Fernbedienungen aus Gräfenhainichen Fernbedienungen aus Gräfenhainichen: Von der Lausitz bis Fernost im Einsatz

Gräfenhainichen - Der Bungalow duckt sich hinter einem Zaun. Im Gewerbegebiet ist das Gebäude neben dem großen Gelände einer Metallbaufirma fast unsichtbar. Vor der Tür des Bungalows in Gräfenhainichen steht nur der Wagen des Chefs. Mehr Mitarbeiter hat das Ingenieurbüro Müller nicht.
Doch was optisch nicht viel hermacht, bewegt gigantische Massen in Deutschland, Europa und Fernost: Der Elektroingenieur Harald Müller entwirft seit Jahrzehnten Fernsteuerungen für Tagebaugroßgeräte.
Die Daten, die seine Geräte versenden, bewegen Bagger, so groß wie Mehrfamilienhäuser, und Förderbänder, lang wie Straßen.
Ein Arbeitsleben im Tagebau
Mit dem Tagebau war der gebürtige Merseburger bereits zum Anfang seines Arbeitslebens in Berührung gekommen. In den 70er Jahren in der DDR kümmerte er sich um die Rekonstruktion der Tagebaugroßgeräte, wie es damals hieß.
Alte Gerätschaften wie Förderbänder und Bagger wurden ertüchtigt, teils neu aufgebaut und von einem Tagebaugebiet ins nächste verschoben. Viele dieser Projekte hatten gigantische Ausmaße und legten ganze Landstriche lahm - etwa, wenn ein 34 Meter langes Förderband durch die Lausitz fuhr.
Mit der Wende kam dann der große Einschnitt für den Kohletagebau im Osten. Müllers Abteilung wurde liquidiert. „Da habe ich mir gesagt: Wenn du dich im Tagebau schon auskennst, dann machst du da auch weiter“, sagt er. Bagger und Förderband müssen verbunden sein.
Die Verbindung regelt unter anderem das „Not-Aus“ und sorgt für die nötige Synchronität. Die Idee, die Geräte nicht mit einem Kabel, sondern über einen Funkkanal zu verbinden, gab es zwar schon.
Mit Funk hatte das aber noch niemand probiert. In der DDR war das gar verboten. Den als störanfällig geltenden Funkwellen der damaligen Technik wollte man schlicht kein Vertrauen schenken.
Datenfunkverriegelung heißt das Fachwort für die Aufgabe, die Harald Müllers Geräte übernehmen. Die Sender schicken Daten wie Standort, Fördermenge, Grabungstiefe und Stromverbrauch an einen Leitstand. Außerdem wird in unter einer Sekunde ein Not-Aus-Befehl ausgeführt. Eingesetzt wird das System in Deutschland unter anderem bei der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft (Mibrag).
Müller setzte sich Anfang der 1990er Jahre mit der Firma HBC Radiomatic zusammen, später kam die Schildknecht AG hinzu. Bis heute bestehen die Geschäftsbeziehungen. „Ich habe ein sicheres Funknetz entwickelt“, sagt er zu seinen ersten Schritten als Fernbedienungsingenieur. 1991 verband seine Technik das erste Mal einen Bagger und ein Förderband im Tagebau Profen.
„Wahrscheinlich war das sogar die erste weltweit.“ Er feilte weiter an seinem Produkt, verbesserte die Sendestärke. Heute laufen seine Produkte teilweise mit dem aus Handys bekannten Sendestandard Bluetooth - allerdings mit einer industriellen, aufgemotzten Variante.
Auch der Tagebau in Schleenhain im Süden von Leipzig setzte seine Produkte ein. Wenig später arbeitete Müller mit namhaften Firmen wie ABB, Siemens und Actemium zusammen und entwarf Lösungen für deren Maschinen. Seine Funkanlagen fanden ihren Weg nach Polen und Bulgarien.
Neben Unternehmen aus dem Tagebau verkaufte er seine Produkte auch an Kohlekraftwerke. Dort wird der Brennstoff mit dem Zug angeliefert und in Kohlebunker gekippt. In den langen Gräben schieben sogenannte Grabenschöpfer die Kohle ins Kraftwerk. Diese Grabenschöpfer fahren dank Müllers Funktechnik nun zentralgesteuert von einem Leitstand aus durch die langen Gräben. „Heute steuert die ein Arbeiter, vorher waren es zwölf“, sagt der Ingenieur Müller.
Mit der IHK reiste er danach mehrfach nach Südamerika - das war Anfang des neuen Jahrtausends. Brasilien, Chile, Kolumbien und Ecuador. Hier allerdings hatte er Schwierigkeiten, seine Produkte an den Mann zu bringen: „Bei uns wird der Vorteil einer Funkverbindung verstanden. In Niedriglohnländern allerdings weniger.“
Was Müller meint: Wenn Bagger und Förderband bewegt werden, kann es im rauen Tagebaualltag leicht dazu kommen, dass das verbindende Kabel zwischen den Geräten reißt. Für dieses Problem bieten Müllers Sender die Lösung. „In Deutschland bedeutet jeder Produktionsausfall eine Katastrophe. Wenn die Bagger in Brasilien für eine Stunde stillstehen, bis das Kabel geflickt ist, ist der Ausfall nicht so groß, weil die Löhne sehr viel niedriger sind.“
Kohleausstieg - und dann?
Doch warum sind große Firmen auf die Produkte angewiesen, die ein Ingenieur in einem Bungalow in Gräfenhainichen entwirft? „Weil es ein sehr, sehr spezielles Produkt ist“, sagt Müller. Es sei für die Firmen schlicht nicht lukrativ, eigene Funkfernsteuerungen zu entwickeln. Neben ihm und seinen Partnern, sei der Markt recht klein.
Nachdem Müller in Südamerika kaum Fuß fassen konnte, zog es ihn nach Fernost. China ist bis heute neben den Tagebaugebieten in der Lausitz sein Hauptabsatzgebiet. Müllers Visitenkarte hat zwei Seiten. Eine auf Deutsch, die andere auf Chinesisch. In beiden Ländern ist der Gräfenhainichener unterwegs. Einen Techniker zu schicken, kommt für ihn nicht infrage. „Ich nehme meine Anlagen selbst in Betrieb, richte die Antennen aus und teste alles.“
Obwohl Müllers Fernsteuerungen inzwischen auch dabei helfen, Schienenteile für chinesische Züge zu entwickeln - der Kohleausstieg in Deutschland kommt. Was macht er dann? Der 70-Jährige sagt, für einen Nachfolger sehe er kaum eine Perspektive im Tagebau. Aber: Viele ältere Maschinen lassen sich nicht mehr reparieren, weil die Bauteile nicht mehr verfügbar sind. Bis 2038 dürfte es noch genug Aufträge für Müller geben. Und das ist ihm mehr als genug.
(mz)
