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Eissporthalle in Halle Eissporthalle in Halle: Flutkatastrophe als Konjunkturprogramm

Von Steffen Könau 09.05.2014, 07:07
Frank Busch in der vom Hochwasser geschädigten Eissporthalle in Halle: Das marode Gebäude soll durch einen Neubau ersetzt werden.
Frank Busch in der vom Hochwasser geschädigten Eissporthalle in Halle: Das marode Gebäude soll durch einen Neubau ersetzt werden. Andreas Stedlter Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Der Mann am Rand des Eisovals ohne Eis hebt hilflos die Hände. Bis hierher, sagt er, stand das Wasser. Nicht höher. Der Arm von Andreas Werkling zeigt auf eine Linie unter Kniehöhe, die Wand ist frisch gestrichen. Nichts mehr zu sehen vom Wasser, das vor einem Jahr durch die Eissporthalle schwappte, in der Werkling selbst jahrelang dem Puck hinterhergejagt ist. Gemeinsam mit seinem Kollegen Frank Busch hat er danach den Verein Saaleteufel mitbegründet und später als Hallenpächter für die Saale Bulls gearbeitet.

Dann allerdings kam der Juni 2013, es kam erst die Jahrhundertflut und dann die Kündigung des Pachtvertrages durch die Stadt Halle, gegen die Werkling und Busch mittlerweile klagen. Denn zwar war die vor 45 Jahren eingeweihte Arena während der Flutwochen im Juni 2013 völlig überflutet. Aber das war keine Premiere. Auch diesmal sind Werkling und Busch nach dem Durchrollen der Scheitelwelle darangegangen, gemeinsam mit Hunderten von Helfern Schlamm zu kratzen und Wasserschäden zu beseitigen. Eishockeyfans aus ganz Deutschland kamen, um anzupacken. „Vier Wochen nach der Flut“, sagt Werkling heute, „waren wir eigentlich wieder betriebsbereit.“

Ende statt Neustart

Eigentlich. Denn statt eines Neustartes kam die Kündigung für Werkling und Busch, die mit dem Eigentümer Stadt schon seit Jahren immer wieder im Clinch um Nebenkosten und Zuschüsse liegen. Die Lage der Halle im Überflutungsgebiet verbiete eine nochmalige Sanierung, begründet Stadtsprecher Markus Folgner. Von Land und Bund angebotene Fluthilfemittel seien besser angelegt, wenn damit eine moderne neue Arena gebaut werde.

Ein im Auftrag der Stadt erstelltes Gutachten bestätigt die Entscheidung. „Es kam zu dem Ergebnis, dass teils irreparable Schäden entstanden sind“, beschreibt Markus Folgner. Die Schäden seien so hoch, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliege. „Es wurde ein Schaden von insgesamt 13,7 Millionen Euro ermittelt.“ Hinzu kämen Abrisskosten für den Komplex der Eissporthalle in Höhe von 2,3 Millionen Euro. Eine Sanierung der alten Halle hätte Mehrkosten in Höhe von 5,7 Millionen Euro verursacht, die die Stadt zudem allein hätte tragen müssen. Deshalb und wegen des ohnehin fehlenden Hochwasserschutzes habe man sich für einen Neubau mit Fluthilfemitteln entschieden.

Nach Ansicht von Andreas Werkling eine unnötig kostspielige Lösung. „Mit einem Bruchteil des Geldes hätte man unsere Halle auf Vordermann bringen können“, glaubt er. Nicht, dass das aus seiner Sicht nötig wäre. „Die Eisanlage ist repariert, wir könnten morgen Eis machen.“ Es hätte weitergehen können, seit Monaten schon. Wenn Strom da wäre, den die Stadt jedoch abgeklemmt hat. „Man will verhindern, dass wir zeigen, dass die Halle hier kein Totalschaden ist“, glaubt Werkling.

Markus Folgner kontert. „Bedingt durch den altersgemäßen Verschleiß der baulichen Anlage wäre bei einer Sanierung zusätzlich mit einem erheblichen Aufwand auch für die von der Flut nicht betroffenen Gebäudeteile der Eissporthalle zu rechnen gewesen“, sagt er. Die Sanierung der Dachfläche, die Brandschutzsanierung und der Umbau der Tribünen nach neuesten Sicherheitsstandards - „all das wäre nicht förderfähig gewesen“.

Werkling, vom Typ her eher Handwerker als Diplomat, will das nicht akzeptieren. Vielleicht auch, weil nie jemand mit ihm gesprochen hat. Werkling, der den Eishockeysport in Sachsen-Anhalt gerettet hat und heute selbst Rettung bräuchte, schüttelt den Kopf. „Wir haben angerufen, wir haben gemailt, wir haben nie Antwort bekommen“, sagt er. Ganz allmählich ist dem 46-Jährigen klargeworden, dass er in einem größeren Spiel steckt. Hier geht es eigentlich gar nicht um ihn oder die Halle oder die Motoren der Eismaschine.

