Ehemaliges Maritim-Hotel in Halle Ehemaliges Maritim-Hotel in Halle: 500 erschöpfte Flüchtlinge kommen zur Ruhe

Halle (Saale) - „Do not cross the Street“ hat jemand in englischer und arabischer Sprache mit schwarzem Stift auf weißes Papier geschrieben: Nicht über die Straße laufen! Mit Klebestreifen sind die Blätter zwar notdürftig, aber unübersehbar an die Betonsäulen geheftet, die das Vordach des früheren Maritim-Hotels tragen.
Die als Vorsichtsmaßnahme gedachten Worte sind an Flüchtlinge gerichtet, die in den vergangenen Tagen in dem Gebäude am Riebeckplatz vorübergehend eine Bleibe gefunden haben. Rund 550 Asylsuchende werden seit ihrer sukzessiven Ankunft im Laufe der vergangenen Woche nun in dem von den Maltesern betriebenen ehemaligen Hotel betreut. Doch nur der neuerdings fehlende Schriftzug „Maritim“ und die Polizeibeamten vor dem Haus lassen ahnen, dass dies inzwischen kein Hotel mehr ist.
Weder Müll noch Krawall
Mehrere Polizeifahrzeuge - zwei vor dem Haupteingang, eins hinter dem einstigen Hotel - und ein paar Menschen mehr vor dem Maritim, als man es bisher gewohnt war, lassen aber doch erkennen, dass dies nun eine Flüchtlingsunterkunft ist. Eine, in deren Umgebung es so friedlich und still wie an vielen anderen Plätzen der Stadt ist. Wenn man erwartet hatte, es gäbe Müll in den Grünanlagen - Fehlanzeige. Lärm oder gar Krawall? Ebenso. Am Sonntagabend indes stehen gut 120 Demonstranten des „bürgerlichen Spektrums“, so die Polizeiangaben, in Maritim-Nähe. Offenbar erwarten sie rechte Protestierer, aber die kommen nicht.
An die gut gemeinte Warnung, die Straße nicht zu betreten, hält sich kaum einer der Flüchtlinge. Eine Familie - ein Mann, eine Frau und drei kleine Kinder - sucht sich den kürzesten Weg zwischen Maritim und Bahnhof und ignoriert auch das rot-weiße Polizeiabsperrband.
Flüchtlinge gehören schon zum Stadtbild
Glücklicherweise ist an diesem Samstagnachmittag der Verkehr auf der Merseburger Straße aber ruhig, so dass die Fünf unbeschadet ihr Ziel auf der anderen Straßenseite erreichen. „Wir wollen da nicht unbedingt eingreifen“, so einer der Polizisten vor dem Hotel. Schließlich würden die gerade angekommenen Flüchtlinge die üblichen Wege nicht kennen. Und: „In deren Heimat galten sicher andere Regeln - oder vielmehr gar keine.“
Fast alle Fenster stehen an diesem warmen Spätsommertag offen, aus einem hört man das Weinen eines Babys, aus einem anderen schauen zwei junge Syrer hinunter auf den Riebeckplatz. Und aus ein paar weiteren hängen Jeans und T-Shirts zum Trocknen in der Oktobersonne. Wie das so ist, wenn man mal schnell ein paar Sachen durchwäscht und keinen Platz zum Aufhängen hat. Vor dem Hotel sitzen ein paar junge Männer. Einige schlendern in Richtung Riebeckplatz, sitzen dort auf den Stufen und gehören damit schon zum Stadtbild.
Zurück zum Maritim: Jemand kommt mit einen Beutel Müll aus dem Hotel, schaut sich suchend nach einem Papierkorb um und stellt dann seine Abfalltüte daneben, zu den anderen. Ein kurzer Plausch mit einem Betreuer der Malteser, und schon ist der ältere Mann wieder im Gebäude verschwunden. Zwischen den Blumenkästen vor dem Maritim flitzen auch ein paar Kinder umher. Einige von ihnen haben ein paar Kastanien gesammelt und sie zu kleinen Haufen auf den Rand der Beton-Blumenkästen aufgeschichtet. Kinder finden eben - egal wo auf der Welt - immer etwas zum Spielen. Viel ist es schließlich nicht, womit sich vor allem die Kleinen im Umkreis des Hotels beschäftigen können. Kaum einer der Flüchtlinge hat eine Ahnung davon, ob und wo man in der Nähe einen Spielplatz oder eine Wiese findet. So genießen also die syrischen Familien so gut es geht die Wochenendruhe in der ihnen in den wenigen Tagen seit ihrer Ankunft so langsam vertraut gewordenen Umgebung.
Am Abend dann, als Silly auf dem Marktplatz zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit ein Konzert gibt, ist der Platz voller Menschen. Die Hallenser freuen sich zu Tausenden über den Feiertag - auch wenn er in diesem Jahr auf einen Samstag fällt und damit fast ein Samstag wie jeder andere ist. Sie lauschen dicht gedrängt der Musik auf der Bühne, essen Bratwurst, trinken Bier und stehen plaudernd in losen Grüppchen. Und hier und da tauchen auch ein paar Fremde auf, zumeist zu dritt oder auch mal zu viert. Vielleicht wissen nicht alle von ihnen, was die Deutschen da feiern. Aber dass es ein entspanntes Fest auf dem halleschen Markt ist, das spüren auch sie. (mz)


