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Auf der Ziegelwiese niedergestochen Auf der Ziegelwiese niedergestochen: Warum die Polizei den Staatschutz einschaltet

Von Jan Möbius 05.06.2016, 18:28
Der Tatort
Der Tatort Möbius

Halle (Saale) - Schwer verletzt, aber nicht in Lebensgefahr. Viel mehr ist am Sonntag nicht zu erfahren über den Gesundheitszustand des 24-Jährigen, der auf der Ziegelwiese in Halle brutal niedergestochen worden ist. Dennoch lässt die Nachricht bei den Ermittlern der Polizei leichte Hoffnung aufkeimen. Können sie bald persönlich mit dem jungen Mann reden und aufklären, was sich mitten im beliebtesten Erholungsgebiet der Stadt direkt an der Saale abgespielt hat? Bisher jedenfalls fehlt dem Fachkommissariat (FK) 2 der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd, also den Experten für schwere Verbrechen, jede Spur zum Täter. Auch die Waffe, mit der er Samstag kurz nach Mitternacht zugestochen hat, ist verschwunden. Klar ist offenbar nur: Die Bluttat ist eine weitere Eskalation rechter Gewalt in Halle.

Bitte um Mithilfe zur Aufklärung

Erste Befragungen rund um den Tatort bringen kaum brauchbare Informationen. Die Beamten setzen deshalb nur wenige Stunden nach der Attacke auf die Unterstützung der Bevölkerung und bitten um Mithilfe. Kurz darauf und auch am Sonntag gehen Hinweise in der Behörde an der Merseburger Straße in Halle ein. Nach und nach können die Ermittler inzwischen eingrenzen, dass der Täter kurz vor dem Angriff mit einer fünf- bis sechsköpfigen Gruppe unterwegs war. Vermutlich im Streit um Bekleidung, die gern von Anhängern der rechten Szene getragen wird, kommt es aus dieser Gruppe heraus zu der Attacke, die den 24-jährigen Opfer fast das Leben kostet. Mit etlichen Stichen im Oberkörper wird er in eine Klinik eingeliefert, wo Ärzte ihm das Leben retten.

Die Polizei geht davon aus, dass der Angreifer zwischen 20 und 25 Jahre alt ist. Er gehört nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen zu der jetzt gesuchten Gruppe von Männern, die zwischen 23 Uhr am Freitag und 1 Uhr am Samstag am Riveufer, auf der Peißnitz, auf der Ziegelwiese und auf der Peißnitzstraße unterwegs gewesen sein soll. „Wir suchen deshalb auch Zeugen, die von den Männern etwa auf Zigaretten angesprochen wurden“, sagt Polizeisprecherin Ulrike Diener.

Mit Hochdruck treibt das FK 2 die Ermittlungen voran. Akribisch wird über das Wochenende jeder noch so kleine Hinweis überprüft und jede Spur wieder und wieder unter die Lupe genommen. Immer mehr kristallisiert sich dabei heraus, worum es bei dem Streit, der vor den fast tödlichen Stichen ausgefochten wird, tatsächlich geht. Einer der gesuchten Männer trägt ein T-Shirt der Marke „Thor Steinar“ – vor allem im rechten Spektrum beliebt. Dem späteren Opfer gefällt diese Bekleidung nicht.

Politisch motiviert

Dabei ist das Aufeinandertreffen der beiden Gruppen kurz hinter der Peißnitzbrücke in Richtung Riveufer eher zufällig. Der 24-Jährige, der der linken Szene nahe stehen soll, kommt mit mehreren Bekannten von einer privaten Party, die auf der Ziegelwiese ihren Ausklang finden soll. Auf dem Weg dorthin treffen der Mann und seine Begleiter auf eine weitere Gruppe. Dabei kommt es offenbar zu dem Disput über die Bekleidung der entgegenkommenden Personen. Die Debatte mündet in eine Rangelei. Schließlich kommt es zu den fast tödlichen Stichen.

Noch am Samstagmittag zeugen ein großer Blutfleck und Hinterlassenschaften des Rettungsdienstes von dem, was nur Stunden zuvor dort passiert ist. Rund um den Tatort liegen zudem haufenweise zerbrochene Bier- und Schnapsflaschen – ein Zeichen dafür, dass vor dem Aufeinandertreffen der beiden Gruppen jede Menge Alkohol im Spiel ist.

Verhärtung der Fronten

Ist der Zusammenstoß dennoch ein weiteres Indiz dafür, dass sich in Halle die Fronten zwischen linkem und rechtem Spektrum verschärfen? Kenner beider Szenen vermuten das hinter vorgehaltener Hand schon seit geraumer Zeit und warnen vor einer öffentlichen Eskalation. Auch Wanja Seifert, der Sprecher des Bündnisses „Halle gegen Rechts“ befürchtet eine Zuspitzung der Lage: „Wir beobachten entsprechende Tendenzen in letzter Zeit häufiger“, sagt er zur MZ. Der letzte brutale Exzess rechter Gewalt in Halle ist kaum etwas mehr als vier Wochen her: Ende April stürmen zehn Männer nachts ein Haus an der Merseburger Straße und schlagen auf fünf Bewohner ein. Dabei brüllen sie „dumme Zecken!“. Die Opfer bezeichnen sich selbst als Punks.

Auch die Polizei schließt ein politisches Motiv nicht aus. Sie bindet den Staatsschutz in die Untersuchungen ein. Noch reden die Beamten von versuchtem Totschlag. Doch das kann sich im Lauf der Ermittlungen ändern. Ob der Tatvorwurf auf versuchten Mord heraufgestuft wird, entscheidet jedoch der Staatsanwalt. (mz)