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Süßer See im Wandel Süßer See im Wandel: Skandale Schlagzeilen und Geschichten

Von Wolfram Bahn 26.10.2015, 20:48
Blick aus der Vogelperspektive über den Süße See.
Blick aus der Vogelperspektive über den Süße See. Jürgen Lukaschek Lizenz

Lüttchendorf - Holland in Not: Im Gasthof „Fortuna“ in Lüttchendorf sitzt ein Mann und trinkt einen Kaffee. Er macht einen traurigen Eindruck. Kein Wunder, die Niederlande haben diesmal den Sprung zur Fußball-Europameisterschaft verpasst. Darauf angesprochen, winkt der Mann nur ab. „Unfassbar, was sich die geleistet haben“, sagte er hörbar mit dem typisch holländischen Akzent.
Die Gedanken von Gastwirt Klaus Vandrey gehen in diesem Moment zurück in die Zeit vor 25 Jahren, als er die Gaststätte an der Bundesstraße 80 gerade übernommen hatte. Damals im Jahr der deutschen Einheit haben viele Holländer Rast bei ihm gemacht. „Da ging es immer lustig zu“, erinnert sich der heute 75 Jahre gelernte Kfz-Schlosser. Dafür blieben die Stammgäste aus. Die sollten plötzlich ihr Bier in D-Mark bezahlen.

Klärwerk wird Skandalobjekt

Vandrey hatte zu jener Zeit eine Bürgerinitiative gegründet. Der Bau einer Kläranlage für das Seegebiet schreckte die Bewohner nicht nur in Lüttchendorf auf. Der Standort am Kernersee bei Rollsdorf war genauso umstritten wie die Ausmaße des Klärwerks, das die Firma Steinmann & Ittig aus Nordrhein-Westfalen großzügig geplant hatte. 40.000 Einwohner sollten ihr Abwasser dorthin leiten. Nicht einmal ein Viertel soviel Leute lebten in dem Verbandsgebiet.
Die Kritiker sollten Recht behalten. „Wir konnten aber nur noch Schadensbegrenzung machen“, sagt Vandrey im Rückblick. 20 Jahre hat es gedauert, ehe das „Jahrhundert-Projekt“ abgeschlossen werden konnte. Das Klärwerk musste aufwenig saniert, erweitert und umgebaut werden. Eisleben und Helbra hängen heute mit an der Anlage. Rund 50 Millionen Euro hat alles unterm Strich gekostet.

„Wir hätten manches billiger haben können“, meint Vandrey. Er ist sicher, dass ein Zusammengehen mit dem Querfurter Raum „die Hälfte weniger gekostet hätte“. Bis heute kann er nur mit den Kopf schütteln, wenn er an die mehr als 16 Millionen Euro teure Überleitung denkt, die von Eisleben nach Rollsdorf verlegt werden musste.
Doch dies alles ist nichts im Vergleich mit dem Schicksal, das der weltgrößte Herstellers von Rohmontanwachs in Amsdorf zu erdulden hatte. Vandrey sieht vom Fenster seiner Gaststätte aus den 170 Meter hohen Schornstein des traditionsreichen Unternehmens. Und er ist froh, dass er noch qualmt.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie der Flowtex-Skandal die Region erschütterte.

450 Frauen und Männer stehen dort in Lohn und Brot. Ihre Zukunft hing nach dem Ende der DDR lange in der Luft. Die Mitteldeutsche Braunkohle AG (Mibrag), die den Tagebau nach der Wiedervereinigung betrieb, hatte keine Verwendung für das Montanwerk mit dem betriebseigenen Kraftwerk. Betriebsleiter Günter Stieberitz wollte das nicht einfach hinnehmen. Nach heftigen Auseinandersetzungen im Aufsichtsrat flossen ab 1993 rund 200 Millionen D-Mark in die Sanierung des Werkes. „Es wurde auf bundesdeutschen Umweltstandard gebracht“, erinnert er sich später an diese Zeiten.

Sauna-Dom blieb Wunschtraum

Als Stieberitz und seine Mitstreiter glaubten, man sei über den Berg, schlug 2000 der Flowtex-Skandal zu. Mittendrin stand der badische Unternehmer Manfred Schmieder. Er hatte Romonta 1997 von der Treuhand-Anstalt erworben - und für ein 50-Millionen-Darlehen an eine Großbank verpfändet. Scheinleasing-Geschäfte mit nicht existierenden Bohrsystemen brachten ihn zu Fall und dann auch ins Gefängnis. Romonta geriet in den Strudel eines der größten Wirtschaftsbetrügereien in Deutschland. Der Schaden belief sich am Ende auf rund zwei Milliarden D-Mark. „Das war eine riesengroße Schweinerei, die da abgelaufen ist“, beklagt Vandrey. Er hat den Gerichtsprozess verfolgt und mit den Beschäftigten mitgefiebert.

