Die Widerspenstigen Die Widerspenstigen: "Frauen für Frieden" in der DDR

Halle (Saale) - Schon dieser erste Schritt war sehr mutig. „Wir hatten das neue Wehrdienstgesetz der DDR gelesen, das auch die Musterung von Frauen vorsah“, erinnert sich Heidi Bohley an jene Tage Anfang der 80er Jahre. Zuerst protestierten Frauen einzeln gegen diesen Schritt zu noch mehr Militarisierung. Dann wurde eine Gemeinschaftseingabe an den Staatsrat geschickt. „In Berlin unterschrieben 100, in Halle 50 Frauen - mit vollem Namen und Adresse“, beschreibt Heidi Bohley.
In Halle wurden aus den Unterzeichnerinnen die „Frauen für den Frieden“, eine der Keimzellen dessen, was sieben Jahre später als Neues Forum eine Alternative zur SED-Herrschaft werden sollte.
So weit aber dachten die Frauen anfangs gar nicht, die die Staatssicherheit in einem Operativen Vorgang namens „Wespen“ bearbeitete.
Neben Heidi Bohley gehörten auch die Bibliothekarinnen Katrin Eigenfeld und Ruth Ermentraut, die Physikerin Brunhild Köhler, die Ärztinnen Luise Kinzel und Helga Peschke, die Künstlerin Ute Lohse sowie die Theologinnen Christine Günther, die inzwischen verstorbene Sabine Wolff, Myriam Voß, Birgit Neumann und weitere Frauen zur Gruppe.
„Wir nannten uns in Anlehnung an die westliche Friedensbewegung gegen Nato-Raketen, die von der SED-Propaganda gefeiert wurde, ,Frauen für den Frieden´, protestierten aber gleichermaßen gegen sowjetische Atomraketen“, erzählt Heidi Bohley, wie alle anderen Frauen damals Ende 20, Anfang 30 und auf der Suche nach neuen Freiheitsgraden im festgeschmiedeten DDR-Staatssozialismus.
Als „Selbstverteidigung gegen die Zumutungen der Diktatur“ sieht sie das Aufbegehren der Frauen für den Frieden damals. In der Frauengruppe, die auch bei der Kirche erst Widerstände überwinden muss, ehe sie vom evangelischen Kreiskirchenamt als Arbeitsgruppe anerkannt wird, finden sich ganz unterschiedliche Charaktere zusammen.
Die Mitglieder kommen aus den verschiedensten Berufen, sie sind katholisch und evangelisch geprägt, friedensbewegt und von Václav Havels Buch „Versuch, in der Wahrheit zu leben“ beeindruckt.
Es geht ihnen nicht um die Abschaffung der DDR oder des Sozialismus, wenn sie Eingaben schreiben, Briefe an Erich Honecker unterzeichnen oder direkt ins Wehrkreiskommando stiefeln, um dessen Chef zu befragen, wie das gemeint ist mit der Musterung von Frauen für den Kriegseinsatz.
Allein, so erinnert sich Helga Peschke heute, hätte vermutlich kaum eine von ihnen den stillen, manchmal aber auch lauten Aufstand gewagt.
Frauen für Frieden: In der Gruppe konnten sie sich aufeinander verlassen
In der Gruppe aber konnte man sich aufeinander verlassen, stützte sich, hatte auch viel Spaß zusammen und schaffte es so, gegen die Furcht, die immer wieder aufkam, anzukämpfen.
„Auf die Einzeleingaben kam gar keine Antwort, wer aber zusammen etwas unterschrieb, machte sich sofort der ,staatsfeindlichen Gruppenbildung’ verdächtig“, erklärt Heidi Bohley.
Doch Stillhalten sei eben auch keine Alternative gewesen, obwohl das Wehrdienstgesetz bereits verabschiedet war. Ihre Schwägerin Bärbel Bohley, die in Berlin die Gemeinschaftseingabe mit formuliert und die dortige Gruppe der Frauen für den Frieden gegründet hatte, habe immer von einem Test gesprochen, den der Staat permanent durchführe.
„Sie machen was und wenn kein Widerstand dagegen kommt, zünden sie die nächste Stufe“.
So gesehen sei jede einzelne Eingabe, jede Protestunterschrift, so hilflos sie auch schienen und so gefährlich sie auch waren, ein deutliches Zeichen an den Staat gewesen: „Wir haben bemerkt, was ihr tut.“
Ein Signal, das zumindest beim Wehrdienstgesetz beim Adressaten ankam. „Ein tatsächlicher Erfolg war, dass Frauen aus dem medizinischen Bereich und dem Fernmeldewesen, die bereits einen Musterungsbescheid erhalten hatten, wieder zum Wehrkreiskommando einbestellt wurden, wo ihnen der Bescheid wieder abgenommen wurde.“
Man habe zwar „Frieden gesagt, aber auch Bürgerrechte gemeint“
Fast alle Frauen, die mitmachen, sind Mütter und verheiratet mit Männern, die den Wehrdienst verweigert haben. Sie treibt die Furcht vor der zunehmenden Militarisierung des zivilen Lebens.
Gleichzeitig, formuliert Heidi Bohley heute, habe man mit der Forderung nach Abrüstung verdeckt auch die in der Verfassung verbrieften Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit durchsetzen wollen. Man habe zwar „Frieden gesagt, aber auch Bürgerrechte gemeint“.
Das wurde, erinnert sich Brunhild Köhler, ausgerechnet Frauen besonders schwergemacht. „Als wir versuchten, bei der Kirche unterzukommen, um nicht Gefahr zu laufen, wegen illegaler Treffen verfolgt zu werden, hieß es anfangs, wir würden das Dach der Kirche missbrauchen.“
Stasi habe versucht sie zu knacken: Frauen für Frieden
Der katholische Bischof in Magdeburg distanzierte sich dem Staat gegenüber von den Aktivitäten der halleschen Katholikinnen und kritisierte sie, weil ihre Friedensarbeit die Existenz der Kirche gefährde.
„Erst als wir im Büro des Superintendenten standen und sagten, wir gehen nicht ohne die Anerkennung als Arbeitskreis, fand sich dann bei der evangelischen Kirche ein Weg.“
„Wir haben die Kirche nicht um Erlaubnis gefragt, sondern nur informiert. Das war man nicht gewohnt“, sagt Heidi Bohley.
Da die Frauen für den Frieden weder konspirativ arbeiteten noch Sprecherinnen haben, „waren wir für die Stasi, die nach ,Hintermännern’ und ,Rädelsführern’ suchte, schwer einzuordnen“, sagt Heidi Bohley. Und damit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nicht zu knacken.
Eine Frau hatte das MfS zwar eigens als IM in der Gruppe platziert, alle anderen Versuche aber, unter den Frauen Zuträger zu gewinnen, scheiterten.
„Wir sind uns nicht in den Rücken gefallen“, sagt Brunhild Köhler, „keine von uns ist der freundlichen Einladung gefolgt, zum Verräter zu werden.“ Am Ende der „Frauen für den Frieden“ ist der MfS-Spitzel dennoch schuld.
Im Sommer 1989 löst sich die Gruppe zumindest offiziell auf, um die vermutete Stasi-Frau nicht mehr zu den Treffen einladen zu müssen. Bei denen wird nun schon die Gründung des Neuen Forum vorbereitet. Alles in allem, sagt Heidi Bohley heute, „haben wir nichts Besonderes gemacht - nur dass wir es in der DDR getan haben, das war besonders.“ (mz)
