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Die Millionen-Klage Die Millionen-Klage: Wie eine jüdische Gemeinde in Halle um ihr Geld kämpft

Von Alexander Schierholz 25.03.2020, 07:00
Kerzen stehen vor der Synagoge in Halle im Gedenken an den Anschlag.
Kerzen stehen vor der Synagoge in Halle im Gedenken an den Anschlag. dpa

Halle (Saale) - Wer mit Karl Sommer spricht, erlebt einen zurückhaltenden, besonnen wirkenden Mann von 82 Jahren, dem Auseinandersetzungen hörbar unangenehm zu sein scheinen. „Wir wollen doch nicht streiten“, sagt dieser Karl Sommer, „wir wollen doch nur das bekommen, was uns zusteht.“ Wer Mails und Briefe von Karl Sommer liest, dem bietet sich ein anderes Bild: Zehn Seiten umfasst Sommers jüngstes Schreiben an das Verwaltungsgericht Magdeburg.

Darin ist die Rede von „kriegsähnlichen Mitteln“, von „Zerstörung“ und „gezielter Eliminierung“. Das Opfer, aus Sicht des Verfassers: die jüdische Synagogengemeinde Halle, der er seit 1995 vorsteht. Die Täter demnach: der Landesverband der Jüdischen Gemeinden und das Land Sachsen-Anhalt.

Synagogengemeinde in Halle kämpft um Geld

Mit dem Schreiben hat Sommer Klage eingereicht gegen das Land, wieder einmal. Damit geht ein seit 25 Jahren währender Rechtsstreit in eine neue Runde. Sommers Synagogengemeinde verlangt staatliche Zuschüsse, die ihr aus ihrer Sicht zustehen, die sie aber nicht erhält. Es gab unzählige Gerichtsverfahren, mal wurden die Klagen von Sommer und seinen Gläubigen auf die Geldzahlungen abgewiesen, mal bekamen sie Recht.

Doch die praktischen Folgen auch in den Fällen, in denen sie vor Gericht obsiegten? Null, sagt Sommer: „Wir bekommen seit Jahren keinen Cent, nichts.“ Hätten sie mal Gelder erhalten, seien diese später wieder zurückgefordert worden. Nach Darstellung ihres Vorstehers schuldet das Land der Synagogengemeinde mittlerweile fünf Millionen Euro. Die Folge: Die Gemeinde ist de facto zahlungsunfähig. Ein Antrag auf Insolvenz wurde vom Gericht mangels Masse abgelehnt.

Jüdische Gemeinde geht leer aus

Grundlage für die Zahlungen ist ein Staatsvertrag zwischen dem Land und der Jüdischen Gemeinschaft. Auch Sommer hat ihn für seine Gemeinde unterzeichnet. Demnach schüttet das Land jährlich rund zwei Millionen Euro aus, der Landesverband der Jüdischen Gemeinden verteilt die Mittel. Doch die Synagogengemeinde geht leer aus - sie gehört dem als orthodox geltenden Landesverband nicht an. Sommer und ein paar Gleichgesinnte hatten sich 1995 von der Jüdischen Gemeinde zu Halle abgespalten, sie begreifen sich als Reformjuden.

Mit seiner jüngsten Klage gegen das Land geht es Sommer nicht um Geld. Es handelt sich um eine so genannte Auskunftsklage. Damit will die Gemeinde das Land zwingen, in dem seit Jahren tobenden millionenschweren Rechtsstreit Farbe zu bekennen und sich zu positionieren. Werde der Auskunftsklage stattgegeben, werde die Gemeinde auch wieder die Zahlung der ihr aus ihrer Sicht zustehenden Staatsmittel einklagen - zum wiederholten Mal. Doch das Land hält sich betont zurück.

Der Finanzstreit sei eine innerjüdische Angelegenheit, sagt ein Sprecher des zuständigen Bildungsministeriums. Auch der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden und Chef der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, will sich zu der neuerlichen Klage seines Widersachers Sommer nicht äußern.

Synagoge fürchtet nach Anschlägen um Sicherheit

Dieser sorgt sich vor dem Hintergrund der Anschläge von Halle und Hanau auch um die Sicherheit seiner Gläubigen. In seiner Klageschrift an das Verwaltungsgericht Magdeburg nimmt er ausdrücklich Bezug auf beide Attentate. Doch instrumentalisiert er diese Gräueltaten damit nicht, um den Interessen seiner Gemeinde Nachdruck zu verleihen? Das weist Sommer zurück.

Er habe darauf hinweisen wollen, dass die hallesche Synagoge der Reformjuden nicht geschützt werde. „Wenn das bei uns passiert wäre, hätte der uns alle umgebracht“, sagt er mit Blick auf den Täter vom 9. Oktober, der versucht hatte, in das Gotteshaus der orthodoxen Gemeinde einzudringen. (mz)