Denkvergnügen Halles Ehrenbürger Peter Sodann wird 85 Jahre alt
Als Erbauer und Intendant des neuen theaters Halle hat er sich bleibende Verdienste erworben - als Bewahrer von Büchern und streitbarer Geist ebenso. An diesem Dienstag wird der hallesche Ehrenbürger 85 Jahre alt.

Halle (Saale) - Unter dem Dach der Scheune nisten Schwalben, auf dem Boden stehen Bücherkartons, sorgsam mit Folien abgedeckt. Weil die Vögel nicht nur zwitschern, sondern auch mal etwas fallen lassen. Hunderte Kisten voller gebundener Literatur sind es, hier wie überall in der weitläufigen Bibliothekswelt von Peter Sodann in Staucha. An diesem Dienstag wird der Schauspieler und Regisseur 85 Jahre alt.
„Für jedes Buch gibt es einen, der es braucht und lesen will“, davon ist Sodann überzeugt. Er glaubt an die Kraft des Wortes, selbst wenn sie vielen heute minder wichtig erscheine. „Es geht immer nur um Geld“, sagt Sodann und lächelt. Manche haben sich anfänglich mit dem Finger an die Stirn getippt, als er in das Dorf gezogen war, lieblich gelegen zwischen Döbeln, Meißen und Riesa. Lommatzscher Pflege heißt die Gegend, fruchtbares Land.
Mittendrin lebt er, mit all den Bananenkisten, deren Inhalt seine Frau Cornelia Brenner-Sodann, seine Helferinnen und Helfer und er selbst in die penibel aufgereihten Regale - und auch an den Mann bringen. Oder an die Frau. Bis zu 40 Bestellungen aus aller Welt werden täglich bearbeitet.
Peter Sodann gründete neues theater in Halle
Das Hoftheater hingegen ruht, nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Das Gestühl ist säuberlich aufgetürmt, dahinter grüßt ein Banner: „In den Bananenkisten des Westens schlummert das Wissen des Ostens“, steht darauf. Die Bühne schlummert auch, weil Sodann nicht nur zur Unterhaltung aufspielen will, er hängt in trotziger Treue an der von Brecht weitergesagten Maxime, das Denken sei eine der größten Vergnügungen der Menschheit. Und an der Wand, auf einem der von Prominenten bekritzelten Bretter, die Sodann aus einem früheren Ostberliner Klub rettete, steht „Zeig mir ein Mausloch und ich fick die Welt“ - hinterlassen von dem Dramatiker Heiner Müller, der es gern deftig sagte, ein Zitat aus „Die Bauern“.
„Ich lebe hier auf einem anderen Stern“, sagt Sodann. Er sitzt an seinem Schreibtisch, neben ihm hängt Goethes Gedicht „Prometheus“. Das erinnert ihn daran, den aufrechten Gang nicht zu vergessen, wie er sagt. Agil und neugierig wirkt der Mann noch immer, der mit seinen Leuten vor mehr als 40 Jahren das neue theater in Halle auf die Beine gestellt hat, das sich zur Kulturinsel auswuchs, seiner erträumten Bildungsrepublik.

Erfolge als „Tatort“-Kommissar Bruno Ehrlicher
Man mag ihm, dem Gründer, die Zahl seiner Lebensjahre kaum glauben. Nur manchmal reibt er sich die Augen, ein bisschen müde und resigniert, aber auch staunend. Diese Eigenschaft hat er sich bei aller Enttäuschung über Unverstand und Missverstehen bewahrt wie die Gewissheit, dass die Aufklärung, das Zu-sich-selbst-Kommen des Menschen, ein schönes Ziel ist, wenn auch verdammt schwer zu erreichen. Dabei kann er sehr ungeduldig werden, man hat das schon erleben können. Aber auch seine Freundlichkeit.
So, nach seinem Bilde, hat er seinerzeit im Ersten die Figur seines „Tatort“-Kommissars mit dem sprechenden Namen Bruno Ehrlicher angelegt: Mürrisch manchmal, auch polternd, doch stets empathisch und um Gerechtigkeit bemüht. Ein Anspruch, mit dem sich die Menschen beschäftigen sollten. Und an dem man freilich auch selbst gemessen wird. Das weiß er.
Peter Sodann ist kein Illusionär, dafür hat er nun doch zu viele Jahre auf dem Kreuz. Und er hat das vieldeutige „Na ja“ oft gehört, eine Wendung, die ins imaginäre Weite geht, die Dinge abschwächt und eine Antwort meist offen lässt.
Flucht am Ende des Zweiten Weltkriegs
„Na ja“, hatte Sodanns Mutter den noch nicht ganz Neunjährigen vor dem Kriegsende gefragt, und es wird auf gut Sächsisch vielleicht eher „Nu ja“ geklungen haben: Ob sie am östlicheren Ufer der Elbe bleiben sollten, dem sich die Russen näherten, oder zu Tante Martha auf der anderen Seite des Flusses flüchten? Dort würden die Amerikaner anrücken. Peter, dessen Vater gefallen war, schien Letzteres die bessere Idee zu sein.
Also brachen sie auf, aber nach zehn Tagen bekam der Junge aus Weinböhla bei Meißen Heimweh. Von den Amerikanern war noch nichts zusehen, von den Russen ebenso wenig. Also setzten sie abermals über die Elbe und gingen mit ihren paar Habseligkeiten nach Hause. Dann kamen die Russen. Peter Sodann erinnert sich an die lange Reihe der Lastwagen, auf denen sich Soldaten gegenüber saßen, die Gewehre zwischen den Knien. Nur einer stieg aus, er kam in ihr Haus. Unten lag der todkranke Onkel Kurt, oben drängten sich die Frauen ängstlich in einem Zimmer, der kleine Peter dabei.
Der Offizier trug eine gerupfte Gans bei sich, die Mutter sollte einen Braten zubereiten. Den verzehrten sie dann gemeinsam, bis Schüsse aus Richtung des Flugzeugwerks Dresden zu hören waren, dort gab es noch Widerstand. Der Gast verschwand eilig mit dem Rest des Fleisches, zuvor hatte er ein Foto ausgepackt, das seine Frau und seinen Jungen zeigte.
„Betender Kommunist“
Diese erste Begegnung hat Peter Sodanns Bild von den Befreiern wesentlich geprägt, bis heute. Wenn jemand „du Russe“ als Schimpfwort gebraucht, ärgert ihn das. „Ich denke ein bisschen anders“, sagt er. Einen „betenden Kommunisten“ nennt er sich selbst, er bewahrt sein Bild, auf dem Lenin und Jesus nebeneinander sitzend dargestellt sind. Die beiden hätten sich einiges zu erzählen gehabt, glaubt Sodann.
Religiös im klassischen Sinne ist er nicht, mit der kommunistischen Praxis hat er als junger Mann schlimme Erfahrungen gemacht. Aber es geht ihm um Haltung - etwas, das er oft vermisst, aber für unveräußerlich hält. Auch damals, als er mit seinem Leipziger Studentenkabarett „Der Rat der Spötter“ in die Mühlen der staatlichen Wächter geriet, war das schon so. „Die Grundlage ist die Basis aller Fundamente“ - diese Verulke von bürokratisch-propagandistischen Kauderwelsch mochte vielleicht eben noch durchgehen. Aber als Sodann 1961 einem Stoffhund ein Loch in den Hintern bohrte, um dort das „Neue Deutschland“, also das Zentralorgan der SED, hineinzuschieben und für unverdaulich zu erklären, war erstmal Feierabend.

