"Sie hat mich gerettet" Elisabeth-Krankenhauses in Halle: Wie Babylotsen Schwangeren durch schwere Zeiten helfen

Halle (Saale) - Zuerst meinten die Ärzte, dass mein Kind bereits tot ist. Dabei war ich am Abend zuvor noch beim Ultraschall gewesen. Der Frauenarzt sagte mir, dass ich einen Jungen bekomme. Alles war in Ordnung. Die Welt war in Ordnung.
Doch dann, am nächsten Tag, hatte ich diese Blutungen. Ganz plötzlich, während des Einkaufens. Woher auch immer. Am 24. Mai war das, über fünf Monate vor dem errechneten Geburtstermin. Ich bin sofort ins Krankenhaus gefahren. Und dort haben die Ärzte dann ein Hämatom in meinem Bauch festgestellt. Und sie sagten, dass mein Kind nicht mehr lebt und das ich es noch in der Nacht zur Welt bringen soll.“
Als sie den letzten Satz sagt, hält Ina Becker kurz inne. Ihre Augen schimmern im Licht. Die junge Frau, 31 Jahre alt, ringt um Fassung. Sie holt Luft: „Aber ich musste meinen kleinen Jungen in dieser Nacht nicht zur Welt bringen. Er lebte noch.“
Im Januar startete das Babylotsen-Projekt am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara
Ina Becker heißt nicht wirklich Ina Becker. Ihren richtigen Namen will die Pädagogin aus der Nähe von Magdeburg nicht nennen. Zum einen, weil sie im öffentlichen Dienst arbeitet. Aber auch, weil die Zeit, über die sie spricht, eine schwere Zeit war, mit viel Ungewissheit und bangen Momenten. Dass sie trotzdem die Geschichte ihrer Schwangerschaft erzählt, hängt mit Diana Hofmeister zusammen. „Ohne sie wäre in den schweren Monaten vieles komplizierter gewesen“, sagt Ina Becker. „Sie hat mich durch diese Zeit gerettet.“
Diana Hofmeister ist eine von zwei Babylotsinnen am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. Dort kommen im Jahr etwa 2.000 Kinder zur Welt. So viele, wie nirgendwo sonst in Sachsen-Anhalt. Im Januar startete das Babylotsen-Projekt. Bisher ist es einzigartig im Land.
„Unsere Arbeit ist mit der eines Lotsen schon vergleichbar“, erklärt Psychologin Hofmeister. „Wir sind eine Art Wegweiser für Eltern und vermitteln den Kontakt zu Behörden und Organisationen, die jungen Familien Hilfe anbieten.“ Außerdem betreuen die Babylotsen Mütter und Väter, die wie Ina Becker Beistand in einer schwierigen Lebensphase brauchen.
„Und dann kommt dieser Tag, wo einem gesagt wird, dass das Baby wahrscheinlich tot ist“
„Wir haben ein Jahr lang versucht, ein Kind zu bekommen. Es war ein absolutes Wunschkind. Und als es dann soweit war, habe ich diese neue Rolle total genossen. Ich hab mir schicke Schwangerschaftssachen gekauft, mir ausgemalt, was ich alles machen kann, wenn der Mutterschutz beginnt. Und dann kommt dieser Tag, wo einem gesagt wird, dass das Baby wahrscheinlich tot ist. Diese ganzen schönen Gedanken sind schlagartig weg, Man weint bloß noch.
Und dann sagen die Ärzte, dass es doch noch lebt. Die Stimmung geht wieder hoch und man hofft jeden Tag, dass man wieder aus dem Krankenhaus darf. Mittlerweile weiß ich ja, dass diese Hoffnung vergebens war.“
Ina Becker liegt zuerst in Magdeburg im Krankenhaus. Allerdings bleibt sie dort nicht. Mitte Juni hat sie erneut Blutungen. Noch heftiger als zuvor. Die Ärzte gehen fest davon aus, dass ihr Kind zur Welt kommen wird. In Magdeburg sind allerdings alle Plätze für Frühchen belegt. Mit einem Nottransport wird sie ins Elisabeth-Krankenhaus nach Halle gebracht.
Viele Mütter und Väter brauchen während oder nach der Schwangerschaft Hilfe
„Es musste ganz schnell gehen. Ich hatte kaum Zeit, meine Sachen zu packen. Bei der Ankunft in Halle waren die Blutungen allerdings bereits vorbei. Alles hatte sich beruhigt. Und mein Kind, das kam auch dieses Mal nicht zur Welt. Dafür schwirrten hunderte Gedanken in meinem Kopf herum, alles war ja so unsicher.
