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Halle Halle: Fuchs als Nachbar

Von MICHAEL FALGOWSKI 28.10.2011, 19:05

Halle (Saale)/MZ. - Der Hase fehlt. Aber der Fuchs schaut vorbei. Es ist heller Mittag, als das Tier gelassen zum Schleusenhaus schlendert - nur wenige Meter vor Gabriele Berth hält es inne. Nicht einmal den Hahn und seine Hühner regt der Fuchs mehr auf. Geschweige denn die ehemalige Schleusenwärterin am Böllberger Wehr. "Obwohl die Füchse schon 15 Hühner geholt haben: Ich liebe die Natur. Wir haben hier Eisvögel, Ringelnattern, Rehe und jede Menge Vögel", sagt die 66-Jährige. Und ihr Mann Alfred meint lachend: "Ein kleiner Grüner muss man schon sein, wenn man hier lebt!"

Seit fast 25 Jahren wohnen Berths nun schon "Rabeninsel 1" - die ungewöhnlichste Adresse der Stadt. Die Nummerierung ist allein dem deutschen Melde- und Postwesen geschuldet - es gibt keine weiteren Häuser auf der 41 Hektar großen Insel zwischen Wilder und schiffbarer Saale. Die nächste befestigte Straße ist drei Kilometer entfernt, am Holzplatz. Nur zehn Minuten sind es zwar bis zur Böllberger Saale-Brücke, aber es ist ein Fußgängerübergang. Die Post kommt täglich, auch die Müllabfuhr rumpelt alle zwei Wochen durch die lange Schlagloch-Piste auf die Insel.

Hochwasser sind häufiger

Natürlich sei die Lage sehr idyllisch, sagt Alfred. "Aber im Winter oder bei Hochwasser sieht das alles etwas anders aus." Schon oft haben die beiden die Wathosen angezogen und die Schubkarre durchs Wasser geschoben - zum Einkaufen. Beide glauben, dass die Saale heute häufiger Hochwasser führt als früher. "Drei- oder viermal sind wir richtig abgesoffen", sagt Gabriele, in ihrer gemütlichen Küche sitzend. Darin steht noch ein Kohleofen, trotz Gasheizung. Sie wollen vorbereitet sein, die Speisekammer ist immer gut gefüllt. "Sechs Wochen lang haben wir das Haus mal nicht verlassen können", ergänzt Alfred. Glücklicherweise waren beide beim Wasser- und Schifffahrtsamt beschäftigt, das als Arbeitgeber für Wasserprobleme sicher mehr Verständnis aufgebracht habe als andere.

Die beiden haben die Einsamkeit am Saaleufer schätzen gelernt. "In den ersten Jahren war es schon etwas gruselig allein. Aber ich bin kein sehr ängstlicher Typ", sagt Gabriele. 1987 hat das Paar mit der Tochter das abseits gelegene "Dienst-Haus" bezogen. Bis zur Rente war Gabriele die dienstälteste Schleusenwärterin Halles. Alfred indessen war jahrzehntelang auf dem Fluss unterwegs. Als Schiffsführer beim VEB Naherholung, ab 1992 hat er für das Schifffahrtsamt Magdeburg einen Schlepper gesteuert.

2 500 Fährgäste am Tag

Seit den 70er Jahren war Alfred Fährmann an der Rabeninsel. "Die Motorfähre gab es noch bis Anfang der 90er, bis die Fußgängerbrücke gebaut wurde. An manchen Tagen habe ich damals 2 500 Leute übergesetzt." Da gab es mehr Wege auf der Insel und vor allem das bekannte Ausflugslokal, gleich neben dem Schleusenhaus gelegen. "Da hatten 900 Leute Platz. Von den Sommernachtsbällen träumen manche drüben in Böllberg heute immer noch." Das Ausflugslokal ist lange weggerissen. Aber Alfred erinnert sich gut, wie er sich im Dunkeln mitunter gegruselt habe, wenn er die letzten Gäste vor der letzten Fähre persönlich aus dem Lokal abholte.

Heute wohnt das Rentner-Paar zur Miete. Das Wasser- und Schifffahrtsamt hat - wie andernorts auch - das Böllberger Schleusenhaus verkauft. "Früher war an der Schleuse mehr los. An machen Wochenenden hatten wir 30 Schleusungen", sagt Gabriele Berth. Heute komme an manchen Tagen niemand. Und Alfred erinnert sich: "Anders als heute haben in DDR-Zeiten die Boote Schlange gestanden an der Schleuse, mit Familien und Picknickkörben." Trotz der verschmutzten Saale. "Wenn die Schieber in der Schleuse Trotha geöffnet wurden, stand manchmal Schaum auf dem Fluss."

Heute leben die Berths mitten im Naturschutzgebiet. Das Wehr rauscht so wie die alten Bäume ringsum. Richtig einsam wird es am Abend. Tagsüber fahren Radler vorbei, laufen Jogger und Spaziergänger über die Rabeninsel. "Früher hatten wir ja im Süden eine Neubauwohnung. Doch heute kann ich mir gar nicht vorstellen, mit so vielen Menschen Tür an Tür zu wohnen", sagt Gabriele.

Doch wer weiß. Alfred Berth ist schwer nierenkrank geworden - drei Mal in der Woche muss er zur Dialyse. Er fühlt sich "wackelig". "Die Taxifahrer sind nicht gerade glücklich, hier hinter zu fahren", sagt er. Nun fürchtet er den Winter. Denn geräumt wird der Weg natürlich nicht. Vielleicht müssen Berths ihr Paradies am Fluss also verlassen. "Aber dann ist das halt so!", sagt Gabriele - sie ist eben kein ängstlicher Typ.