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Theater in Ferropolis Theater in Ferropolis: 75 Minuten im Bann

Von Annette Schmidt 31.08.2020, 08:59
Vier Darstellerinnen agieren in „Komme bald“ eindrucksvoll.
Vier Darstellerinnen agieren in „Komme bald“ eindrucksvoll. Sascha Graf

Ferropolis - 75 Jahre lebt die Region in Frieden und es gibt nur noch wenige überlebende Zeitzeugen einer der verheerendsten Kriege der Menschheitsgeschichte. Autor und Regisseur Jens-Erwin Siemenssen interviewte ehemalige Soldaten und Angehörige und verquickte ihre Erinnerungen zu dem eindrücklichen Dokumentartheaterstück „Komme bald“. Über das Wochenende gastierte das Zugtheater „Das Letzte Kleinod“ mit diesem Stück in Ferropolis.

Mit Ehrengast

Unter freiem Himmel saßen die Zuschauer auf Klapp- und Liegestühlen und verfolgten, wie die nur vier Darstellerinnen Elisabeth Müller, Natalia Voskoboynikova, Margarita Wiesner und Regina Winter mit wenigen militärischen Requisiten eine eigene Welt entwarfen. Unter den Zuschauern war auch die als Ehrengast geladene Zeitzeugin Anni Schwarzbrenn, die ihren Vater damals 1949 mit acht Jahren das erste Mal gesehen hatte, als er aus der Gefangenschaft heimkehrte.

Siemenssen erzählt die Erinnerungen chronologisch von der kindlich naiven Begeisterung der Jugendlichen, die danach eifern, wie alle anderen zu sein und stolz die Uniform der Hitlerjugend zu tragen. Von der verwirrenden Musterung und den absurden Drillmaßnahmen der Ausbildung, deren unterschwellige Demütigungen erahnen lassen, dass die Zeit des Spielens vorüber war. Bis hin zu den Schrecken der Kriegsmaschinerie, der sowjetischen Gefangenschaft und der Heimkehr.

Genau wie die fragmentarischen Erinnerungen der Zeitzeugen sind auch die Szenen, die in einer durchgängigen Choreographie vom Ensemble dargestellt werden. Und alle, auch die verstörenden Ereignisse wie das Töten von Pferden oder Katzen, um etwas zum Essen zu haben, werden immer wieder gerechtfertigt mit den Worten, „Uns blieb ja nichts anderes übrig!“ oder „Wir waren Kinder noch“. Man gewinnt bei solchen Sätzen den Eindruck, dass versucht wurde, das Erlebte aus dem Gedächtnis zu streichen und das, was nicht zu streichen war, für sich selbst zu rechtfertigen.

Das Stück kommt ganz ohne Hollywoodeffekte aus, die Zuschauer müssen vieles, das nur angedeutet wird, imaginieren. Es lebt von dem pointierten Spiel der Darstellerinnen, von pantomimischen Einlagen bis hin zum Puppenspiel mit den Pritschen. Doch es ist gerade ihre Mimik, die die Zuschauer in die Szenen zieht. Man mag kaum hinschauen, wenn Natalia Voskoboynikova aus einer Stofftasche ein kleines Knäul bastelt und anfängt zu miauen und Regina Winter das kleine Kätzchen mit einem Knüppel anlockt und vor lauter Hunger isst.

Das Publikum war von der 75-minütigen Vorführung so angespannt, dass es einen Moment brauchte, um zu begreifen, dass das Stück zu Ende war. Dann aber sparte es auch nicht mit dem wohlverdienten Applaus.

Anni Schwarzbrenn war sowohl erstaunt als auch beeindruckt, dass ihre Erinnerung der aufgequollenen Leiber aufgrund der Mangelernährung mithilfe eines Klappbettes umgesetzt wurde. „Ich war wie gebannt von der schauspielerischen Leistung und habe auch Neues erfahren“, so die 79-Jährige.

Theater im Urlaub

Auch Familie Roßner, die zurzeit ihren Urlaub auf dem Campingplatz verbringt, ist voll des Lobes vor allem von der Mimik der Schauspielerinnen, die, wie sie glauben, dass gesamte Publikum gefesselt hat. „Verrückt, mit welch einfachen Mitteln sie gespielt haben. Und dass sie alle Russisch konnten“, sagte die beeindruckte zehnjährige Antonia Roßner.

››Für die letzte Vorstellung am heutigen Montag, 31. August, um 18 Uhr sind noch Karten an der Abendkasse in Ferropolis erhältlich. (mz)