Halle Halle: Das Fest des Lichts
Halle (Saale)/MZ. - Ein Tisch voller Erinnerungen: Programmhefte, Plaketten, Preise, Urkunden, Zeitungsausschnitte. Was Walter Müller (Foto Mitte) über das traditionelle hallesche Laternenfest zusammengetragen hat, das am Wochenende zum 76. Mal gefeiert wird, dürfte einmalig sein. Dass nicht mal das sonst so gut sortierte Stadtarchiv da mithalten kann, entlockt dem promovierten Historiker der Universität Halle ein spitzbübisches Lächeln. Stundenlang kann der 56-Jährige über das Fest, das gleich beim ersten Mal, 1928, ein voller Erfolg wurde, erzählen. Schon Anfang der 30er Jahre galt es als größtes Volksfest Mitteldeutschlands, das an den Ufern der Saale und am Fuße der Burg Giebichenstein gefeiert wurde. 180 000 Besucher - wohlgemerkt pro Fest - waren normal. Zahlen, von denen die Veranstalter heute nur träumen können. Aber damals sei das Laternenfest eben noch ein ganz besonderes Erlebnis gewesen, so Müller. Den Schöpfern, dem Halleschen Wirtschafts- und Verkehrsverband, bescheinigt er ein außerordentlich glückliches Händchen in Sachen Ideen und Marketing.
Wie der Historiker sagt, reichen die Wurzeln des Festes weit zurück. "Sie sind untrennbar mit dem Brauchtum der Halloren verbunden." Fischerstechen, Lampionumzug, Bootskorso, Feuerwerk - das seien seit eh und je die vier Grundbestandteile gewesen. Wobei, und da macht der Historiker einen Sprung ins Mittelalter - Fahrten auf der Saale spätestens seit der Gründung der Uni im Jahr 1694 zum studentischen Leben gehörten. "Das erste verbürgte Feuerwerk gab es bereits 1616 anlässlich eines Tauffestes an der Moritzburg."
Der direkte Vorläufer des Laternenfestes war dann der Blumenkorso auf der Saale, 1912 aus der Taufe gehoben. Wobei die Freude daran nicht sehr lange währte. Denn statt frischer Blumen wie vorgeschrieben verwendeten findige Bootsbesitzer künstliche, was zum Streit wegen ungerechter Bewertungen führte. So ließ man das Spektakel nach dem Ersten Weltkrieg einschlafen, erweckte es aber 1926 dann doch wieder zum Leben.
"1928 und 1929 gab es getrennt voneinander sogar beides", so Müller, der zwar schon seit seinem Studium in Halle lebt, aber in der Sächsischen Schweiz aufgewachsen ist. Der Termin für das Laternenfest Ende August habe sich übrigens seit den 20er Jahren nicht verändert. Schon damals waren die Wetterfrösche überzeugt davon, dass es da mit großer Wahrscheinlichkeit schön ist - was bislang auch meist zutraf, von Ausnahmen einmal abgesehen.
Müller bedauert, dass es vor allem aus den frühen Jahren des Spektakels keine Programmhefte mehr gibt, obwohl die ja zu Tausenden gedruckt worden sind. Umso mehr hütet er seinen Schatz und ist dankbar für jedes neue Exemplar. Eines seiner Hefte stammt aus dem Jahr 1953. Beim Blättern in den leicht vergilbten Seiten erfährt man, dass das Eröffnungskonzert mit der Feuerwerksmusik von Händel und der Fünften von Beethoven in der Moritzburg stattfand. Und Lampion-Umzüge gab es am Vorabend nicht nur auf dem Festgelände, sondern in allen Stadtteilen von Halle.
Auch 1955 fand das Fest nicht allein am Saale-Ufer statt. Auf dem Riebeckplatz, der noch Thälmannplatz hieß, gab es ein Platzkonzert und auf den Passendorfer Wiesen ein Windhundrennen. Rund um den Roten Turm waren Staffelläufer unterwegs, während im Wabbel-Stadion ein, so wörtlich, "gesamtdeutsches Fußballspiel" ausgetragen wurde.
Schier unglaublich klingt heute die Zahl der geschmückten Boote, die früher auf der Saale schipperten. "Es waren stets mehrere hundert. 1950 nahmen allein 400 Sport- und kleinere Boote am Korso teil, dazu 35 große sowie auch Dampfer. Wahre Wunderwerke seien dabei von den Hallensern gestaltet worden, erzählt er, zum Beispiel 1934 das wohl längste Großboot in der Geschichte des Laternenfestes: ein 52 Meter langes Saale-Ungeheuer, der feuerspuckende Lindwurm "Otto". Wie er sagt, habe eine 20-köpfige Besatzung dafür gesorgt, dass der Drache blutroten Rauch ausstieß, die riesigen Augen ständig bewegte und aus den Nüstern Flammen schlugen. Ob es dafür einen Preis gab? Das sei leider nicht überliefert. Doch belohnt wurden die Korso-Kapitäne fast immer. So gehörte 1929 zu den Preisen ein silberner Pokal, der sich in Müllers Besitz befindet. Gestiftet hatte ihn das Bekleidungshaus Assmann in der Großen Ulrichstraße. Und 1954 erhielt ein Hallenser namens Karl-Heinz Kramer als Sieger beim Bootskorso 300 Mark, was für damalige Verhältnisse eine große Summe war. "So viel verdiente mancher im Monat nicht", ordnet Müller das hübsche Sümmchen ein.
