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Größtes Büffet in Washington

Von Heidi Pohle 01.10.2004, 16:19

Halle/MZ. - Bereits am Abend zuvor war ihm das Herz schwer geworden, als er zum letzten Mal in der Hotelküche, in der er 33 Jahre gestanden hat, seine Messer weggeräumt und den Spind leer gemacht hatte. Am Freitag musste er öfter gerührt zum Taschentuch greifen - zu sehr war er mit Leib und Seele Koch, zu gern hat er "Gäste glücklich gemacht", wie Steller sagte, als das ihm der Abschied leicht gefallen wäre.

Natürlich wird zu solch einem Anlass auch über alte Zeiten gesprochen. Zum Beispiel über die, als das Haus noch Interhotel hieß und zweimal im Jahr nur Messegäste aus dem Westen beherbergte. Lende und Filet gab es da zu Hauf, während in den Fleischerläden ringsum oft bloß Schweinebauch lag. Die Küchenmeister, die Steller ausgebildet hat - rund 200 -, durften damals Hummer mal in der Hand halten. Trotzdem sind die meisten von ihnen, denen er ein strenger, fordernder Lehrer, aber auch väterlicher Freund war, etwas geworden: Einer landete in der Koch-Nationalmannschaft, andere sind selbstständig, im Ausland tätig, oder fahren "dicke Autos", wie der Meister zufrieden bemerkt.

Berühmt sind Stellers kalte Büfetts. Das größte, eines für knapp 4 000 Gäste, hat er in Washington zum ersten Jahrestag der deutschen Einheit gezaubert. "Als einziger Passagier bin ich mit der Genscher-Maschine rübergeflogen, im Gepäck alle Zutaten, so etwa drei bis vier Tonnen", so der 64-Jährige, der heute exakt das gleiche Büfett anfertigen könnte, weil er noch alle Kalkulations-Listen besitzt.

Doch auch er hat, wenngleich äußert selten, nicht in jedem Fall den Geschmack seiner Gäste getroffen. Einem Spitzensportler briet er drei Mal ein Steak, verbrauchte dafür fast eine ganze Lende. "Doch rechtmachen konnte ich es ihm trotzdem nicht." Und Manfred Krug schuldet ihm noch immer 28,50 DDR-Mark. Dem Schauspieler wurde Fasan kredenzt. Da Krug diesen Vogel offenbar noch nie gegessen hatte und auf Hähnchen aus war, gab er das Essen mit den Worten "den Gummiadler könnse allene essen" zurück.

Doch manch einer erinnert sich auch nach Jahren an Stellers Kochkünste - wie Thomas Wachs. Das Mitglied der Geschäftsleitung der Maritim-Hotelkette und selbst gelernter Koch schwärmt noch heute von Stellers Krautwickeln: "So habe ich sie nie hingekriegt". Es sei keine Kunst, aus exotischen Zutaten und mit Hilfe von Fertigprodukten ein Mahl anzurichten. Der wahre Meister bereite Köstlichkeiten aus einfachen, frischen Produkten zu, sagte er in seiner Rede zum Abschied des Küchenchefs.

Ein bisschen freut sich Henning Steller aber doch auf den Ruhestand. Obwohl - der Kochverband erwartet von ihm nun "mehr Aktivitäten", aber ebenso die beiden Enkelinnen. Mit Frau Inge, mit der er 40 Jahre verheiratet ist, will er die große, weite Welt bereisen. Und sich mehr dem Gemüsegarten samt großem Kartoffelbeet widmen.

Noch im Oktober fährt der Meister zur internationalen Olympiade der Köche nach Erfurt. Nicht als Aktiver, sondern ehrenamtlich - auch Köche müssen schließlich etwas essen. Und zu Hause wird er wie immer in den Töpfen rühren. Vielleicht ja sogar mal im Wettstreit mit Zwillingsbruder Jürgen, einem Stahlbau-Ingenieur, der aber "hochbegabt" im Kochen sei...