Corona und George Floyd Corona und George Floyd: Hallenserin erlebt ungewöhnliches Jahr in den USA

Dassel/Halle (Saale) - Lucie Gebhardt guckt fröhlich-lächelnd in die Kamera. „Mir geht’s gut“, sagt die 16-Jährige beim Videoanruf mit der MZ. Um die 25 Grad, schätzt sie, sind es gerade bei ihr in Dassel/Minnesota. Der Zeitunterschied zu ihrer Heimatstadt Halle, in der sie das Genscher-Gymnasium besucht, beträgt sieben Stunden. Seit August ist Lucie in den USA, um an der „Dassel-Cokato High School“ ein Auslandsschuljahr zu absolvieren. Es ist gerade eine aufregende Zeit, um in Amerika zu sein.
Gerade einmal anderthalb Stunden dauert die Fahrt mit dem Auto von Dassel in die Großstadt Minneapolis, wo vor genau zwei Wochen, am 25. Mai, der Afroamerikaner George Floyd von einem Polizisten getötet wurde. So nah dran zu sein am Ort des Vorfalls, der in den USA eine heftige Debatte über Rassismus und Polizeigewalt losgetreten hat, der weltweite Proteste nach sich zog, die längst noch nicht abgeklungen sind, „ist schon krass“, sagt Lucie.
„Als das mit Corona anfing“
Das Thema sei allgegenwärtig. Sie rede darüber mit ihrer Gastfamilie und ihren Freunden. Doch trotz der räumlichen Nähe kriegen wir hier nicht wirklich etwas davon mit.“ In Dassel, einer Kleinstadt mit rund 1.500 Einwohnern, sei es ruhig. Demonstrationen gibt es dort bisher nicht.
Minnesota, sagt die junge Frau, ist abseits der Großstädte generell sehr ländlich geprägt. Auf den weiten Feldern wird Mais angebaut, es gibt viele Tiere. Ihre Gastfamilie hat mehrere Hunde und Hühner. „Als das mit Corona anfing“, sagt sie, haben ihre Gasteltern sie mit drei Baby-Enten überrascht. Lucie erzählt von den schlecht entwickelten Öldrüsen der Enten und dem Baby-Swimmingpool, in dem sie baden und macht damit deutlich: Sie hat viel Zeit mit den Küken verbracht.
Warum Lucie überhaupt noch in den USA ist
Dass Lucie überhaupt noch in den USA ist, liegt daran, dass sie bleiben wollte. Obwohl die für den Schüleraustausch verantwortliche Organisation, die gemeinnützigen „Carl Duisberg Centren“ in Köln, ihr Mitte März die Rückkehr empfohlen hatte. Hat sie keine Angst vor dem Coronavirus? „Ich bin ein bisschen ängstlich“, sagt Lucie. Allerdings weniger wegen ihrer eigenen Gesundheit, sondern wegen der der Gasteltern. Sie sind gesundheitlich etwas angeschlagen und haben bereits Enkel in Lucies Alter.
Zweifellos hat Corona ihr Auslandsjahr völlig verändert. Die High-School hat die Schüler nach Hause geschickt. Der Unterricht fand fortan am heimischen Rechner statt und lief zunehmend selbstorganisiert. Die Leichtathletik-Saison, auf die Lucie sich gefreut hatte, fiel nach fünf Mal Training ganz aus. Auch der Prom-Ball - jener legendäre Abschlussball, den man aus unzähligen Filmen kennt - wurde abgesagt.
Zeugnisübergabe in einem Zelt vor der Schule
Die Zeugnisübergabe fand nicht im Theater oder auf dem Footballfeld, sondern in einem Zelt vor der Schule statt, in das jeder einzeln eintrat. Übergabe des Diploms, Foto, das war’s. Hat Corona ihr das Jahr vermasselt? „Schon“, sagt Lucie. Hart sei es vor allem gewesen, die neuen Freunde lange Zeit nicht treffen zu können. Umso mehr hat sie sich gefreut, dass es ihre italienische Gastschwester Linda gab. „Es ist schön, jemanden zu haben, der das Gleiche durchmacht. Das hat insgesamt viel geholfen.“
Erwartungen an ihr Jahr in den USA „hatte ich nicht wirklich“, sagt Lucie. Wollte sie auch nicht haben, um nicht enttäuscht zu sein. Und auch, wenn sie viele Pläne nicht realisieren konnte, „bereue ich nicht, dass ich hier geblieben bin“.
„Teils auch echt gutes Essen“
Dafür hat sie schlichtweg zu viel erlebt und zu viele Dinge liebgewonnen. Ihre Gastfamilie hat sie aufs Campen gebracht, sie über Neujahr mit nach Texas und in die Karibik genommen. Sie weiß jetzt, dass es in den Fast-Food-Ketten, die überall sind, „teils auch echt gutes Essen gibt“ und die allgegenwärtigen Coffee-Shops „auch echt guten Kaffee machen“. Ihr gefällt, dass das Aussehen nicht so wichtig und es okay ist, mit Jogginghose zur Schule zu gehen. Und die Erfahrung, selbst auf Mitschüler zugehen zu müssen, die dann aber „super offen“ sind, hat sie auch gemacht.
„Ich habe noch nicht ganz realisiert, dass es jetzt vorbei ist“, sagt Lucie. Nun kehrt sie nach Deutschland zurück. Zu Hause erwarten sie dann erst einmal 14 Tage in Quarantäne. (mz)