Gleich nach dem Krieg, als Lebensmittel noch knapp waren, wurde auch schon mal ein Hammel vergeben. Und an den Imbiss-Buden brauchte man keine Lebensmittel-Marken abzugeben, um futtern zu können. Beim Stöbern in Zeitungen von 1949 fand Müller diese Schlagzeile: "Bockwürste waren einer der Schlager". In späteren DDR-Zeiten pilgerten die Leute nicht zuletzt der begehrten, aber raren "Konsumgüter" wegen zur Festwiese, wo man schon mal echte ungarische Salami oder Letscho ergattern konnte.
Eintritt wurde im Gegensatz zu heute übrigens viele Jahre lang erhoben, meist waren es aber nur wenige Groschen. Für sein Geld bekam der Gast obendrein noch bunte Laternenfestabzeichen, mal aus Plaste, mal aus Pappe, mal rund, mal in Laternenform. Wie der Historiker erzählt, waren diese Plaketten eine wichtige Einnahmequelle. So habe das Fest 1956 zum Beispiel rund 112 000 Mark gekostet; 15 000 Mark kamen durch die Festabzeichen zusammen. Und obwohl diese Anstecker in riesiger Stückzahl unter anderem im Plastwerk Ammendorf hergestellt wurden, sind sie ebenfalls längst zu einer Rarität geworden. Die Müller sorgsam aufbewahrt - in Kästchen, in denen zu DDR-Zeiten Aktivistennadeln lagen. In diesem Jahr ist es dem Numismatischen Verein Halle, dem Müller angehört, nach Jahren gelungen, in Kooperation mit den Stadtwerken eine Gedenk-Medaille herauszugeben - in Silber, Kupfer und in Messing. In Zinn können sich die Besucher am Wochenende selbst eine Medaille prägen. Nur über eine Plakette schüttelt der Sammler den Kopf. Sie wurde nach der Wende 1990 als Eintrittskarte herausgegeben und zeigt eine Laterne. Aber nicht die typische eines Festumzugs, sondern eine Stall-Laterne. "Und dafür sollten die Leute auch noch zwei D-Mark bezahlen", schildert Müller. Das Ergebnis: Sie blieben fern. Das Jahr ging in den Annalen als das mit den wenigsten Besuchern ein.
Vergnüglich ist auch der Exkurs, den Müller in die 80er Jahre unternimmt. Damals wollten übereifrige DDR-Funktionäre mit dem Fest "lokale revolutionäre Traditionen" pflegen und das "sozialistische Heimatbewusstsein" stärken, sodass es 1980 in "Sommerfest am Saalestrand" umbenannt wurde. Was offenbar niemandem selbst durch eifrigste Agitation und Propaganda zu vermitteln war, denn nur ein Jahr später wurde schon wieder das Laternenfest gefeiert.
Leider seien in den 80er Jahren die geschmückten Boote immer mehr mit Losungen verschandelt worden, so Müller. 1989 habe man auf einem von einem Betrieb gestalteten Großboot zum Beispiel "Unser Haus, die DDR, wird 40" lesen können. Aber auch "Umweltschutz tut not, wir sitzen alle in einem Boot". Das wiederum sei von Ordnungskräften rasch gewaltsam entfernt worden. Wie wohltuend war es da 1990, als die Bürger so ganz ohne staatlich verordnete Losungen ihr Fest mit vielen ehemaligen Hallensern aus Westdeutschland feiern konnten, erinnert sich der Historiker noch immer gerne.
Oft wird er gefragt, wie die verwirrende Zählweise hinsichtlich der Anzahl der Feste zustande komme. Es müsste ja das 83. Laternenfest gefeiert werden, tatsächlich ist es aber erst das 76. Der Grund: Die Feste im Zweiten Weltkrieg zwischen 1940 und 45 fielen aus; 1961 hatte die Jahrtausend-Feier Vorrang. Und das Jahrhundert-Hochwasser von 2002, bei dem viele Orte Sachsen-Anhalts betroffen waren, machte kurz vorher einen Strich durch das Spektakel. "Da hingen allerdings schon die Plakate, und die Programmhefte waren verteilt", sagt Müller, der natürlich selbst ein Fan des Festes ist und so gut wie keines seit seiner Studentenzeit versäumt hat.
Der Numismatische Verein Halle präsentiert Samstag und Sonntag historische Abzeichen, Programmhefte und Preise. Der Stand befindet sich auf der Ziegelwiese, Nähe Ochsenbrücke.