Lernpaten in Gräfenhainichen Lernpaten in Gräfenhainichen: Sieben Wünsche an offen.bunt.anders

Gräfenhainichen - „Eine Barby“, die Augen der vierjährigen Rukaya Al Nassar leuchten, als sie ihren Weihnachtswunsch verrät. Einen Wunschzettel kann sie natürlich noch nicht schreiben, doch auch ihre Mutter wird ihr dabei kaum helfen können. Rukaya ist das jüngste von sieben Geschwistern - fünf Mädchen und zwei Jungen -, die mit ihrer Mutter in einer Drei-Raum-Wohnung in Gräfenhainichen leben.
„Seit Februar 2016 sind wir hier“, übersetzt Randa, mit 13 Jahren die Drittälteste, was ihre Mutter erzählt. Monira Jawad und ihre Kinder kommen aus Syrien. Sie trägt einen anderen Familiennamen, weil es im Islam üblich ist, das jeder - auch nach der Hochzeit - den Namen seines Vaters behält. Die Familie lebte in Deir ez-Zor, der größten Stadt im Nordosten des seit 2011 vom Bürgerkrieg gebeutelten Landes.
Mit der deutschen Sprache tut sich die 33-Jährige schwer. „Ich besuche einen Deutschkurs und fahre jeden Tag mit dem Zug nach Wittenberg. Das ist nicht so einfach“, gesteht sie und freut sich über die Fortschritte ihrer Kinder. Bis auf Rukaya und die sechsjährige Aya, die sich nächstes Jahr auf die Zuckertüte freut, besuchen alle Kinder der Familie Al Nassar die Schule.
30 Mitglieder hat die Gräfenhainichener Interessengemeinschaft offen.bunt.anders, die 2016 mit dem Integrationspreis des Landes Sachsen-Anhalt geehrt wurde. Unter Schirmherrschaft der Volkssolidarität organisieren die Mitglieder Kinder- und Straßenfeste, Sozialflohmärkte und übernehmen Familien- und Lernpatenschaften. Regelmäßig bieten sie Flüchtlingen und ihren Kindern aus sieben Nationen Deutschunterricht an und begleiten sie durch die Hürden der Bürokratie.
Am Wochenende, wenn auf dem Gräfenhainichener Marktplatz zur traditionellen Familienweihnacht eingeladen wird, sind auch die Mitglieder der Interessengemeinschaft offen.bunt.anders wieder mit von der Partie. Wie bereits im vergangenen Jahr, werden am Samstag nach der für 15 Uhr geplanten Eröffnung einige der von der IG betreuten Flüchtlingsfamilien selbst gekochte lukullische Spezialitäten und Naschwerk aus ihren Heimatländern anbieten.
Weitere Infos unter Telefon 0172/7 71 21 50 und im Netz www.offen-bunt-anders.eu
Sie gehen gern, haben dort Freunde. Aber die Sprachbarriere macht allen zu schaffen. „Ohne Anke und den Verein würden wir das kaum schaffen“, gesteht Mona, das älteste der fünf Mädchen. Anke Pacyna von der Interessengruppe (IG) offen.bunt.anders ist die Familienpatin der Al Nassars. Etwa aller 14 Tage kommt sie die Familie besuchen, kontrolliert Hausaufgaben, begleitet die Mutter zu Behörden und Lehrergesprächen und hilft, wenn sonst irgendwo der Schuh drückt.
Hilfe in der Schule
„Leider reicht das bei weitem nicht aus. Wir brauchen dringend mehr Paten für unsere Familien“, gesteht die Gräfenhainichenerin. Eine besondere Qualifikation benötigt man dafür nicht. Die Paten gehen möglichst einmal pro Woche zu den Familien, sprechen mit ihnen Deutsch, kontrollieren die Hausaufgaben und sehen im Hausaufgabenheft nach, ob und was für die Schule benötigt wird.
„Das wäre schon eine große Hilfe. Die Lehrer müssen spüren, dass Bemühungen da sind. Dann haben die Kinder auch in der Schule eine Chance“, sagt Anke Pacyna, die bei den Al Nassars so herzlich begrüßt wird, als gehöre sie zur Familie. „Man bekommt viel zurück. Wenn man sieht, wie sich alle freuen, und das Vertrauen spürt. Da geht einem das Herz auf“, sagt die 47-Jährige und bedauert, dass sie zu wenig Zeit hat.
Neben ihrer Arbeit in Dessau kümmert sie sich mit ihrem Mann Hardo auch um andere Projekte von offen.bunt.anders. Die IG ist nach eigenen Angaben ein bunter „Haufen“, wo jeder anders ist - und sein kann. Offen für alle, die helfen möchten, die Stadt Gräfenhainichen menschlicher zu machen, bieten die Mitglieder Flüchtlingen mehr als nur regelmäßigen Deutschunterricht an.
Treff für sieben Nationen
Besonders beliebt ist das für alle offene Flüchtlings-Café, jeden Donnerstag in der Volkssolidarität. Leute aus sieben Nationen kommen da zusammen, sitzen, quatschen, spielen, lernen und kommen sich näher. „Menschen zusammen- und die verschiedenen Kulturen einander näherbringen - das ist unser Anliegen“, sagt Hardo Pacyna von der seit über zwei Jahren agierenden IG, die derzeit etwa 30 Mitglieder hat, die Hälfte davon „permanent aktiv“.
Auch die Flüchtlinge bringen sich ein. Mit kulturellen Beiträgen und mit lukullischen Spezialitäten aus ihren Heimatländern bei Festen und Projekten. Kostproben gibt es wieder am 16. und 17. Dezember bei der Familienweihnacht mit einem bunten Programm auf dem Gräfenhainichener Marktplatz. „Das war voriges Jahr der Renner“, so Pacyna.
Auch Monira Jawad, deren größter Wunsch eine größere Wohnung in Wittenberg wäre, und ihre Töchter wollen kochen. „Hühnchen mit gelbem Reis und eine arabische Süßigkeit möchte ich gern machen“, schmiedet Randa Pläne. Das Mädchen, das sich vom Weihnachtsmann ein Handy wünscht, möchte Polizistin werden.
Ihre Schwester Mona träumt von einem Motorrad und will später als Apothekerin arbeiten und Mohamed, mit 16 der Älteste, absolviert zur Zeit eine berufsvorbereitende Ausbildung zum Tischler in Wittenberg.
Um Schule und Ausbildung zu schaffen, brauchen vor allem die drei Ältesten, die in Syrien zur Schule gegangen und Arabisch lesen und schreiben gelernt haben, fundierte Deutschkenntnisse. Nur dann haben sie auch eine reale Chance, ihre Wünsche und Träume zu verwirklichen. (mz)