Kein Glockenspiel Blindenfußball in Halle (Saale): Der Marktplatz wird für blinde Fußballer so leise wie nie

Halle (Saale) - Wer dieser Tage über den Marktplatz schlenderte, dem konnte das geschäftige Treiben der Handwerker nicht entgehen. Sie zimmerten eine 40 mal 20 Meter große Spielfläche, Banden ringsum, dazu Tribünen. Das alles - und mehr - wird benötigt für einen außergewöhnlichen Sporthöhepunkt am Freitag und Sonnabend.
Warum Halles Glockenspiel für die Bundesliga-Spiele im Blindenfußball schweigt
Dann nämlich kicken hier Fußballer unter anderem von Borussia Dortmund, Schalke 04 und St. Pauli.
Da möchte der Rahmen schon stimmen. Und es gibt einige bemerkenswerte Extras: Die Straßenbahnen werden ganz vorsichtig über den Platz fahren, um ja nicht vehement quietschend bremsen zu müssen. Achsen und Kupplungen der Züge sind frisch geschmiert. Am Sonnabend wird zwischen 10 und 17 Uhr sogar das Glockenspiel am Roten Turm schweigen.
Alles hat ein Ziel: einen möglichst geringen Geräuschpegel. Der ist fast unabdingbar, denn auf dem Markt kicken natürlich keineswegs die Bundesliga-Profis des BVB und von S04. Hier richten die Blindenfußballer ihr Meisterschafts-Finale aus. Da gilt das Grundprinzip: Wer am besten hört, gewinnt. Im Endspiel am Sonnabend (ab 15.30 Uhr) stehen sich Blista Marburg und St. Pauli gegenüber.
Er spielt in der deutschen National-Elf mit: Torhüter Sebastian Themel leitet seine Mitspieler mit Rufen an
Im Spiel davor versucht Sebastian Themel mit seiner Mannschaft des Chemnitzer FC, im Duell mit den Schalkern Bronze zu erobern. Der Chemnitzer steht nicht nur beim CFC im Tor sondern auch bei der Nationalmannschaft.
Mit ihr scheiterte er bei der EM Ende August in Berlin im Viertelfinale an England (0:3). Themel (32) kann sehen - wie alle Keeper der Blindenteams. „Die vier Feldspieler allerdings sind tatsächlich blind“, erzählt Themel. In seiner Jugend hat er einst beim CFC gespielt, daher kennt er auch HFC-Trainer Rico Schmitt flüchtig. Inzwischen jedoch hat er Freude am Kreisliga-Fußball. „Da spiele ich in meiner Mannschaft auch schon mal Stürmer.“
Doch in Halle geht es jetzt für ihn darum, Tore zu verhindern. Und seine Mitspieler, die dem Rassel-Ball hinterher jagen, lautstark anzuleiten. Keeper sind bei diesem Sport nämlich gleichzeitig auch so genannte Guides.
Er sortiert sein Vorderleute, sagt wo der Gegner steht. Ein weiterer Guide jedes Teams steht hinter dem Tor und ruft zum Beispiel „schieß!“, wenn die Gelegenheit günstig erscheint, einen Treffer erzielen zu können.
Fußball mit Regienaweisungen: Ab und zu holen sich die blinden Fußballspieler auch einen Nasenbeinbruch
Guide drei steht an der Mittellinie und gibt Dribbelwege vor, Pässe sind selten. „Doch trotz aller Zurufe und Regieanweisungen kommt es natürlich vor, dass die Spieler auch mal zusammenstoßen. Da gibt es im schlimmsten Fall schon mal einen Nasenbeinbruch. Aber so etwas passiert beim richtigen Fußball ja auch“, erzählt Themel.
Aber im Vergleich zu anderen Sportarten für Blinde, geht es beim Kicken am Körperlichsten zu. „Vielleicht ist das auch ein Grund, warum es unter Lehrern an Schulen für Sehbehinderte auch große Vorbehalte gegen Fußball gibt“, sagt Themel.
Etwa 645.000 blinde und sehbehinderte Menschen gibt es in Deutschland. Nur die wenigsten wagen sich an den Fußball. Die acht Mannschaften, die sich in Halle präsentieren sind die einzigen im Wettkampfbetrieb. In Sachsen-Anhalt gibt es kein einziges Team. Um hier Werbung für den Inklusions-Sport zu machen, sind Themel und Co. in Halle. Und nach Toren dürfen sie dann gern lautstark gefeiert werden. (mz)