Ich malte mir schlimme Szenarien aus: Was ist, wenn ich operiert werden muss und danach im Koma liege. Was bedeutet das für das Kind und für meinen Partner. Bekommt er überhaupt Auskunft, darf er sich um das Kind kümmern. Wir sind nicht verheiratet, hatten auch noch keine Vaterschaftsanerkennung gemacht - es war ja alles noch so früh. Ich fragte auf Station nach, ob ich mit jemanden darüber reden kann. Und eine Stunde später kam Frau Hofmeister schon zu mir.“
Viele Mütter und Väter brauchen während oder nach der Schwangerschaft Hilfe, haben Frage oder Sorgen. Das Babylotsen-Projekt zeigt das eindrücklich. Im ersten Halbjahr hatten 36 Prozent der Frauen, die im Elisabeth-Krankenhaus entbunden haben, auch Kontakt mit Diana Hofmeister und ihrer Kollegin: „Dass der Bedarf groß ist, spüren wir täglich“, sagt Hofmeister. Wichtig sei ihr, dass es sich dabei nicht nur um sozial schwache Familien handelt. „Jeder Mensch, ob Anwalt oder Arbeitsloser, ob stark oder schwach, fühlt sich mal überfordert.“ Umso mehr sei das der Fall, wenn es zu Ausnahmesituationen wie bei Ina Becker kommt.
„Für mich ist das noch immer ein Wunder“
„Das mit der Vaterschaftsanerkennung war schnell geklärt. Frau Hofmeister organisierte, dass jemand vom Jugendamt ins Krankenhaus kam. Als die Dokumente dann ausgefüllt waren, war das eine riesige Erleichterung für mich. Aber: Ich musste ja trotzdem in Halle bleiben, einer fremden Stadt. Mein Partner kam so oft es ging. Aber er ist viel auf Montage, oft auch an Wochenenden. Freunde und Familie waren natürlich auch da, allerdings geht das nicht sieben Tage die Woche. Das kann man von niemandem verlangen. So war ich oft auf mich gestellt und froh, wenn Frau Hofmeister vorbei kam und wir reden konnten. So verging die Zeit zumindest ein bisschen schneller. Und Mitte August kam mein Sohn dann zur Welt. In der 27. Woche, noch immer viel zu früh. Er wog nur 980 Gramm, aber alles war an ihm dran. Für mich ist das noch immer ein Wunder.“
Endlich nach Hause nach Aufenthalt im Krankenhaus
Aber dieses Wunder, so schwer wie eine Tüte Milch, braucht noch Zeit. Der kleine Junge kommt in einen Brutkasten. Seine Mutter, Ina Becker, kann bei ihm bleiben. Zwar nicht auf der Frühchenstation, dafür aber in einer Wohnung, die das Krankenhaus extra für Eltern bereit stellt, die nicht aus Halle kommen. Vermittelt wurde das Apartment durch Diana Hofmeister.
„Ich gehe jetzt jeden Tag mehrere Stunden zu ihm, wickle ihn, gebe ihm die Brust oder das Fläschchen und kuschle mit ihm. Wenn ich nicht auf der Frühchen-Station sein kann, vertreibe ich mir im Krankenhaus die Zeit. Beim Kaffee treffe ich dann oft Frau Hofmeister und wir erzählen ein wenig. Es ist so wichtig für mich, dass ich weiß, dass immer jemand da ist, ein bekanntes Gesicht, mit dem man zwanglos reden kann.“
Die Trauer sei bei Ina Becker gewichen, findet Diana Hofmeister. „Mit jedem Tag wird sie entspannter, fröhlicher und lächelt viel mehr“, sagt die Babylotsin. Es werde ihr immer klarer, dass alles doch in Ordnung kommt, dass der Weg, der so unerwartet begann und so herausfordernd war, doch noch zu einem guten Ende führt.
„Der Kleine macht sich wirklich toll, er hat schon viel zugenommen und kämpft sich ins Leben. An den Alltag im Krankenhaus habe ich mich irgendwie gewöhnt. Das musste ich ja auch. Und die Babylotsen haben mir das erleichtert. Dafür bin ich dankbar. Aber trotzdem“, sagt Ina Becker. „sehne ich den Tag schon herbei, an dem mein Sohn und ich endlich nach Hause dürfen.“
Erste Lotsen im Osten im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle
Das Programm Babylotsen wurde von der Stiftung „See You“ aus Hamburg entwickelt. Bisher wird es bundesweit in 31 Kliniken durchgeführt. Das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle ist die erste Einrichtung in Ostdeutschland, die das Programm anbietet. Die Anschubfinanzierung wurde über das Spendenprojekt „Deutschland rundet auf“ eingeworben. Außerdem hat das Elisabeth-Krankenhaus entschieden, die zwei Babylotsen-Stellen dauerhaft einzurichten. Zusätzliche Unterstützung kommt von der Stadt Halle durch das Förderprogramm „Frühe Hilfen“.
(mz)