Backen hinter Plexiglas Wie Großbäcker Aryzta durch die Corona-Krise kommen will

Eisleben - Saubere Arbeitskleidung anziehen, Hände waschen, desinfizieren: Nicht erst seit der Corona-Pandemie gehören diese Hygienemaßnahmen zu Beginn jedes Arbeitstages für die Beschäftigten des Aryzta-Backwerkes in Eisleben zum Alltag. Doch das reicht nun nicht mehr aus. „Neue Regeln sind hinzugekommen“, sagt Geschäftsführer Heiko Gerling. Mundschutz und Abstand gehörten wie bei vielen Lebensmittel-Herstellern dazu.
Ungewöhnlich ist eine räumliche Trennung. An den teilweise mehr als 100 Meter langen Backlinien standen bisher die Mitarbeiter dicht nebeneinander, um Backwaren in Kisten zu verpacken. Nun trennen mobile Plexiglaswände die Beschäftigten voneinander. „Wir haben die Leistung gedrosselt, damit das überhaupt umsetzbar ist“, erläutert Gerling.
Aryzta trennt die Mitarbeiter - Isolation am Arbeitsplatz
Es ist eine Art Isolation am Arbeitsplatz, die für die Beschäftigten eine zusätzliche Belastung bedeutet. Doch haben die Vorkehrungen einen gewichtigen Grund: Mit 2.000 Mitarbeitern gehört der Aryzta-Standort zu den größten Backbetrieben Deutschlands. Das Unternehmen, das Teil eines Schweizer Backkonzerns ist, stellt sogenannte Tiefkühlbackwaren unter anderem für die großen deutschen Einzelhändler her. In den Supermärkten werden die Brötchen, Croissants und Baguettes nur noch aufgebacken. Damit ist Aryzta aktuell systemrelevant.
Gerling ist in gewisser Weise stolz darauf, in der Produktion „noch keinen Corona-Fall gehabt zu haben“. Dafür wurden jedoch nicht nur in der Herstellung die Prozesse verändert. „Wir haben überall die Kontakte auf das Nötigste minimiert“, sagt der Firmenchef. Als Beispiel führt er die Logistik an: „Die Lkw-Fahrer bleiben bei der Beladung in ihren Fahrzeugen.“ Da habe es bisher täglich sehr viele Berührungspunkte gegeben. Auch Verwaltung und Produktion haben keinen persönlichen Kontakt mehr. „Dafür gibt es jetzt jeden Morgen um 8 Uhr eine Art Lagebericht in den unterschiedlichen Bereichen“, führt Gerling aus.
Geschäft brach durch Corona in: Kurzarbeit für Mitarbeiter
Sorgen bereitet vielen Beschäftigten aktuell wohl nicht nur das Coronavirus, sondern die Auftragslage. Zu den großen Kunden von Aryzta zählen Hotels, Gastronomie und Cateringfirmen. „Das Geschäft ist von einem auf den anderen Tag weggebrochen, wir haben dadurch zweistellige Umsatzrückgänge“, schildert Gerling die Situation. Die Hälfte der Mitarbeiter sei daher in Kurzarbeit.
Relativ stabil verläuft laut Firmenchef das Geschäft mit den Supermärkten: „Die privaten Kunden kaufen mehr ein, doch auch hier verändert sich das Verhalten.“ Waren vor der Corona-Krise vor allem frische Backwaren gefragt, greifen die Kunden nun eher zu abgepackten Produkten. „In Kooperation mit dem Handel werden unsere Backwaren daher nun auch verpackt“, erläutert der Unternehmenschef. In den Auslagen der Backstationen gibt es Brot und Brötchen nun nur noch in Papiertüten. Bei täglich zehntausenden Backwaren bedeute das einen hohen Mehraufwand. Mit anderen Worten: Die Corona-Krise trifft auch systemrelevante Betriebe.
Aryzta Eisleben will ohne staatliche Hilfskredite durch Corona kommen
Gerling hat daher drei Kernziele für den Standort Eisleben: Schutz der Mitarbeiter, Versorgungssicherheit und Erhalt der Arbeitsplätze. Durch die Kurzarbeit wird das Unternehmen finanziell entlastet. Die Aufnahme von staatlichen Hilfskrediten ist nach seinen Worten aktuell nicht geplant: „Wir versuchen, die Krise aus eigener Kraft zu bewältigen.“ Ausschließen will er aber nichts.
Das Unternehmen versucht sich flexibel an die neue Lage anzupassen und bietet daher auch neue Service an. Um die große Lkw-Flotte auszulasten, fährt Aryzta nun unter anderem Waren für einen Eishändler und den Einzelhändler Edeka aus. „Dort gibt es zusätzlichen Bedarf, den wir decken können“, so Gerling. Dass man die Logistik im Haus habe, erweise sich als Stärke.
Pläne für die Zeit nach der Krise bei Aryzta Eisleben
An den Plänen, die kleineren Backwerke im benachbarten Mansfeld (Landkreis Mansfeld-Südharz) und Artern (Thüringen) im Sommer 2020 zu schließen, wird festgehalten. Die Produktion wird teilweise nach Eisleben verlagert. Aryzta hat den betroffenen 200 Mitarbeitern eine Übernahmegarantie gegeben. „Dazu stehen wir auch weiter“, sagt Gerling. Ansonsten gebe es derzeit einen Einstellungsstopp.
Aryzta begründete die Schließungen der beiden Werke damit, dass es im deutschen Backwarenmarkt Überkapazitäten gibt. Durch eine effizientere Produktion in Eisleben erhofft sich das Unternehmen daher Kostenvorteile. Der Schweizer Konzern hatte 2013 das mittelständische Back-Unternehmen Klemme mit mehreren Standorten in Mitteldeutschland übernommen. Seither wurden 100 Millionen Euro in das Eislebener Werk investiert.
Wie stark trifft die Corona-Krise die Bäcker?
Wie schwer die Corona-Krise das Backwerk trifft, wird am Ende vor allem davon abhängen, wann wichtige Kunden wieder ihre Geschäfte aufnehmen können. Unternehmenschef Gerling geht fest davon aus, dass mit der Öffnung der Wirtschaft auch die Aufträge wieder zurückkommen.
„Der Trend zu frischen Backwaren wird anhalten“, sagt er und plant bereits für nach der Krise: „Wir werden die Ausbildungsquote erhöhen“. Aktuelle seien im Werk 120 Azubis beschäftigt. „Das sollen auf jeden Fall mehr werden“, sagt Gerling. Die Förderung des Nachwuchses sieht er als wichtigste Aufgabe, um den Standort langfristig zu entwickeln. Man könnte auch sagen: Es gibt ein Leben nach Corona. (mz)