1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. 17. November: 17. November: Kette tödlicher Fehler

17. November 17. November: Kette tödlicher Fehler

Von KATRIN LÖWE 15.12.2010, 08:23
Der Mediziner Ronald R. (M.) steht im Landgericht in Halle zwischen seinen Anwälten Oliver Hampel (l.) und Annette Clement-Sternberger. (FOTO: DPA)
Der Mediziner Ronald R. (M.) steht im Landgericht in Halle zwischen seinen Anwälten Oliver Hampel (l.) und Annette Clement-Sternberger. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Halle (Saale)/MZ. - Es sind leise, traurigeWorte, die Jan Bodenstein am Ende vor demVerhandlungssaal sagt. "Wir müssen irgendwieweiter leben." Weiterleben ohne Sohn Hannes,den Jüngsten der Familie. Auf einem der letztenFotos, die es von ihm gibt, schaut er im blauenSchlafanzug und mit Teddy in der Hand in dieKamera. Hannes wurde nur zweieinhalb Jahrealt. Er starb nach einer Vollnarkose beimZahnarzt, die er bekam, weil er für eine Kariesbehandlungaus Angst den Mund nicht aufmachen wollte.Schuld an seinem Tod, daran lässt die Strafkammeram Landgericht Halle keinen Zweifel, ist deran jenem tragischen 14. Januar 2009 in derZeitzer Zahnarztpraxis hinzugezogene NarkosearztRonald R. Nach drei Monaten Prozess wird der53-Jährige wegen Körperverletzung mit Todesfolgezu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

Das Urteil entspricht dem Antrag von StaatsanwaltKlaus Wiechmann. Er hatte zwar ursprünglichfahrlässige Tötung angeklagt, schwenkt aberzuletzt auch auf den schwerwiegenderen Vorwurfum. "Die Schuld des Angeklagten ist hoch.Er musste wissen und er wusste auch, dasssein Handeln ein hohes Risiko birgt", sagtWiechmann in seinem Plädoyer. Das habe erbilligend in Kauf genommen, sich in keinsterWeise an die Regeln der ärztlichen Kunst gehalten.Dann listet Wiechmann auf, nicht nur einenFehler. Da war das Narkosegerät Medimorph413/13, Baujahr 1987 und laut Staatsanwaltfür die Behandlung von Kleinkindern ungeeignet.Der letzte der halbjährlich vorgeschriebenenSicherheitschecks war 2007, eine Zulassunghatte das Gerät nicht. Wiechmann verweistauf Aussagen eines Gutachters, nach der dasGerät für ein Kind in Hannes Alter "zur Waffewird", nach der der Arbeitsplatz von R. "dramatischunter ärztlichem Standard" war.

Der Ankläger erinnert daran, dass die Behandlungvon Hannes nicht wie üblich in der zweitenEtage der Zahnarztpraxis stattfand, weil dortder Geburtstag eines anderen Mediziners gefeiertwurde. Dass R. in der zweiten Etage ein eigenes,viel moderneres Narkosegerät hatte, ein Angebot,es nach unten zu bringen, aber ablehnte. Dasser für die Nutzung des Medimorph nicht dieErlaubnis des Besitzers besaß - eines früherenKollegen. "Das Gerät gehört ins Museum oderin den Müll", so Nebenklage-Anwalt VolkerLoeschner.

Es ist, erklären Staatsanwaltschaft sowiedie Nebenklage-Anwälte Loeschner und FrankTeipel weiter, aber nicht nur die Wahl desGeräts, die schief gelaufen ist. So habe nichteinmal R. selbst, sondern Zahnarzt SteffenT. bemerkt, dass Hannes Lippen sich aus Sauerstoffmangelblau verfärbten. Es habe viel zu lange gedauert,ehe ein Notarzt hinzugezogen wurde: 50 Minuten,sagt Loeschner - und das, obwohl R. wederdie entsprechende Notfallausrüstung vor Orthatte noch eine Anästhesieschwester. Das Anästhesieprotokollsei nachträglich erstellt worden und widersprüchlich.Und die Medikamente, mit denen R. den Jungenwährend seiner eigenen Wiederbelebungsmaßnahmenbehandelte, seien in der Dosis "selbst füreinen Erwachsenen gefährlich".

Beide Nebenklage-Anwälte beantragen vier JahreFreiheitsstrafe. R., so Loeschner, habe "äußerstnachlässig mit dem Leben des Patienten gespielt."Als "erbärmlich" bezeichnet er, dass der Anästhesistsich nicht bei den Eltern persönlich entschuldigthabe. Der Mediziner mit mehr als 25 JahrenBerufserfahrung äußert sich in seinem letztenWort zum ersten Mal persönlich im Prozess."Es tut mir unheimlich leid", sagt er.

An der Schuld ihres Mandanten haben auch diebeiden Verteidiger keinen Zweifel - allerdingsbeantragen sie eine Bewährungsstrafe wegenfahrlässiger Tötung. Er habe darauf vertraut,dass alles gut gehen würde, so Anwältin AnnetteClement-Sternberger. Der fehlende Tüv desMedimorph sei nicht relevant, weil das Gerätihn später erhalten habe, ohne dass wesentlicheTeile ausgetauscht worden wären. R. könnenicht vorgeworfen werden, dass er tatsächlichHannes Tod in Kauf genommen habe. "Er istgescheitert, menschlich an seinen Grenzenund beruflich am Ende", so Clement-Sternberger.R. sei inzwischen schwer depressiv, praktizierenicht mehr, die kassenärztliche Zulassungsei ihm entzogen worden. Über einen Entzugder Approbation muss noch entschieden werden- Ärztekammer und Landesverwaltungsamt prüfenihn.

"Eine angemessene Strafe für den Tod einesKindes gibt es nicht", sagt Richter Jan Stengelschließlich in seiner Urteilsbegründung, "nureine angemessene Strafe für die Schuld desAngeklagten." Ein Berufsverbot, wie von denNebenklägern beantragt, spricht das Gerichtnicht aus, weil es keine Wiederholungsgefahrsieht. Das ist der einzige Punkt, in dem sichdie Nebenklage am Ende trotz des aus ihrerSicht "mutigen Urteils" enttäuscht zeigt:"Als Signal wäre das wichtig gewesen", sagtTeipel - auch wenn R. nach seiner Haft wohlohnehin nicht mehr praktizieren werde.

Ob er die antreten muss, bleibt allerdingsoffen: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig,die Verteidigung hat Revision angekündigt.