Einzigartige Gelegenheit

Es geht vielmehr um eine historische Chance: Die Flut, auf ihrem Höhepunkt als Jahrhundertkatastrophe wahrgenommen, entpuppt sich zehn Monate danach als einzigartige Gelegenheit, die öffentliche Infrastruktur zu erneuern. Waren nach dem letzten Hochwasser Hilfsgelder gerade eben so geflossen, dass sich damit ein paar Flickschustereien finanzieren ließen, ist diesmal alles anders. Diesmal dürfen Kommunen mit großzügiger Förderung selbst für Neubauten rechnen, die alte, von der Flut betroffene öffentliche Gebäude ersetzen. Mittel gebe es, heißt es in der maßgeblichen Richtlinie, für den „nachhaltigen Wiederaufbau und die Wiederbeschaffung von baulichen Anlagen“. Und das auch, wenn sie „von den vom Hochwasser zerstörten oder beschädigten Einrichtungen abweichen, aber der Wiederherstellung der Funktion dienen“. Voraussetzung ist nur, dass Neubauten „zur Vermeidung möglicher künftiger Schäden besser geeignet sind“.

Eine Formulierung, die Fantasien weckt, weil sie für jede finanziell gebeutelte Kommune wie ein Einladungsschreiben klingt. Wer es schafft, Schäden plausibel zu machen, aufgrund derer eine Sanierung vorhandener Einrichtungen nicht mehr lohnt, dem winken Förderbescheide, mit denen sich komplette neue Anlagen bauen lassen. Statt einer alten Eissporthalle spült die Flut so eine neue an. Statt einer Open-Air-Bühne, die vom ersten Tag an zu niedrig für große Konzerte war, ließe sich eine für Mega-Events taugliche errichten.

Nicht nur in Halle, das derzeit eine Schadensliste im Wert von 281 Millionen Euro führt, ist das erkannt worden. Auch Magdeburg kalkuliert bis 2016 mit 230 Millionen Euro für die Schadensbeseitigung. Insgesamt rechnet die Landesregierung mit Schäden von einer Milliarde Euro an der Infrastruktur, die mit Geld aus dem acht Milliarden Euro schweren Fluthilfefonds von Bund und Ländern behoben werden müssten.

Es ist ein gigantisches Konjunktur- und Modernisierungsprogramm für das Land, finanziert überwiegend vom Bund und umso lieber angenommen. 100 Millionen Euro zahlt Sachsen-Anhalt in den nächsten 20 Jahren in den Flutfonds ein. Herausspringen werden Zahlungen in zehnfacher Höhe.

Die Regeln, nach denen das Geld vergeben wird, sind streng. Aber sie stehen der Kreativität der Stadtväter nicht im Wege. „Die Richtlinie Hochwasser schreibt nicht zwingend Schadensgutachten vor“, erläutert Gabriele Städter vom Landesverwaltungsamt in Halle. Dennoch werde bei größeren Schäden regelmäßig ein Gutachten verlangt. „Die werden dann auf Plausibilität überprüft und es wird nachgeprüft, ob sie sich mit dem beschriebenen Schaden decken.“ Diese Prüfung erfolgt allerdings nach Papierform. Eine zusätzliche Vor-Ort-Überprüfung durch baufachlich geschultes Personal erfolge nur „stichpunktartig oder aus begründetem Anlass“.

Anlass zu Vor-Ort-Prüfungen gäbe es genug, denn unter den 234 Posten der halleschen Flutschaden-Wunschliste finden sich neben der Eishalle auch Vorhaben wie der Neubau einer Freilichtbühne auf der Freizeitinsel Peißnitz und ein Ersatzbau für das städtische Katastrophenschutzzentrum, das derzeit in Halle-Neustadt steht und trotz seiner Lage 900 Meter hinter dem Passendorfer Damm als flutbedroht gilt.

Gewichtige Argumente

Die Eissporthalle liegt vor dem Damm, das weiß auch Thomas Bilshausen, der mit seiner Firma Fiba die Eismaschinen im alten Gebäude betreibt. Ein gewichtiges Argument. Auch er versichert zwar, dass die alte Eishalle so gut wie betriebsbereit sei. „Wir haben nur mit den Reparaturen aufgehört, weil kein Interesse mehr besteht.“ Bilshausen ist klar, dass die Gelegenheit für die Stadt günstig wie nie ist. Sie ungenutzt vorüberziehen zu lassen, würden nachfolgende Generationen der Rathausspitze kaum verzeihen. Thomas Bilshausen zeigt auf die Eismaschinen, deren Motoren nach dem Hochwasser schnell repariert wurde. Mit Hilfe von Fluthilfe-Sofortmitteln. Künftig werden sie in der neuen Halle durch neue Eismaschinen ersetzt, die mit Hilfe von Mitteln aus der Fluthilfe finanziert werden.

Bilshausen immerhin sieht es gelassen. Er verweist auf Vertragskonstruktionen mit der Stadt, die seiner Firma etliche Rechte sichern - darunter das, auch in einer neuen Halle am selben Ort das Eis zu machen. Über kurz oder lang werde die Stadt ja doch mit ihm reden müssen, ist er sicher.

Auch Eishallen-Chef Andreas Werkling hat noch nicht aufgegeben. Seine Hoffnungen hängen am Gutachten eines unabhängigen Experten, den das Gericht im Prozess um die Räumungsklage bestellt hat. Er wolle, sagt er, nicht einsehen, „dass eine funktionierende Halle mit einem Federstrich abgerissen wird“. Auch wenn sie im Herbst, wenn das Gutachten vorliegt und das Urteil fällt, vielleicht schon abgerissen sein wird.

Das Saalewasser stand im Sommer 2013 nicht nur auf dem Vorplatz der Eissporthalle, sondern schwappte auch in das Gebäude.
Das Saalewasser stand im Sommer 2013 nicht nur auf dem Vorplatz der Eissporthalle, sondern schwappte auch in das Gebäude.
Silvio Kison Lizenz