Folter Missbrauch und Gewalt Folter Missbrauch und Gewalt: Indianerin erzählt im Unterricht von ihrer Vergangenheit

Wettin/MZ - Im Klassenraum herrscht eine beklemmende Stille, während die Indianerin Mary Caesar von ihrer Kindheit erzählt. Sie hat nichts mit der Romantik in Filmen oder Karl May Büchern gemeinsam. Als Mary vier Jahre alt war, wurde sie ihren Eltern entrissen und auf eine sogenannte „Residential School“ geschickt. Eine Art Internat, in dem ihr und Hunderttausenden anderen Ureinwohnern noch bis 1980 die indianische Kultur ausgetrieben werden sollte. Lange konnte die heute 58-Jährige nicht über ihre Erinnerungen sprechen. Doch in diesen Tage reist sie durch Deutschland und erzählt Schulklassen von ihren Erlebnissen.
In den sogenannten „Residential Schools“ in Kanada sollte den Kindern der Ureinwohner ihre Sprache und Kultur genommen werden. Viele von ihnen starben in den Schulen an Tuberkulose oder Unterernährung. Die letzten Einrichtungen existierten noch bis 1980. 1998 entschuldigte sich die kanadische Regierung offiziell bei den Opfern. Viele von ihnen sind heute alkohol- oder drogenabhängig. (omi)
Englischlehrerin Carola Winkler ist es wichtig, dass dieses Thema nun endlich behandelt wird. „In den Schulbüchern war bis vor einem Jahr noch keine Rede von den Verbrechen an den nordamerikanischen Indianern. Ich bin froh, dass wir jetzt eine Zeitzeugin hier haben und sie darüber erzählt“, sagt die Lehrerin am Burggymnasium. Zur Zeit würde sie mit ihrer elften Klasse ohnehin das Thema „Menschenrechte in Amerika“ behandeln.
Sexueller Missbrauch war an der Tagesordnung
Bei ihrem Vortrag wirkt Mary Caesar gefasst, obwohl sie von furchtbaren Erlebnissen erzählt. Als sie vier Jahre alt war, wurde sie zusammen mit anderen Kindern der Ureinwohner von einem Viehtransporter abgeholt und ins Internat gefahren. Die Kinder durften das Gelände ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verlassen und wurden für jedes kleinste Vergehen bestraft. Lehrer, die Schüler dabei beobachteten, wie sie sich in ihrer Muttersprache unterhielten, stachen ihnen Nadeln durch die Zunge oder schlugen sie mit Lederriemen. Sexueller Missbrauch gerade von Geistlichen, die die Kinder christlich erziehen sollten, war an der Tagesordnung. Der Kontakt zu den Eltern war verboten, auch durften Jungs und Mädchen nicht zusammen spielen. Wer vor Hunger Lebensmittel stahl, musste mit harten Strafen rechnen. „Es war einfach furchtbar. Wir wurden behandelt wie Tiere, geschlagen, missbraucht und gefoltert“, erzählt Caesar, die zum Stamm der Kaska gehört. Sie spricht Englisch und Kaska Dené, die Sprache ihres Stammes, der aus dem Yukon, östlich von Alaska kommt.
1964, nach vier Jahren Gewalt und Missbrauch war für sie zwar das Martyrium in der Schule vorbei, doch als Jugendliche begann sie dann zu trinken, um das Erlebte zu vergessen. Viele ihrer Freude hätten sich damals umgebracht oder seien an Alkohol und Drogen gestorben. Caesar selbst ist seit 1990 trocken, schreibt Gedichte und malt Bilder, mit deren Hilfe sie ihre Kindheit verarbeitet. Ihr Buch „My Healing Journey“ stellte sie vor einer Woche auf der Leipziger Buchmesse vor und hat es auch heute mitgebracht, um es der Klasse zu zeigen.
Emotionale Thematik
Jana May, die auch im Englischunterricht sitzt, ist vom Vortrag betroffen. „Ich wusste nicht, dass so etwas Schreckliches vor gar nicht so langer Zeit passiert ist“, sagt die Schülerin nach dem Vortrag. Sie freue sich, dass auch solche Themen im Englischunterricht besprochen würden. Für sie war der Vortrag nicht nur interessant, sondern darüber hinaus auch eine gute Sprachübung. Auch Englischlehrerin Carola Winkler ist zufrieden, dass Mary Caesar die Schule besucht hat. Die Indianerin ist noch bis Samstag in Deutschland und hält Vorträge in Schulen, „damit“, so sagt sie, „dieses Verbrechen endlich bekannt und niemals vergessen wird“.
