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Behindertensport Behindertensport: Neue Gefühlswelt auf dem Wasser

Von GOTTFRIED SCHALOW 07.06.2011, 20:18

Halle (Saale)/MZ. - Ulf Sauerbrey weiß natürlich immer noch, wie Rudern funktioniert. Das gehört sich schließlich auch so für einen, der 1983 mit seinem Spezi Carl Ertel Weltmeister im Zweier ohne Steuermann war und dem eine olympische Medaille wohl nur deshalb in der Sammlung fehlt, weil die DDR die Spiele 1984 in Los Angeles boykottierte. "Trotzdem habe ich im letzten Vierteljahr noch eine Menge Neues über meinen geliebten Sport gelernt", erzählt Sauerbrey. Fast täglich steigt er jetzt wieder ins Boot, jeweils eine Stunde lang, mal früh um sieben Uhr, mal am späten Nachmittag. Carl Ertel folgt in sicherer Entfernung im Motorboot. Das sieht nicht nur nach hartem Wettkampfsport aus, das ist es auch. Allerdings in einer völlig neuen Gefühlswelt.

Denn Sauerbreys Partner im Boot, das ist Tino Kolitscher. Der ist 36 Jahre alt und blind. Vor einem halben Jahr war er noch Leichtathlet und hat es da in der 4-mal-200-Meter-Staffel bis zur Deutschen Meisterschaft im Behindertensport geschafft. "Irgendwann war aber das Ende der Fahnenstange in der Leichtathletik erreicht. Aber der Ehrgeiz war da, es noch einmal in einer anderen Sportart zu probieren", erzählt Tino Kolitscher,

Die zündende Idee kam dem Sachbearbeiter bei einer Krankenkasse in Halle im Winter beim Joggen mit Sandra Germain. Die ehemalige Bob-Anschieberin war schon seine Begleitläuferin in der Leichtathletik. "Wir sind oft am Bootshaus Böllberger Weg vorbeigelaufen, das ist nur 500 Meter Luftlinie von meiner Wohnung entfernt. Irgendwann habe ich beschlossen, es mit Rudern zu versuchen." Sauerbey und Ertel nahmen sich sofort des Quereinsteigers an.

Kolitscher brachte alle athletischen Voraussetzungen für das Rudern mit, die Technikausbildung begann jedoch bei Null. "Tino kann eben alles nur mit dem Gefühl machen. Er kann es ja optisch nicht nachvollziehen, wenn ich ihm sage, er soll das Ruder ein paar Millimeter tiefer oder schräger halten", erzählt Sauerbrey. Luftlöcher und Querschläger gehörten und gehören zum Trainingsgeschäft.

Nach nur einem Vierteljahr dann der Mutmacher vom Bundestrainer Thomas Böhme, der ihn die Nationalmannschaft aufnahm. "Tino hat schon viel gelernt. Er kann es schaffen, bei den Paralympics 2012 in London im Vierer dabeizusein." Böhmes Nachsatz ist durchaus bemerkenswert: "Er hat aber auch einmaliges Glück. Ertel und Sauerbrey sind die besten Lehrer, die er finden konnte." Dazu muss man wissen, dass sich Böhme mit diversen Partnern aus Berlin in den 80er Jahren erbitterte Duelle mit Ertel und Sauerbrey lieferte und meist der Verlierer war.

So schließt sich der Kreis. Ertel und Sauerbrey lesen nun an der Saale die Trainingspläne, die Böhme als verantwortlicher Trainer für das deutsche Handicap-Rudern in Schweinfurt ausgearbeitet hat. Ertel strahlt dabei: "Das ist spannend und eine echte Herausforderung. Ich bin immer noch heiß auf Leistungssport. Tino kann etwas richtig Großes schaffen."