Wegen „staatsfeindlicher Hetze“ im Gefängnis
Mit einem mahnenden „Na ja, so kann man das aber nicht sagen“ war es hier nicht getan. Wegen „staatsfeindlicher Hetze“ und „Aufrufs zur Konterrevolution“ wurde Sodann zu zehn Jahren Haft verurteilt, von denen er zehn Monate absitzen musste, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Und dann? Er sollte und wollte sich um Arbeit bemühen nach seiner Entlassung. Aber überall, wo der gelernte Werkzeugmacher vorsprach, war plötzlich keine der draußen angeschlagenen Stellen mehr frei, nachdem die Kaderleiter seine Akte gesehen hatten. Bis er im VEB Starkstromanlagenbau Leipzig schließlich zu Otto Gneschke geschickt wurde. Der war Meister und Parteisekretär - und zwar ein scharfer. Wenn der ihn zu nehmen bereit wäre, bekäme er den Job, beschied man den Arbeitssuchenden.
Klare Ansagen von Ex-Parteigenossen
Ob er der Mann aus dem Knast sei, wollte der Genosse wissen, zu dessen Partei Sodann nicht mehr gehörte. Im Gefängnis war ihm mitgeteilt worden, dass er aus der SED ausgeschlossen worden sei. Als das geklärt war, erinnert sich Sodann, habe ihm Otto gesagt, Arbeit hätte er, er brauche einen Dreher - aber sie müssten sich auf etwas einigen: „Ein falsches Wort - und Du kriegst ein paar aufs Maul.“ Klare Ansage. Nach einiger Zeit brummte der Chef, arbeiten könne er, Sodann, ja. Weswegen er eigentlich gesessen hätte? Sodann berichtete und hörte dann: „Ich glaube, die, die Dich eingesperrt haben, müssen den A... offen gehabt haben.“
Sie sind Freunde geworden, Otto war plötzlich gar kein so beinharter Genosse mehr, erinnert sich sein damaliger Mitarbeiter, der später einmal, 2009, auf dem Ticket der Linken, sogar für das Amt des deutschen Bundespräsidenten kandidieren sollte: „Otto hat für mich gekämpft - der Staat fragte doch nach, ob der Sodann wieder zur Schule gehen darf.“
„Nicht alle lieben mich in Halle“
Er durfte. 1963 kehrte Peter Sodann zurück an die Leipziger Theaterhochschule. „Die machten Augen dort“, sagt er. Sein erstes Engagement hatte er 1964 an Brechts Theater bei Helene Weigel. Erfurt, Karl-Marx-Stadt und Magdeburg waren weitere Stationen, bis er 1980 schließlich nach Halle kam - und blieb, bis er 2005 in den Ruhestand geschickt wurde. Gegen seinen Willen. Zuvor hatte ihn die Stadt zu ihrem Ehrenbürger ernannt.
Seine Leistung ist unvergessen, der Streit vielleicht ebenso. „Nicht alle lieben mich in Halle“, räumt Sodann ein. Aber es zieht ihn wieder dorthin, er sucht nach einer Wohnung. Auch wenn Staucha und die Bücher „der Kern“ bleiben sollen - in Halle hat der Mann ein Theater gebaut. Sein Lebenswerk. (mz)