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Vor 130 Jahren Vor 130 Jahren: Ein Weihnachtsbaum im Schaufenster ist die Sensation

Von Burkhard Zemlin 22.12.2016, 12:00

Eisleben - Wann in Eisleben der erste Weihnachtsbaum in den Wohnstuben Einzug gehalten hat, vermag heute keiner mehr mit Sicherheit zu sagen. Vielleicht um das Jahr 1815, als die bislang kursächsische Lutherstadt im Ergebnis des Wiener Kongresses dem Königreich Preußen zugeordnet wurde, vielleicht aber auch später.

Ende des 18. Jahrhunderts begannen die ersten Familien Weihnachtsbäume aufzustellen

Gustav Lindt, der am 19. Dezember 1924 im Eisleber Tageblatt ausführlich über die Geschichte des Weihnachtsbaums berichtete, wusste darüber leider nichts Konkretes zu sagen. Wir können nur vermuten, dass im 18. Jahrhundert, als sich „die liebliche Sitte des lichterglänzenden Tannenbaums“, wie er es ausdrückt, allmählich in den deutschen Landen verbreitete, das Mansfelder Land davon noch nicht berührt war.

Wann in Eisleben zum ersten Mal ein Weihnachtsbaum vor dem Rathaus aufgestellt worden ist, vermag wohl keiner mit Sicherheit zu sagen. Wahrscheinlich erst nach 1945, bis dahin waren Lichterbäume im Advent nicht gern gesehen. Am 1. Dezember 1933 forderte der Evangelisch-Soziale Preßverband für die Provinz Sachsen: „Keine Weihnachtsbäume vor dem Heiligen Abend!“ Weiter heißt es in dem Schreiben: „In diesem Jahre wird man hoffen dürfen, daß es nicht nur bei vereinzelten Protesten gegen die mißbräuchliche Benutzung des Weihnachtsbaumes bleibt. . . Wir richten deshalb an alle Geschäftsinhaber die Bitte: Stellt keine Weihnachtsbäume in eure Schaufenster! Darüber hinaus ist es unbedingt erforderlich, daß auch die sogenannten ,Weihnachtsbäume für Alle' erst in den Tagen des Festes angebracht werden.“

Der Lichterbaum kam laut Lindt um das Jahr 1780 nach Berlin, 1796 nach Hamburg und 1807 nach Dresden. „Nach Wien gelangte der Christbaum noch später“, schreibt Lindt unter Berufung auf Johann Friedrich Reichardt (1754-1814), der 1808 aus der Kaiserstadt schrieb: „Nicht in einer einzigen der mit bekannten Familien habe ich hier das lustige Aufputzen (des Baumes) gesehen, das bei uns am Christabend in jeder Familie zu finden ist.“

Reichardt lebte seit dem Jahr 1795 in Eislebens Nachbarstadt Halle, wo also der geschmückte Baum, wie er schreibt, 1808 bereits „in jeder Familie zu finden“ war. Da darf man wohl annehmen, dass zu dieser Zeit die Kunde davon auch ins Mansfeldische gelangte und vielleicht sogar hier und da Nachahmung gefunden haben könnte. Doch Aufzeichnungen aus jenen Jahren, die das belegen, gibt es nicht. Als dann auch in Luthers Heimat irgendwann die ersten Familien ihre Stuben zu Weihnachten mit Lichterbäumen schmückten, blieb das dem Chronisten offenbar verborgen oder es war ihm nicht der Erwähnung wert.

Vielleicht dauerte es tatsächlich noch Jahrzehnte, ehe die anderswo längst gebräuchliche Sitte auch nach Eisleben gelangte. Im Jahr 1870 erregte hier ein geschmückter Baum so großes Aufsehen, dass der Lehrer Hermann Pille (1844-1924), den Zeitgenossen als „Eislebens lebendige Chronik“ bezeichneten, darüber berichtete. Er schrieb, dass der Bäckermeister Ludwig Martin in seinem Schaufenster erstmals einen „mit Lichtern und Lebkuchen behängten“ Baum aufgestellt habe. Diese Dekoration muss eine Sensation gewesen sein, denn „jung und alt stand staunend davor und betrachtete das Wunder“, so Pille.

Der „Weihnachtsbaum für Alle“ wurde erst in den 20er Jahren zu einem beliebten Brauch

Unter Hinweis auf diesen Bericht sagte der Heimatforscher Peter Lindner, dass ihm kein älterer Text über einen Weihnachtsbaum in Eisleben bekannt sei. Und er fügte hinzu, dass besagter Bäckermeister Martin sein Geschäft gegenüber von Luthers Geburtshaus in der Halleschen Straße 81 (heute Nr. 2) hatte. Das Haus wurde 1795 als Gasthof „Zum Braunen Hirsch“ genannt, erläuterte Lindner und fügte hinzu, dass Meister Martin das Anwesen 1848 gekauft und danach umgebaut hatte. Ab 1890 führte Louis Schüler die Bäckerei weiter und verkauft das Anwesen 1901 schließlich an die Stadt, die das Grundstück als Bauland benötigte.

Zu dieser Zeit war der Weihnachtsbaum in Eisleben längst selbstverständlich geworden, wenngleich noch keiner daran dachte, vor dem Fest einen solchen Schmuck für die Allgemeinheit aufzustellen. Dieser Brauch begann wohl erst in den 1920er Jahren. Am 23. Dezember 1929 meldete das Eisleber Tageblatt: „Der Magistrat hat auch in diesem Jahre auf dem Altan des Rathauses den ,Weihnachtsbaum für Alle' aufstellen lassen.“ (mz )

In diesem Schausfenster stand im Dezember 1870 ein Weihnachtsbaum.
In diesem Schausfenster stand im Dezember 1870 ein Weihnachtsbaum.