Zwölf Führungskräfte von Romonta, darunter Stieberitz, kauften der Bank das Unternehmen ab und retteten durch den Coup den Standort und die Arbeitsplätze. Seither kann die Romonta-Belegschaft fast nichts mehr erschüttern. Auch einen gewaltigen Erdrutsch haben sie mit vereinten Kräften inzwischen überwunden. Er hatte im Januar vorigen Jahres den Kohleabbau im Tagebau über ein Jahr zum Erliegen gebracht.
Der Ofen aus ist dagegen schon lange beim „Sauna-Dom“ in Seeburg. Im Umkreis von über 100 Kilometern waren einst die Saunafreunde in die exklusive Wellness-Oase mit direktem Zugang zum See geströmt. Der studierte Kunstwissenschaftler Ulrich Grunewald (59) wollte sich mit der herrlichen Anlage ein Denkmal setzen. Nicht einmal zehn Jahre hat der Traum des „Lebenskünstlers“ gedauert.
Warum das ehrgeizige Projekt gescheitert ist, darüber streiten sich die Gelehrten. In einem autobiografisch gefärbten Buch, das Grunewald verfasst hat, räumt er auch eigene Fehler ein. Er sei zu unbedarft an die Sache herangegangen, lässt er durchblicken. Wie auch immer. Viele Einwohner der Region finden es schade, dass bisher kein neuer Betreiber für den „Sauna-Dom“ gefunden worden ist.

Viel gelernt in 25 Jahren

Dazu zählt Klaus Vandrey. Wie er sagt, könne auch er ein Buch schreiben über das, was er alles im vereinten Deutschland schon erlebt habe. „Dabei musste ich eine Menge Lehrgeld zahlen“, gibt er freimütig zu. So bei einem Vertrag mit einem Busunternehmen. Es wollte Ausflügler zu ihm ins Lokal zum Essen bringen. 3.000 D-Mark hat ihn der Spaß gekostet. „Nicht ein Bus ist gekommen“, beklagt er.
Dafür freut er sich, dass die alte Schweinemastanlage hinter dem Gasthof verschwunden ist. Der Sportverein Eintracht hat dort einen Kunstrasen-Platz errichtet. Das hätte sich Manager Uwe Seemann vor 25 Jahren nicht träumen lassen. Er wurde der „Haseloff des Mansfelder Landes“ genannt. Wegen seiner Ähnlichkeit mit dem US-Schauspieler und Sänger, Eine Schulterverletzung stoppte damals die Karriere des Torwarts.

Die „Toskana des Ostens“

Und beileibe nicht alle, die das Seegebiet „heimgesucht“ haben, seien zweilichtige Gestalten gewesen, räumt auch Vandrey ein. Das würde Philipp Moser vehement von sich weisen. Der Mann aus dem Westen unterhält 130 Hektar Obstplantagen am Süßen See. Er führt damit das Erbe des ehemaligen volkseigenen Gutes „Walter Schneider“ fort. Seit 1992 ist der Obsthof „Am Süßen See“ in Aseleben an der B 80 ansässig. Mit Frau und Kindern fühlt er sich heimisch in der „Toskana des Ostens“.
So nennt Mark Lange, Geschäftsführer der Standortmarketinggesellschaft Mansfeld-Südharz die Region um das „blaue Auge des Mansfelder Landes“. Auch wegen der Weingüter, wie beispielsweise von Rene Schwalbe in Rollsdorf. Das zweite Auge war früher der Salzige See, der aus bergbautechnischen Gründen Ende des 19. Jahrhunderts abgelassen wurde. Die Hoffnung, dass er wieder auftauchen wird, ist schon vor Jahren verflogen. Das Vorhaben ist gescheitert, weil die Europäische Union nicht bereit war, dafür rund 50 Millionen Euro locker zu machen.

Für Lubomir Danailow ist das „Schnee von gestern“. Der 60-Jährige mit bulgarischen Wurzeln betreibt seit vielen Jahren die „Seeterrassen“ an der Uferpromenade in Seeburg. Der umtriebige Veranstaltungsmanager hat „See in Flammen“ kreiert. Das Spektakel zieht jedes Jahr Tausende an. Er hat sein Lokal mit einer 15 Meter langen Glasfront versehen, die den Blick über den See zum Schloss freigibt.
Klaus Vandrey und seine Frau Inge (71) haben auch viel Geld in den Gasthof „Fortuna“ gesteckt, vor allem, um Zimmer für Übernachtungen einzurichten. Im Januar ist der Kredit abbezahlt. Dann soll die 48-jährige Tochter, die jetzt nur die Küche führt, alles übernehmen. Was sich Klaus Vandrey für die nächsten 25 Jahre wünscht: „Dass es friedlich bleibt bei uns und die Flüchtlingskrise nicht weiter ausufert." (mz)

Umstritten: das Klärwerk in Rollsdorf.
Umstritten: das Klärwerk in Rollsdorf.
Lukaschek Lizenz
Angler auf dem See
Angler auf dem See
Lukaschek Lizenz