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90 Jahre Lutherkirche  90 Jahre Lutherkirche : Beflügelt in Richtung Hundert

Von Detlef Färber 30.10.2019, 09:30
Spektakulärer Innenraum mit schwebenden Papierobjekten, die die hallesche Künstlerin Juliette Kolberg geschaffen hat.
Spektakulärer Innenraum mit schwebenden Papierobjekten, die die hallesche Künstlerin Juliette Kolberg geschaffen hat. Silvio Kison

Halle (Saale) - Wäre sie ein Mensch, man müsste diese Kirche inzwischen wohl als alt, ja als hochbetagt bezeichnen. Doch als Gotteshaus, das die Lutherkirche ist, gehört sie mit ihren inzwischen genau 90 Jahren gerade in einer Stadt wie Halle - und erst recht auf der hiesigen Straße der Romanik - quasi in die Jugendriege. Was ganz nebenbei auch bedeutet, dass man deshalb gern mal hinguckt, ja vielleicht sogar den Kopf nach ihr verdreht.

Wer zum Beispiel auf der Damaschkestraße vorbeifährt, wird ein bisschen abgelenkt von diesem irgendwie merkwürdigen Turm, der - als sei man hier in Italien - neben statt vor der Kirchenhalle platziert ist. Und der von der Form her einprägsam, aber doch leicht irritierend aussieht, ohne dass gleich ein Begriff für diese Merkwürdigkeit parat wäre. Wer nach einem solchen Begriff sucht, stößt freilich schnell auf „expressionistisch“ - und somit auf eine Rarität in der hiesigen Architektur.

Wieder in Originalfarben

Und fast noch mehr Anlass zum Staunen und sich ein bisschen zu wundern gibt es gerade beim Blick ins Innere dieses hier nun komplett der inzwischen klassischen Moderne zuzuordnenden Baus mit seinen in gelbocker, ziegelrot und himmelblau gehaltenen Primärfarben. Staunenswert sind vor allem auch jene schwebenden Objekte, die den Himmel des Gewölbes im Kirchenschiff mit mehr als einem Dutzend schiffsartiger Gebilde in leichte Bewegung versetzen.

Geschaffen hat diese Installation die hallesche Künstlerin Juliette Kolberg, und Olaf Wisch, der seit nun fast zwei Jahren als Gemeindepfarrer in „Luther“ amtiert, ist sichtlich stolz auf dieses Werk: „Es gibt ja nicht viele Kirchen, die sich auch aktuelle Kunst leisten“, sagt er - und ergänzt, dass es dabei vor allem wichtig sei, dass „Kunst für eine Kirche nicht altert“.

Kirchenjubiläum ab dem Reformationstag

Da muss er wohl keine Sorge haben bei diesen wunderbaren Schwebe-Objekten, die bereits zu Zeiten seiner Vorgängerin Mechthild Lattorff angeschafft worden waren. Doch sind sie natürlich nur ein Thema bei dem, was es demnächst beim Kirchenjubiläum ab dem Reformationstag bei einer Reihe von Veranstaltungen zu feiern, zu betrachten und zu diskutieren gilt.

Natürlich wird hier die Historie dieser Kirche, die zugleich Stadthistorie spiegelt, eine wichtige Rolle spielen, schließlich ist der Bau des Gotteshauses wie des aus heutiger Sicht riesigen Kirchengemeindehauses die Folge eines unvergleichlich rasanten Stadtwachstums in den 1920er Jahren - einer weiteren Süd-Erweiterung Halles, die sich anschloss an jene in der Gründerzeit nur wenige Jahrzehnte zuvor.

Schöpfer der Glasfenster

Bis dahin gehörten die ersten Bewohner dieser Gegend zur Johannesgemeinde, die dann aber mit bis zu 30.000 Mitgliedern strukturell schier aus allen Nähten platzte. So kam es also zu dem Bau von Kirche und Nebengebäuden nach den Entwürfen des Architekten Raimund Ostermaier.

Ein ökumenischer Gottesdienst am Reformationstag (Donnerstag, 31. Oktober), 10 Uhr, ist der Auftakt der Jubiläumsfeiern in der Kirche und auf dem angrenzenden Gemeindegelände in der Damaschkestraße 100. Weiter geht es am gleichen Tag mit einer Führung durchs Viertel (13 Uhr) mit Klaus-D. Weiser. Ab 15 Uhr folgt „Lutherspaß für Groß und Klein“ im Gemeindesaal unter Leitung von Ulrike Simm mit ihrem Team.

