1999: Mädchenleiche in der Kaolin-Grube 1999: Mädchenleiche in der Kaolin-Grube: Grausiger Fund
Halle (Saale)/MZ - Es gibt keine ausgebaute Straße dorthin. Die ehemalige Kaolin-Grube zwischen Morl und Brachwitz im Saalekreis ist ein Ort, der fast nur Naturfreunden, Spaziergängern und Hundebesitzern bekannt ist. Und ein Hundebesitzer war es auch, der am Samstag, 9. Januar 1999, dort einen grausigen Fund machte. Sein Hund war unruhig geworden und hatte an einem Erdwall gescharrt, der erst wenige Monate vorher aufgeschüttet worden war. Entdeckt hatte er einen grünen Plastiksack, in dem eine Mädchenleiche versteckt war. Der 22-jährige Hundehalter rannte sofort nach Hause und alarmierte die Polizei.
Nach fast 15 Jahren ist der Mörder des Mädchens immer noch nicht gefasst. Schnell war anhand von Fingerabdrücken klar, dass es sich bei der Leiche um die elfjährige Jessica Kopsch aus Berlin-Reinickendorf handelt, die im Oktober 1998 spurlos verschwunden war. Und von Anfang an gingen die Ermittler davon aus, dass das Kind nicht in Morl, sondern an einem anderen Ort getötet wurde, vermutlich schon in Berlin. Doch woher kannte der Täter die abgelegenen Kaolin-Gruben bei Morl?
„Das kann auch einfach Zufall sein, dass die Leiche hierher gebracht wurde“, sagt Klaus Wiechmann, Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle.
Da klar war, dass der Fall aus Berlin stammt, übernahm auch die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen. Bis heute erfolglos: „Es gibt keine neuen Erkenntnisse“, bedauert Martin Steltner, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Im vergangenem Jahr hatte sich auch die Hoffnung auf neue Hinweise durch die Ausstrahlung eines Beitrages zum Fall Jessica Kopsch in der Fernseh-Sendung „Aktenzeichen XY Ungelöst“ zerschlagen, ergänzt Steltner. Einen Erfolg haben sich die Berliner Behörden auch nie von einem Massengentest erhofft, selbst wenn es 2012 gelang, aus damals entnommen Abstrichen von Jessicas Leiche männliche DNA zu sichern. „Wonach sollen wir bei einem Massenspeicheltest suchen?“, fragt Steltner. Der Täterkreis lässt sich nicht eingrenzen, auch nicht regional.
Vieles an dem Fall Jessica ist seltsam. Das Mädchen hatte am Morgen des 28. Oktober 1998 das Haus verlassen - aber ihren Schulranzen und das Pausenbrot in der Wohnung liegen lassen. Zwar wurde sie noch auf der Straße gesehen, doch in ihrer Schule kam sie nie an. Die Mutter alarmierte noch am gleichen Tag die Polizei, Suchtrupps durchkämmten die Umgebung - erfolglos.
Aber zwei Klassenkameradinnen von Jessica meldeten sich: Sie haben ihre Freundin auf dem Schulweg getroffen, doch Jessica ging in der entgegengesetzten Richtung und nicht zur Schule. Nach ihren Angaben hatte die Polizei ein Phantombild angefertigt, mit dem nach einem 30 bis 40 Jahre alten, sehr großen und hageren Mann gefahndet wurde. Der Mann, so die Polizei damals, könne etwas zum Verschwinden von Jessica sagen - oder aber auch ihr Mörder sein.
Auf alle Fälle, so die Ermittler damals, gehe die Mordkommission davon aus, dass der Täter aus dem näheren Umfeld des Mädchen stammen muss und dass Hintergrund des Mordes eine Sexualstraftat war: Jessicas Leiche wurde nur mit Söckchen bekleidet gefunden. Auch das Phantombild brachte keine neuen Erkenntnisse. Ebenso wenig wie Plakate, die deutschlandweit aufgehängt wurden, noch die Aussetzung einer Belohnung von 20 000 Mark, noch die Rasterfahndung, noch die Überprüfung von bekannten Sexualstraftätern. Die Schlüssel, die Jessica beim Verlassen des Hauses bei sich hatte und auch ihre schwarze Reißverschlussjacke sind niemals wiedergefunden worden.
Bis heute ist auch nicht eindeutig geklärt, warum im toten Körper des Kindes die inneren Organe fehlten. Die Gerichtsmedizin in Halle hatte die Obduktion der Leiche vorgenommen und damals festgestellt: Es sei nicht auszuschließen, dass die Organe entnommen worden sind, da es klare Trennlinien zu den noch vorhandenen Organen gibt.
In Berlin wurde die Leiche ein zweites Mal untersucht - und die Experten glaubten mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen zu können, dass Wildfraß die Ursache ist. Da ist sich der hallesche Staatsanwalt Klaus Wiechmann nicht so sicher: „Das ist nicht nur mit Tierfraß alleine zu erklären.“ Möglich sei auch, dass Organe entnommen wurden und es daneben später zusätzlich Wildfraß gegeben habe.
Der Fall Jessica hat viele Fragezeichen. Dennoch hoffen die Ermittler, eines Tages den Täter überführen zu können, der irgendwann im Winter 1998/99 die Leiche des Kindes in der Kaolingrube bei Morl versteckt hat.