Zum 90.Geburtstag Hans-Dietrich Genscher Feierstunde: "Er fehlt diesem Land"

Halle (Saale) - Der letzte Satz bekam den meisten Beifall. Wohl auch, weil er so geschickt eingeleitet war, mit „fast hätte ich’s vergessen“. Beim Festakt der halleschen Universität am Dienstag zum 90. Geburtstag ihres Ehrensenators Hans-Dietrich Genscher setzte Klaus Kinkel, sein Amtsnachfolger unter anderem als Bundesaußenminister, am Ende noch diesen Paukenschlag.
„Der Flughafen Leipzig/Halle müsste doch nach Genscher benannt werden!“ Ein „nicht ganz unmaßgeblicher Sachse“ habe ihn - Kinkel - „vorhin eben daran erinnert, diesen Stein hier noch mal ins Wasser zu werfen“.
Da war das Auditorium in der voll besetzten Aula des Löwengebäudes ganz bei ihm - dem Weggefährten, dessen kraftvollem Auftritt das vollendete 80. Lebensjahr keineswegs anzumerken war. Und auch sonst schien Kinkel so manchem aus dem Herzen zu sprechen mit seinem Streifzug durch das politische und auch private Leben von Genscher, dessen „Lebensziel“ die deutsche Wiedervereinigung gewesen sei.
Daran habe er immer geglaubt, sich aber darauf nicht beschränkt und viel dafür getan. Denn ohne den maßgeblich von Genscher mit gestalteten Zwei+Vier-Vertrag wäre die Einheit „nicht möglich gewesen“.
Ehrung von Hans-Dietrich Genscher: Klaus Kinkel hält Lobrede
Dass ihm dies gelungen sei, habe freilich vor allem auch mit seiner halleschen Herkunft und der harten Zeit zu tun gehabt, die Genscher nach dem Krieg hier verlebte. Die habe ihn geprägt. Später habe er Wert darauf gelegt, all seinen Gesprächspartner von der großen Weltbühne persönlich seine Heimatstadt zu zeigen - und nahezubringen. „Genscher hat alle gezwungen, Halle anzusehen, da ist ihm keiner entkommen“, so Kinkel unter dankbarem Gelächter.
Und immerhin hat dieser Effekt auch einige zu seinem Geburtstag nach Halle gelockt. Besonders glücklich waren die Veranstalter über die Anwesenheit von Genschers Witwe Barbara, die sich entschlossen hatte, diesen Tag in der alten Heimat ihres Gatten zu verbringen. Und aus der alten Bonner Republik kam - mitten in die Rede Kinkels hinein - auch noch die einstige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die ebenfalls seit kurzem 80 ist.
Genschers Geschichte mit Halles Uni und ihrem Weg in die akademische Freiheit war auch wiederkehrendes Motiv dieses Abends, der von Matthias Erben und seinem Akademischen Orchester musikalisch untermalt wurde. Erben war bereits vor exakt 25 Jahren dabei, als der - ebenfalls erschienene - damalige Rektor Günther Schilling Genscher die Ehrensenator-Würde überreichte.
Freilich, es gab auch nachdenkliche Töne - insbesondere von Hauptredner Kinkel. „Er fehlt diesem Land“, sagte er mit Blick auf Genscher - und das klang als sei zugleich gemeint: „So einer, wie er fehlt!“ Und auch die Frage „was würde Genscher dazu sagen?“ deklinierte Kinkel anhand aktueller Themen durch und mahnte - insbesondere für den Umgang mit Russland - etwas von jener Mäßigung und jenem Augenmaß an, die einst „Genscherismus“ hießen.
Falls der mit hallescher Mentalität zu tun hatte, so hat auch Kinkel selbst davon profitiert. Immerhin bekannte sich der Genscher-Nachfolger beim Genscher-Geburtstag gleich zu einigen eigenen Vorfahren mit Halle in der Biografie. (mz)
