Adventskalender Adventskalender: Schuhmacher lässt sich gern drücken
Halle/MZ. - "Drücken lasse ich mich gerne", heißt ein Spruch, der im Laden von Rudolf Oesteritz hängt. Doch das soll keine Aufforderung sein, wenngleich manche Stammkundin vielleicht nicht lange zögern würde. Denn der Mann vom Hubertusplatz hat was. So ein Gemisch aus Reife, Erfahrung und Herzlichkeit. Zuhören und erzählen kann er auch, aber das sollte eigentlich nebensächlich sein, denn vor allem ist er Schuhmacher. Einer, der das Handwerk von der Pieke auf gelernt und wirklich Schuhe gemacht hat. Und nicht nur die.
Auch bei Stiefeln kennt sich Rudolf Oesteritz aus. Zwar weniger bei denen für Nikolaus oder Weihnachtsmann. "Die trugen zu DDR-Zeiten sowieso solche aus der BHG" (Bäuerliche Handelsgenossenschaft), meint er. Und heute bevorzugten sie wohl moderne Thermostiefel. Nein, Oesteritz hat exklusive Stiefelchen gefertigt. Jahrelang war der Schuhmachermeister - damals noch im Weinbergweg - die erste Adresse auch für Offiziere der russischen Garnison. Und die sollen großen Wert auf Qualität gelegt haben. Die Schäfte sollten ordentlich steif sein. Und die Absätze mochten die Genossen gern etwas höher, so ein wenig torerohaft.
Ein Schelm, wer daraus auf den Charakter schließen will? Nun, so abwegig ist das nicht für Oesteritz. "Gugge auf die Absätze, und du kennst die Frau", habe sein Altmeister einst gesagt. Da mag was dran sein. Wer seine Absätze total verbraucht, könnte nachlässig sein, oder keine Zeit haben. Wer die Schnürsenkel nie aufbindet, könnte eher ein bequemer Mensch sein. Aber die Hand ins Feuer legen will Oesteritz dafür nicht. Jene Schnürsenkel-Muffel übrigens erhalten von ihm einen kleinen Schuhlöffel gratis. Der soll wenigstens das Ärgste verhindern.
Das Ärgste wäre die nächste Reparatur. Davon aber lebt der Meister - zumindest teilweise. Und schon offenbart sich sein Gewissenskonflikt. Als echter Schuhmacher mit Sinn für gute und gesunde Fußbekleidung und nun auch als Schuhverkäufer muss er einfach zu bestem Schuhwerk raten. Jenes von seiner dänischen Lieblingsfirma zum Beispiel. Das Problem: Die Treter halten ewig. Reparaturen? Fehlanzeige. Fast hundert Paar Schuhe hat Oesteritz früher täglich in Ordnung gebracht. Höchstens 25 Paar sind es heute - wenn es gut läuft.
Doch denkt der 58-Jährige nicht ans Aufhören. Die Werkstatt könnte er nicht weitergeben. Sohn Sven hat sich gen Bayern aufgemacht, fertigt in München per Hand exklusives Maß-Schuhwerk. Mitgenommen hat der Junge die Tradition, zum Nikolaus die Stiefel zu füllen - für Oesteritz' vier Monate alten Enkel. Am Hubertusplatz bleiben die Stiefel leer. Längst haben dort spontane Aufmerksamkeiten die traditionellen abgelöst. Getreu dem Motto "Drücken lasse ich mich gerne". Halt, der Spruch geht ja weiter: "...aber nicht von meinem Schuh."