Halle Halle: Der größte Wunsch ist Baggerfahren
Halle (Saale)/MZ. - Tom, der Bagger liebt wie so viele kleine Jungs, ist auf der spektakulären Baustelle der ICE-Neubautrasse südlich von Halle unterwegs. Er sitzt in einem wild rumpelnden Schaufelbagger. "Ein Löffelbagger", sagt er. Tom hat keine Angst. "Ich bin schon drei. Im August werde ich vier!" Er lacht und winkt seinen Eltern. Mutter Kerstin Boye winkt zurück, Vater Jan fotografiert. Für sie alle ist es ein besonderer Tag.
Therapie am nächsten Tag
Am nächsten Tag muss Tom wieder ins Krankenhaus, eine weitere Therapie beginnt: Tom hat Krebs, ein Hirntumor. Im August letzten Jahres kam die Diagnose. Einen Tag später folgten Operation und Chemotherapie, der Abbruch, weil sie nicht anschlug, auch Bestrahlungen brachten keine Besserung. Lange Wochen im Kröllwitzer Krankenhaus waren es, und der Tumor ist trotz der Therapie weiter gewachsen. Toms Überlebenschancen seien nur noch gering, sagen die Ärzte. Damals im August vergangenen Jahres hatten sie noch von 95 Prozent gesprochen.
Jetzt aber ist keine Therapie, jetzt steuert Tom den geliebten großen Bagger, in Helm und Weste. Es geht ihm gut im Moment, er hat keine Schmerzen. Gerade eben ist der Dreijährige sogar auf dem Arm von Vorarbeiter Matthias Katzer in einer Hebebühne hoch hinauf zu der gewaltigen Betonfahrbahn der künftigen ICE-Trasse auf Stelzen gefahren, zur mit sechs Kilometern längsten Brücke Europas.
Die Eltern sind dankbar für die Freude, die ihr Sohn heute hat. "Die Diagnose damals war einfach nur ein Schock. Vor allem die ersten Wochen nach der OP waren besonders schwer. Seither bewegt sich unser Leben zwischen Bangen und Hoffen. Wir müssen alle jeden Tag lernen, mit der Krankheit umgehen." Jan Boye sagt, sie versuchten, die schönen Dinge des Lebens zu genießen. "Tom selbst weiß, dass er etwas im Kopf hat", sagt Jan Boye. Der aufgeweckte Junge beobachtet schnell, ist hellwach, scheint seinem Alter voraus. Aber Tom ist dennoch erst drei Jahre alt.
Seit einem Dreivierteljahr ist Kerstin Boye mit ihrem Sohn nun schon zu Hause. In seinen geliebten Kindergarten kann er nicht mehr. Vieles kann der Junge nicht verstehen. Warum etwa auf dem Spielplatz, wo Tom in den vergangenen Monaten einen Mundschutz tragen musste, weil sein Immunsystem schwach ist, manche Eltern ihre eigenen Kinder von ihm wegnehmen. Mutter Kerstin Boye wäre es lieber, wenn die Eltern offen fragen würden, aber natürlich versteht sie, dass die Verunsicherung in der Umgebung groß ist.
400 Kinder erkranken jährlich
Jährlich erkranken in Deutschland rund 400 Kinder an Hirntumoren. Bei Toms Tumorart sind es gerade ein paar Dutzend. Häufig wird ein Hirntumor bei Kindern, gerade weil er so selten ist, erst spät erkannt. "Die ersten typischen Symptome sind meistens sehr unspezifisch. Kopfschmerzen, Erbrechen, Übelkeit oder Abgeschlagenheit sind Zeichen, die sich auch bei weniger gravierenden Erkrankungen sehr häufig wiederfinden", sagt Klaus Riddering von der Deutschen Kinderkrebsstiftung.
Auch bei Tom hat es bis zur richtigen Diagnose unnötig lange gedauert. Die Ärzte fanden nichts, unter anderem wurde eine Milchzucker-Unverträglichkeit vermutet. Seit Jahren versuche die Kinderkrebshilfe, so Riddering, die Ärzte auch für solche Diagnosen zu sensibilisieren.
Doch heute gibt es eine Pause im Kampf gegen den Krebs für Tom, heute ist Toms Kindertraum-Tag, an dem er selbst einen "Löffelbagger" fährt, wie er sagt. Organisiert hat die Baustellentour der Verein "Kinderträume" aus Berlin. Der Verein erfüllt lebensbedrohlich erkrankten Kindern Wünsche. "Aus einem herbeigesehnten Traum entstehen unglaubliche Kraft und neuer Lebensmut", ist Vereinschefin Maria Kohl sicher. Um Toms Bagger-Traum zu verwirklichen, hat die Berlinerin an Bahnchef Rüdiger Grube geschrieben.
Der Bagger dreht sich auf der Stelle. Das Plüschtier "Max Maulwurf", Glücksbringer der Deutschen Bahn, hat Tom unter den Arm geklemmt. Er lacht.