeit statt der im halleschen Pietismus geforderten und geförderten, wohl eher humorarmen Frömmigkeit muss groß gewesen sein bei Gottfried August Bürger.

Der Zeitgenosse Goethes und „Sturm und Drang“-Dichter (1747-1794), der in Halle die Schule besuchte, hat diese Schule bald gründlich überwunden. Und hat vielleicht gerade damit von Halle profitiert. Geboren im Mansfeldischen Molmerswende, kam er zu Franckes, nachdem er in der Stadtschule von Aschersleben wegen einer Prügelei rausgeflogen war. Auf den Schulbesuch im hiesigen Pädagogium folgte auf Druck seines Großvaters ein Theologie-Studium, das er nach vier Jahren abbrechen durfte - um in seine spätere Heimat nach Göttingen zu wechseln, dort Jura zu studieren und berühmt zu werden.

Bekannt durch gewaltige und herzzerreißende Ballade

Freilich hatte ihn das Literatur-Virus auch schon in Halle befallen, wo er Kontakt zu Lyrikern pflegte - zum vollen Ausbruch kam die Poesie (parallel zur Freimaurerei übrigens, was nicht ungewöhnlich war) dann aber erst jenseits des Harzes und während erster Anstellungen als Amtmann im Göttinger Umland - und später dann als außerordentlicher Professor in dieser Stadt.

Berühmt war er in seiner Zeit vor allem mit einer gewaltigen und herzzerreißenden Ballade, die man fast schon eine Moritat nennen kann. „Leonore“ heißt sie und ist ein Abgesang auf den Siebenjährigen Krieg (1756-63). Sie beginnt höchst einprägsam mit: „Der König und die Kaiserin / Des langen Haders müde / Erweichten ihren harten Sinn / Und machten endlich Friede“.

Gottfried August Bürger verliebte sich in zwei Schwestern gleichzeitig

Was für viele der Soldaten-Gattinnen und Bräute die langersehnte Wiederkehr ihrer Männer bedeutete, blieb freilich für besagte Leonore eine unerfüllte Hoffnung, die sie mit Gott hadern und sich damit versündigen ließ, was sie schließlich in den Wahnsinn und ins Verhängnis zu treiben begann: Bis sie schließlich auf dem Pferd ihres Liebsten, der ihr zuvor als Geist erschienen war, mit ihm aus der Welt hinausgaloppierte.

Kaum minder dramatisch hat sich das Thema Liebe übrigens im Leben von Gottfried August Bürger selbst entfaltet, der sich - ähnlich wie sein Zeitgenosse und gewissermaßen Konkurrent Friedrich Schiller - in zwei Schwestern gleichzeitig verliebte und der es tatsächlich wagte, für eine gewissen Zeit ganz offen eine Dreiecksbeziehung zu leben.

Von Musen und Münchhausen

Nach dem Tod beider Frauen, die jeweils im Kindbett starben, heiratete Bürger noch einmal eine über 20 Jahre jüngere Frau, die ihm in Form eines Gedichts einen (wie es später hieß) nicht ganz ernst gemeinten Heiratsantrag gemacht hatte - ihn später mit einem Studenten betrog, was Bürger übrigens durch ein eigenhändig in die Tür gebohrtes Loch mit ansehen musste (oder wollte) - womit eine seiner Musen und Traumfrauen für ihn schließlich zum Albtraum wurde.

Weitaus schöner und ungefährlicher waren dagegen die Träume eine gewissen Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, die vor allem dank Gottfried August Bürgers seither (und in zumindest einigen berühmten Episoden immer noch) in der Welt kursieren. Der wahre Münchhausen war übrigens auch ein Zeitgenosse Bürgers, hätte vom Alter her zwar dessen Vater sein können, doch ist er im gleichen Jahr wie jener Mann gestorben, der zum geistigen Vater der Münchhausen-Figur, nämlich des Lügenbarons, geworden ist.

„Am eigenen Schopf aus dem Sumpf“ zu ziehen

Der wohl berühmtesten Münchhausengeschichte - jener, bei der der Baron nicht nur auf einer fliegenden Kanonenkugel reitet, sondern sie nach reiflicher Überlegung in der Luft auch noch wechselt, um auf der entgegenkommenden Kugel ins eigene Heerlager zurückzukehren - dieser Schnurre ist in Bürgers Heimat Molmerswende übrigens ein kleines Denkmal gewidmet.

Als großes Denkmal kann dagegen der „Münchhausen“-Film mit Hans Albers in der Hauptrolle gelten, dessen einprägsamstes Bild ebenfalls die fliegende Kanonenkugel bleibt: Wohingegen als einprägsamstes Sprachbild, sprich als sprichwörtlicher Ausdruck dessen, was ein Münchhausen drauf hat - und was wohl für jeden zu können wünschenswert wäre - die Fähigkeit bleibt, sich „am eigenen Schopf aus dem Sumpf“ zu ziehen.

Gottfried August Bürger Vorläufern einer vereinheitlichten Rechtschreibung

Zu jenem Grundstock von Münchhausengeschichten, die Bürger in vorangegangenen Sammlungen vorgefunden hatte (und die ihrerseits auf Schwänken des begnadeten Erzählers Münchhausen fußten), hat der berühmteste aller Münchhausen-Dichter freilich noch etliche hinzugefügt: Was den wahren Namenspatron des Lügenbarons am Ende eher nicht mehr amüsiert haben soll.

Nachzutragen bleibt in Sachen Gottfried August Bürger, dass der Dichter auch zu den Vorläufern einer vereinheitlichten Rechtschreibung zu zählen ist - weil er, so heißt es, die „Gräuel unserer allgemeinen Sprachverwüstung“ nicht mehr ertragen konnte. (mz)