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Berufsförderungswerk Berufsförderungswerk: Im Dunkeln sehen lernen

Von Sylvia Pommert 27.05.2004, 17:56

Halle/MZ. - "Halten sie sich rechts und versuchen sie den Wasserfall zu erreichen, der da hinten plätschert." Der Boden wird weich, ein Ast streift den Arm. Es ist stockdunkel.

Die Erfahrung im so genannten Dunkelraum haben am Donnerstag etliche der über tausend Gäste beim Tag der offenen Tür im Berufsförderungswerk für Blinde und Sehbehinderte (BFW) in der Bugenhagenstraße gemacht. Vor allem aber wollten Besucher - darunter oft auch Betroffene und Angehörige - ein Bild von den Möglichkeiten erhalten, die das BFW bietet.

Ende des 19. Jahrhunderts als Königlich Preußische Provinzial-Blindenanstalt gegründet, lebten hier bis zur Wende mehrere Generationen behinderter Menschen im denkmalgeschützten Areal. Es gab eine Schule, Ausbildungs- und Werkstätten, ein Altenheim. Von der Wiege bis zur Bahre seltsam behütet, doch weggeschlossen, verbrachten die Menschen ihr Leben, erinnert Geschäftsführer Robert Bonan. Den Unterhalt verdienten sie mit den für damalige Verhältnisse typischen Arbeiten wie Bürsten binden oder Körbe flechten.

Nach der Wende entstand an der Bugenhagenstraße eines von drei bundesdeutschen Berufsförderungswerken für Blinde und Sehbehinderte. Über sieben Jahre hinweg wurden die Gebäude und Anlagen saniert, modernisiert, Kunst von und für Blinde hielt Einzug. Und das Konzept änderte sich grundlegend. Rund 150 Blinde und Sehbehinderte aus dem gesamten Bundesgebiet leben derzeit im BFW, sind dort in Internaten untergebracht. Allesamt sind erwachsen, haben schon gearbeitet. Doch Krankheit oder Unfall machten es ihnen unmöglich, ihren alten Beruf weiter auszuüben.

Im BFW lernen sie, ihre Behinderung zu akzeptieren und mit ihr zu leben. Für Sehende alttägliche Dinge wie Einkaufen oder Verkehrsmittel zu nutzen, werden hier trainiert. Und das wichtigste: Die Behinderten werden durch Umschulung für den Arbeitsmarkt wieder fit gemacht. Telefonist, Bürokaufmann, Steuerfachangestellter, Polsterer sind nur einige der Berufsabschlüsse, die hier angeboten werden. Seit einigen Jahren werden auch Kontakte zu Einrichtungen in anderen europäische Ländern - so Finnland, Dänemark, Frankreich oder Holland - gepflegt bis hin zum "Schüleraustausch", so Bonan. Zunehmend will sich die Einrichtung aber auch als Dienstleister profilieren. So werden unter anderem Hilfsmittel- und Sehhilfeberatungen abgeboten. Ein Team von knapp hundert Mitarbeitern, darunter Ausbilder, Sozialpädagogen oder Psychologen, sorgt sich um die jährlich etwa 200 "Azubis".

Auch Jennifer Sonntag, die an einer fortschreitenden Erblindung leidet, arbeitet seit zwei Jahren hier. In der "Sensorischen Welt" vermittelt sie Gesunden die Erkenntnis, dass man auch im Dunkel sehen kann.