Epizentrum bei Gröbers Epizentrum bei Gröbers: Stärkstes Erdbeben seit Jahrzehnten in Region Halle

Halle (Saale) - Eines der stärksten Erbeben der vergangenen Jahrzehnte in Ostdeutschland hat am Donnerstagmorgen um 8.38 Uhr den Raum Halle-Leipzig erschüttert. Mit einer Magnitude von 3,6 waren die Erschütterungen deutlich zu spüren. Im Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt berichtete besorgte Anrufer von klirrenden Gläsern und Geräuschen, als ob Lkw am Haus vorbeifuhren oder Schränke verschoben würden. Meldungen über Schäden gibt es zur Stunde noch nicht. Das Epizentrum lag in einer Tiefe von 22 Kilometer im Raum Queis, Gröbers (Saalekreis) und Wiedemar (Sachsen).
Der Begriff kennzeichnet eine Form von Erdbebenserien. Deren einzelne Beben treten in einem begrenzten Zeitraum auf und haben oft eine ähnliche Stärke. Zum ersten Mal verwendet wurde der Ausdruck Erdbebenschwarm 1899. In einer Abhandlung ging es damals um mehr als 100 Beben in der Region Vogtland/Westböhmen, die sich innerhalb von fünf Wochen im Jahr 1824 ereigneten. Schwarmbeben gibt es in Deutschland neben dem Vogtland zum Beispiel noch bei Bad Reichenhall.
Häufiger als man denkt: Forscher gehen von tausenden jährlich aus. Die meisten sind aber nur technisch messbar, werden vom Menschen nicht gespürt. Für Deutschland und angrenzende Länder wie Tschechien, Österreich, Schweiz oder Niederlande listet das Erdbeben-Informationssystem des Bundes in den vergangenen zehn Jahren rund 650 Beben, die eine Stärke von mindestens 2,0 hatten. Im Schnitt kommt in Deutschland einmal jährlich ein Erdbeben vor, dessen Magnitude über 4,5 liegt. Vorwiegend gibt es Beben an geologischen Störungszonen entlang des Rheintals, auf der Schwäbischen Alb und im Vogtland.
Nicht besonders. Dennoch gibt es vor allem im Süden immer wieder einmal leichte Beben - zum Beispiel an einer Störungszone im Raum Zeitz-Gera-Altenburg. Das Erdbeben-Informationssystem führt zuletzt auch am 3. Mai dieses Jahres um 5.46 Uhr ein Erdbeben der Stärke 2,5 bei Zeitz.
Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe war das stärkste seit 1900 ein Beben mit der Magnitude 5,9 im Jahr 1992 in der Niederrheinischen Bucht. Sein Epizentrum lag in den Niederlanden. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden damals 30 Menschen verletzt. Der in Deutschland entstandene Schaden wurde auf über 150 Millionen D-Mark geschätzt. Rund 300 Kilometer weit zu spüren war bereits 1978 ein Beben auf der Schwäbischen Alb mit der Stärke 5,7. Allein in Albstadt mussten dutzende Gebäude abgerissen werden, tausende Häuser wurden beschädigt.. Die Münchner Rück-Versicherung schätzte den Schaden an Gebäuden auf rund 275 Millionen D-Mark.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe wertet bundesweit Erdbeben ab Stärke 2,0 aus. Über einen Fragebogen auf der Webseite können dort auch Bürger, die ein Beben gespürt haben, ihr Wissen weitergeben. Zudem gibt es Landeserdbebendienste, die auch kleinste Beben messen. In Mitteldeutschland existiert in Kooperation der Länder mit weiteren Partnern ein regionales Überwachungsnetz mit rund 30 seismologischen Stationen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. In Sachsen-Anhalt gibt es drei: bei Wimmelburg (Mansfeld-Südharz), auf der Neuenburg (Burgenlandkreis) und in Flechtingen (Börde). In einigen Bergbaugebieten gibt es lokale Überwachungsnetze.
„Das war ein außergewöhnliches Ereignis“, sagte Bergamts-Geophysiker Ivo Rappsilber der Mitteldeutschen Zeitung. Zwar liege der Süden Sachsen-Anhalts auf einer geologischen Störungszone, die von Leipzig bis in den Raum Regensburg verlaufe. „So starke Beben soweit nördlich im Raum Halle sind aber sehr selten“, sagte Rappsilber. Normalerweise würden Beben dieser Stärke eher weiter südlich im Raum Zeitz, Gera und Ronneburg registriert. Im Süden Sachsen-Anhalts liegen auch einige Gemeinden in einer offiziell erdbebengefährdeten Gegend nach DIN.
Kaum wahrnehmbare Erschütterungen
Im Raum Halle würden zwar auch mehrmals im Jahr Beben registriert, diese seien aber mit einer Magnitude von unter 1 nicht zu spüren und nur mit Messinstrumenten wahrnehmbar. Stärkere, vom Menschen wahrnehmbare Erschütterungen seien zuletzt in den Jahren 2010 und 2014 in der Zeitzer Region registriert worden, sagte Rappsilber. Während im Landesamt für Geologie und Bergwesen nach dem Beben die Telefone nicht mehr stillstanden, bedauerte Rappsilber sehr, nicht zu Hause gewesen zu sein: „Ich wohne in der Gegend und hätte das gern gespürt.“ In der halleschen Behörde hingegen war nichts zu merken - wegen Bauarbeiten vor der Tür.
Sorgen muss sich nach Angaben des Geophysikers aber niemand machen, stärke Beben, die auch zu Schäden führten, seien in der Gegend um Halle extrem unwahrscheinlich. Grund dafür ist unter anderem die große Tiefe, in denen sich die Beben ereigneten. Anders verhalte es sich mit Gebirgsschlägen in Bergwerken. Da diese bereits in einer Tiefe von 500 bis 1.000 Meter liegen, seien auch schon einstürzende Hohlräume ab einer Magnitude von 1,5 zu spüren - zuletzt in Zappendorf (Saalekreis). Ein Gebirgsschlag mit einer Magnitude von 4,9 ereignete sich 1996 in der Grube Teutschenthal und richtete zum Teil erhebliche Schäden an.
Beben der Stärke 3 gelten als sehr leicht
Die Erdbebenskala ist logarithmisch aufgebaut, dass heißt, ein Erbeben der Stärke 3,6 wie gestern ist 360 Mal so stark wie eines der Stärke 1. Diese Angaben dienen vor allem dem Vergleich von Beben. Noch deutlicher wird es allerdings, wenn die freigesetzte Energie eines Erdstoßes zum Vergleich herangezogen wird. „Da reden wir über Werte bis hin zum 90-fachen zwischen den einzelnen Stärken“, so Rappsilber. Die verwendete Magnitudenskala ist theoretisch nach oben offen, Beben stärker 10 wurden aber noch nie registriert. Beben der Stärke 3 gelten als sehr leicht, Schäden sind erst ab einer Magnitude über 4 zu erwarten. Zum Vergleich: Bei Werten über 9 gibt es verheerenden Schäden im Umkreis von Tausenden Kilometer. Ein Beben der Stärke 9 wurden im März 2011 vor Japan registriert, es löste jene Tsunamis aus, die das Atomkraftwerk Fukushima zerstörten. (mz)
