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Auszeichnung  Auszeichnung : Saaleschule wird für Inklusion geehrt

Von Julius Lukas 20.06.2016, 17:57
Gruppenarbeit statt Frontalunterricht in der Saaleschule.
Gruppenarbeit statt Frontalunterricht in der Saaleschule. Holger John

Halle (Saale) - Wie selbstverständlich Inklusion sein kann, sieht man in der Saaleschule schon an den Türschildern. Darauf steht, was im Raum drin ist: „Sekretariat“ zum Beispiel oder „Schulcafé“. Allerdings ist der Rauminhalt nicht nur in deutscher Sprache auf den laminierten Schildern festgehalten. „Wir haben die Namen auch in Englisch, Spanisch, Chinesisch, Hindi und Russisch übersetzt“, zählt Silke Klessig auf. Das seien alles Sprachen, die an der Schule schon gesprochen wurden, erklärt die Leiterin. „Da ist es doch nachvollziehbar, dass wir das auch auf die Schilder schreiben.“ Denn Inklusion bedeutet hier nicht nur, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsame unterrichtet werden. Sie bedeutet vor allem, die Unterschiedlichkeit oder - positiver ausgedrückt - die Vielfalt der Schüler zu akzeptieren und auch zu leben.

Erster Muth-Preisträger im Land

Sicher, die internationale Beschriftung der Räume ist eher eine Nebensache. Eine Kleinigkeit, auch im Unterrichtsalltag der Saaleschüler. Allerdings zeigt dieser Randaspekt recht deutlich, wie sehr eine Grundidee der Inklusion bereits in die DNA der Schule im Norden von Halle übergegangen ist. Und weil die Schule das seit Jahren macht, wird sie am Mittwoch mit dem Jakob-Muth-Preis 2016 geehrt. Die Auszeichnung ist so etwas wie der deutsche Inklusions-Oscar. Vergeben wird er seit 2009, unter anderem von der deutschen Unesco-Kommission. Und die Saaleschule ist die erste Einrichtung in Sachsen-Anhalt, die den Preis gewinnt.

Dabei ist die „Staatlich anerkannte Ersatzschule in freier Trägerschaft“, wie sie in Paragrafen-Deutsch heißt, noch recht neu in der Bildungslandschaft. Erst 2008 wurden in dem Funktionsbau die ersten Kinder unterrichtet. „Wir sind damals mit 18 Schülern gestartet“, sagt Klessig.

Die Gründung der Schule ging dabei von einer Elterninitiative aus. Deren Kinder hatten alle einen sonderpädagogischen Förderbedarf, waren aber dem Grundschulalter entwachsen. Mit dem staatlichen Angeboten - Förder- oder Regelschule - waren die Eltern unzufrieden. Deswegen gründeten sie einen Verein und nahmen die Sache so selber in die Hand.

Inklusion als Alleinstellungsmerkmal

„Man konnte aber natürlich nicht einfach so eine eigene Schule eröffnen“, sagt Klessig. Um nämlich eine solche Bildungseinrichtung aufzumachen, muss man ein Konzept ausarbeiten und vor allem dem Kultusministerium einen Grund nennen, warum genau diese neue Einrichtung notwendig ist. Oder wie es Klessig sagt: „Wir brauchten ein Alleinstellungsmerkmal.“ Und das sei bei ihnen die Inklusion gewesen.

In der Umsetzung bedeutet dieses Schlagwort vor allem, mit gängigen Vorstellungen zu brechen. Zum Beispiel damit, dass gleichalte Schüler, also die eines Jahrgangs, auch gleichartige Schüler seien. „Dass alle Kinder einer Klassenstufe ein einheitliches Niveau haben, ist eine Fiktion“, sagt Klessig. Viel mehr ist es ein Grundsatz der Saaleschule, dass die Kinder verschieden sind. Und das sieht man hier als Stärke: „Unsere Klassen sollen so heterogen wie möglich sein“, sagt die Schulleiterin sogar. „Denn wenn die Kinder ganz unterschiedliche Fähigkeiten haben, dann können sie ja auch besser voneinander lernen.“

Schule setzt auf Neugier der Kinder

Diese Kooperation ist allgegenwärtig, wenn man durch die Schulflure läuft. Auf klassische Unterrichtssituationen trifft man dabei kaum. Ein Lehrer, der vorne steht und seinen Schülern Lektionen doziert - Fehlanzeige. Vielmehr erblickt man überall verstreut kleine Grüppchen.

Was die Schülerinnen und Schüler machen, ob sie auch wirklich an Unterrichtsstoff arbeiten, ist von außen schwer zu erkennen. Es sei auch eine Befürchtung der Eltern, sagt Klessig, dass die Kinder nichts lernen würden, weil sie sich von alleine nicht anstrengen wollen. „Aber Kinder sind von Natur aus neugierig“, sagt sie. Und in der Saaleschule würden es immerhin 60 Prozent der Schüler in die gymnasiale Stufe schaffen, also Kurs auf das Abitur nehmen. „Im staatlichen Schulsystem sind es nur 40 Prozent “, sagt sie.

Guter Betreuungsschlüssel

Solche Erfolge sind in gewisser Weise aber auch teuer erkauft. Auf die knapp 450 Schüler, von denen zwölf Prozent einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, kommen derzeit fast 100 Angestellte. Der Betreuungsschlüssel ist so gut wie in kaum einer staatlichen Schule. Allerdings fressen die Personalkosten auch 90 Prozent des Etats auf. Der speist sich aus Schulgeld und Zuschüssen vom Land.

„Da wir so viel in viele Angestellte investieren, verdienen Lehrer bei uns auch nicht so gut wie an staatlichen Schulen.“ Dass sie sich trotzdem für die Saaleschule entscheiden, liege vor allem an den weichen Faktoren. „Bei uns wird in Teams gearbeitet und man kann viel mitgestalten“, sagt Klessig. Das sei für einige Lehrer wichtiger als eine bessere Bezahlung. Und sicher wird auch der Jakob-Muth-Preis dazu beitragen, dass das Anziehungspotenzial erhalten bleibt. Bei den Schülern zumindest kann Klessig nicht klagen. Für das kommende Schuljahr haben sich wieder mehr Kinder gemeldet, als Plätze vorhanden sind. (mz)

2008 zog die Saaleschule in das Funktionsgebäude im Norden von Halle ein.
2008 zog die Saaleschule in das Funktionsgebäude im Norden von Halle ein.
Holger John