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Cello statt Stethoskop Cello statt Stethoskop: Orchester der Kinderärzte hilft Kindern in Not

Von Julius Lukas 13.09.2018, 08:00
So konzentriert wie bei einer OP: Klinikchef Ludwig Patzer (rechts) bei der Orchesterprobe.
So konzentriert wie bei einer OP: Klinikchef Ludwig Patzer (rechts) bei der Orchesterprobe. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Die weißen Kittel sind abgelegt. Kein Stethoskop, kein Holzspatel und kein Fieberthermometer ist mehr zu sehen. Nicht einmal die obligatorische Tüte Gummibärchen blitzt aus einer Hosentasche hervor. Wenn man es nicht wüsste, würde man nicht merken, dass in dem hellen Tagungsraum im Lutherhotel in Wittenberg an diesem Montag 70 Kinderärzte sitzen. Die Pädiater haben ihr übliches Handwerkszeug gegen Notenständer, Partitur und allerlei Instrumente eingetauscht. In Wittenberg sind sie nicht „Frau oder Onkel Doktor“ - sie sind das Orchester der Deutschen Kinderärzte.

Dieses klangvolle Mediziner-Kollektiv ist zweifelsohne eine Besonderheit der deutschen Musiklandschaft. Fast 60 Jahre gibt es das Orchester bereits. Seit jeher ist es mit Laienmusikern besetzt. Und mit ihrem künstlerischen Hobby wollen die Heilkundler fortsetzen, was sie bereits in ihrem Alltag praktizieren: Kindern in Not helfen.

Wie der Vater, so der Sohn

Ein bis zwei Konzerte gibt das Orchester pro Jahr. Die Einnahmen kommen immer wohltätigen Zwecken zu Gute. Und nun hauen die musikalischen Mediziner gleich zweimal in Mitteldeutschland auf die Pauke: am Donnerstag geben sie ein Konzert in Leipzig. Und am Freitag, 19.30 Uhr, sind sie in der Ulrichskirche in Halle zu Gast. Der Erlös des zweiten Abends wird an „Wir helfen“ gespendet. Der Unterstützungsverein der Mitteldeutschen Zeitung finanziert damit regionale Projekte für bedürftige Kinder.

Für ihre beiden Konzerte haben sich die Ärzte ein anspruchsvolles Programm ausgesucht: Carl Maria von Weber, Robert Schumann und vor allem Johannes Brahms. Dessen letzte Sinfonie lässt das Orchester am Montag in Wittenberg schwitzen. Immer wieder stoppt Dirigent Manfred Fabricius das Vorspiel: die halbe Note erklang einen Tick zu lang, die Violinen sind zu laut und die Bratschen dafür zu leise - unerbitterlich weist der Maestro seine Schützlinge auf Fehler hin.

Im Halbrund der Musiker mit medizinischem Hintergrund hat auch Ludwig Patzer Platz genommen. Er schaut so konzentriert auf sein Notenblatt wie auf das Röntgenbild eines gebrochenen Kinderarms. Der 55-Jährige leitet seit 2003 die Kinder- und Jugendklinik des Elisabeth-Krankenhauses in Halle. Und noch länger spielt er Cello im Kinderärtzeorchester. 1995 wurde er in das Ensemble aufgenommen. Für ihn sei das eine Herzensangelegenheit gewesen, sagte er.

Denn Patzer ist ein Arzt mit musikalischer Vorgeschichte. Sein Vater, der als Pädiater in Erfurt arbeitete, gehörte 1960 zu den Gründungsmitgliedern des Kinderärzteorchesters. Nur ein Jahr später wurde Deutschland durch die Mauer geteilt. „Das war eine schlimme Erfahrung für ihn“, sagt Ludwig Patzer. Doch sein Vater habe immer Kontakt gehalten, etwa über die Leopoldina, auf deren Kongressen er die westdeutschen Kollegen treffen konnte. „Teil des Orchesters wurde er dann erst wieder, als er in den 80er Jahren in den Ruhestand gegangen ist.“ Ein sehr emotionaler Moment sei das für ihn gewesen.

Der Sohn folgt dem Vater gleich in doppelter Hinsicht. Er wird Kindermediziner: „Weil es eine Richtung ist, die mit dem gesamten Menschen zu tun hat und die auch optimistischer ist als etwa die Geriatrie“, erklärt Patzer. Und er bewirbt sich beim Orchester der Kinderärzte. „Da musste ich erst vorspielen und dann wurde entschieden, ob ich aufgenommen werde.“ Noch heute ist das Prozedere ähnlich streng.

„Erstaunliche Qualität“

Auch im Wittenberger Tagungsraum wird mit großer Ernsthaftigkeit weitergeprobt. Dirigent Manfred Fabricius ermahnt gerade die beiden Fagottisten, weil sie nicht ganz synchron zusammenspielen. „Kinderärzte sind ja sehr kommunikative und auch lustige Typen“, meint Ludwig Patzer. „Sobald die Probe jedoch beginnt, sind alle hochkonzentriert und eine gewisse Strenge kehrt ein.“ Das sei auch eines der Erfolgsrezepte des Orchesters, dem von Kritikern immer wieder eine erstaunliche Qualität attestiert wird - obwohl es doch ein Laienensemble sei. Und diese Qualität wollen Patzer und seine Kollegen in Leipzig und Halle erneut unter Beweis stellen.

Das Konzert des Kinderärzteorchesters findet am Freitag, 19.30 Uhr, in der Ulrichskirche in Halle statt. Tickets gibt es an der Abendkasse. (mz)