Das Musical „Martin Luther“ folgt am Sonntag, 15 Uhr - dargeboten mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unter der Leitung von Katharina Gürtler und Ulrike Simm.

Ein Gemeindekolleg thematisiert dann in vier Veranstaltungen im November das Thema „90 Jahre Lutherkirche“, jeweils dienstags, 15 bis 17 Uhr, im kleinen Saal des Gemeindehauses: Am 5. November spricht Pfarrer Olaf Wisch über seine Erfahrungen in den ersten beiden Jahren seines Dienstes in der Gemeinde.

Am 12. November stellt der Schriftsteller Peter Berg unter dem Titel „Stimmen der Gemeinde“ Audiointerviews mit Mitgliedern der Luthergemeinde vor.

Am 19. November spricht der Pfarrer der Johannesgemeinde Karsten Müller unter dem Motto „Auszug in den Süden“ über die Gründungszeit der Luthergemeinde, und am 26. November beschließt Klaus-D. Weiser die Reihe mit einem „Virtuellen Rundgang durch das Lutherviertel“.

Musik und Texte zum Advent gibt es dann am Sonntag, 1. Dezember, 17 Uhr, als Abschluss des Lutherkirchenjubiläums in der Kirche. Zu erleben ist dann der Kammerchor „Convivium musicum“.

1929 war alles fertig - wie so vieles in Halle übrigens in diesem Krisenjahr nur sechs Jahre nach der großen Inflation. Da sei dann am Ende auch das Baugeld knapp geworden - und Christel Kuball, der Schöpfer der Glasfenster, habe die Bezahlung seiner Leistung einige Male anmahnen müssen, erzählt Pfarrer Wisch. Was aber aus heutiger Perspektive hinsichtlich serienmäßiger Vervielfachung der Baukosten bei Großprojekten (bei gleichzeitigem Ausufern der Bauzeit bis zum Dreifachen) fast schon nach „guter alter Zeit“ klingt.

Zum ungewöhnlichen Bau kam ungewöhnliche Kunst hinzu

Zum ungewöhnlichen Bau kam ungewöhnliche Kunst hinzu, insbesondere ein monumentales Kruzifix von Wilhelm Gross im Altarraum rundet einerseits den expressiven Gesamteindruck des wieder in den Originalfarben restaurierten Innenraums ab - wird aber durchaus auch kontrovers gesehen.

Mit einem Christus, der fast schon trotzig  wirkt - oder doch eher segnend? - wie in Vorahnung auf das, was dann ab den dreißiger Jahren auf das Land wie auf die Stadt zukommen sollte. Der Künstler Gross habe, so Olaf Wisch, später zur „Bekennenden Kirche“ gehört, die sich entgegen den „Deutschen Christen“ so konsequent wie mutig der Nazi-Ideologie verweigert hat.

Bewegte 90 Jahre

Es waren insgesamt bewegte Zeiten: Dem rasanten Zuzug vor 90 Jahren folgte nach Krieg und Wohnungsnot in der DDR ein gewaltiger Aderlass vor und nach 1990, als Halles Bevölkerung wie fast der ganze Osten schrumpfte. Und so auch die Luthergemeinde, die sich aber inzwischen konsolidiert hat und immerhin noch tausend Mitglieder zählt, was für hallesche und heutige Verhältnisse ausgesprochen viel ist - und wohl auch einem lebendigen Gemeindeleben zu danken ist.

Dazu gehört auch wieder Kunst, die jährlich mit bis zu zwei Ausstellungen im Kirchenraum präsentiert wird - zuletzt etwa Werke des bekannten halleschen Malers Gabriel Machemer. Zudem bereichern Kontakte zur halleschen Dichterszene, der Olaf Wisch auch selbst angehört, das Programm. Bekannte Autoren wie André Schinkel oder Peter Berg bringen sich hier etwa mit Lesungen oder Vorträgen ein.

So kann die Luthergemeinde nicht nur mit Blick auf die Schwebe-Objekte in ihrer Kirche beschwingt und beflügelt schon Kurs aufs nächste Jubiläum nehmen: die Hundert im Jahr 2029. (mz)