Große Bankenvergangenheit Große Bankenvergangenheit: Hansering war die Wallstreet von Halle

Halle (Saale) - Halle war einmal ein Banken-Mekka: Mindestens 78 Kreditinstitute gab es zwischen 1871 und 1933. „In den Akten und alten Adressbüchern im Stadtarchiv haben wir in diesem Zeitraum wirklich erstaunlich viele Banken gefunden“, sagt Phillipp Einicke. Allein am heutigen Hansering residierten sieben Geldinstitute, einschließlich dem bekannten Großbankhaus Lehmann an der Ecke zur Großen Steinstraße. „Der Hansering wurde damals die Wallstreet Halles genannt.“ Die Stadt also hat eine große Bankenvergangenheit. Genau wie eine bedeutende Industriegeschichte. Von beidem aber - den Banken wie der Industrie - ist indes nicht mehr viel übrig. Nur noch eine gute Handvoll Bankhäuser gibt es heute - und keins ist ein echtes hallesches Institut.
Bank für den Viehmarkt
Einicke ist einer von elf angehenden Bänkern der Berufsschule „Friedrich-List“, die im Stadtarchiv Halle zwei Wochen lang das hallesche Bankengewerbe zwischen 1871 und 1933 erforscht haben. Auf einem alten Stadtplan haben die Auszubildenden die Straßen markiert, in denen sich die 78 Geldhäuser befanden: Die alte Innenstadt-Karte ist dabei bunt geworden. So es möglich war, haben die künftigen Bankkaufleute erstmals auch die Daten der Geldhäuser aus den Archivakten zusammengetragen. Und was sie da alles fanden: die „Hallesche Viehmarktsbank“ etwa, gegründet 1909, die Fleischereien und Viehhandel finanzierte. Oder auch eine „Hausbesitzerbank“. Und natürlich gab es die drei großen Privat-Bankhäuser, H.F. Lehmann, Reinhold Steckner und den Hallesche Bankverein, die die Entwicklung Halles extrem beförderten. Ihre Blütezeit setzte ein, als ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Eisenbahn, dem Aufbau der Zucker- und Malzindustrie sowie dem beginnenden Braunkohle-Abbau große Unternehmen nach Halle kamen, die Kapital benötigten. „Die Banken haben die Industrialisierung und den Aufstieg Halles finanziert und ermöglicht. Sie waren aber auch auf vielen anderen Gebieten aktiv“, sagt Bankkaufmann-Lehrling Max Schmeil.
Diese Erkenntnis dürfte Berufsschullehrer Hans-Dieter Grimm freuen, der das ungewöhnliche Geschichtsprojekt organisiert hat. „Unser Ziel ist es, den Horizont der jungen Leute zu erweitern. Sie haben erfahren, dass Bänker, die heute vielen ja nur als Finanzspekulanten gelten, ganz konkret die Wirtschaft befördert und auch Verantwortung für die Stadt übernommen haben.“ Sie betätigten sich sich zudem als Mäzene und mischten in der Kommunalpolitik mit.
Aktie ist Archivale des Monats
Die meisten Kreditinstitute sind im Zuge der Wirtschaftskrise 1929 vom Stadtplan verschwunden. Einige von ihnen sind von den Auszubildenden erstmals dem Vergessen entrissen worden. Die Ergebnisse dieses Projekts im Stadtarchiv sind übrigens nicht nur für die Akten gemacht. Sie sind jetzt auch auf dem MZ-Internetportal „Sachsen-Anhalt-Wiki“ veröffentlicht worden. Zudem soll eine alte Aktie als „Archivale des Monats April“ auf der Internetseite des Stadtarchivs vorgestellt werden. (mz)
