Sensationsfunde erwartet Sensationsfunde erwartet: Welche Schätze schlummern am Grund des Süßen Sees?

Seeburg - Steife Brise. Hohe Wellen. Auf einmal teilt sich das Wasser. Eine weiße Kappe am Bug kommt zum Vorschein, dann der dunkle Rumpf. „Seacat“ ist trotz widriger Bedingungen souverän aufgetaucht. Die Erkundungsfahrt im Süßen See bei Eisleben ist beendet.
Mission erfüllt. Hinter dem unbemannten U-Boot liegen Fahrten in besonderem Auftrag. Erstmals in Deutschland dürfen Archäologen diese Hochtechnologie nutzen, um nach Hinterlassenschaften der Menschheitsgeschichte zu suchen. Partner ist das Unternehmen Atlas Electronics aus Bremen. Ansonsten stehen dort Lösungen für militärische Aufgaben im Mittelpunkt. Der Fall in Sachsen-Anhalt liegt anders. Was normalerweise zum Aufspüren von Minen dient, hilft hier der Altertumswissenschaft. Hochleistungsbatterien liefern die Energie für bisher nicht mögliche Unterwasser-Ausflüge von bis zu acht Stunden.
Erster Tauchgang im Süßen See blieb ohne Erfolg
„Der erste Test zu Wochenbeginn ging leider schief, das Gerät verließ den programmierten Kurs“, sagt Projektleiter Sven Thomas. Als Ursache vermutet der Experte eine Karambolage mit einem noch unbekannten Gegenstand am Seegrund. Glücklicherweise habe Heiko Schwiegk, Bootsführer vom Wasserrettungsdienst, die havarierte „Seacat“ bald im Schilf entdeckt. Seit ihrer Reparatur verlaufe die Expedition mit dem zwei Meter langen und 150 Kilogramm schweren Tauchroboter aber wie am Schnürchen. Inzwischen sei das gesamte Gewässer mit unzähligen Unterwasser-Aufnahmen dokumentiert. Ihre Auswertung dürfte nach jetziger Schätzung mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen.
Gab es den Süßen See vor 1.000 Jahren noch gar nicht?
Knapp fünf Kilometer lang ist der Süße See, einen Kilometer breit. „Das war nicht immer so“, meint Landesarchäologe Harald Meller. Bereits der erste Überblick vermittle den Forschern eine Chronik wechselnder Uferlinien und unterschiedlicher Ablagerungen.
Einige Annahmen müssten wohl über den Haufen geworfen werden. So steht jetzt die Frage: „War der See vor ein paar Tausend Jahren ausgetrocknet, wir werden das rauskriegen“, sagt Meller. Immerhin wäre diese Überlegung ein Denkansatz, um die ersten Fundstellen erklären zu können. Schon jetzt zeichne sich ab, dass man an mindestens sieben bis zehn Orten unter Wasser großartige Entdeckungen machen könne.
Forscher rechnen mit großen Funden am Grund des Süßen Sees
Mit 50 bis 100 Funden könne sicher gerechnet werden. Wo genau, verrät Meller aus Sorge vor Raubgräbern und Neugierigen nicht. So viel geben die ersten Karteneintragungen aber her: Es kann sein, dass es in grauen Vorzeiten einmal ein Dorf gegeben hat, das heute etwa fünf bis sieben Meter unter Wasser liegt und von einer dicken Schlammschicht bedeckt ist. Hinter vorgehaltener Hand bringen Archäologen auch die Hoffnung zum Ausdruck, dass sich ein seltsamer Steinhaufen in der Mitte des Sees womöglich als urzeitliches Hügelgrab herausstellen möge.
Dort, wo der Rechner bestimmte Verfärbungen des Untergrundes ausweist, müssten ohnehin die Taucher noch einmal genauer nachsehen. Sind es Überreste von ehemaliger Pfahlbauten der Steinzeit-Fischer oder ein mittelalterliches Waffendepot? Möglich ist fast alles.
Schatzkammer Sachsen-Anhalt
Der Grund, so Meller: „Der Süße See liegt inmitten einer der ältesten und reichsten Kulturlandschaften Europas.“ Unter Fachleuten ist seit langen unstreitig, dass Sachsen-Anhalt eine wahre Schatzkammer für Archäologen beherbergt. Und wie sich herausstellt, trifft das auch unter Wasser zu. Erste Hinweise darauf haben Untersuchungen des Arendsees in der Altmark vermittelt. Alfred Reichenberger vom Landesamt für Denkmalpflege erinnert in diesem Zusammenhang an sensationelle Funde wie ein Jahrhunderte altes Boot und aus Weidezweigen geflochtene Fischzäune, seiner Meinung nach tolle Belege für das ungewöhnliche Geschick der Altvorderen.
Neu ist am Süßen See der Umfang der Kooperation von Wissenschaftlern und Technikern verschiedener Disziplinen. Beteiligt sind Spezialisten beispielsweise vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung, die den Archäologen bei der Auswertung der Unterwasser-Aufnahmen helfen. Geht das Konzept auf, sollen deutschlandweit noch andere Seen auf die gleiche Weise in den Fokus gerückt werden. Gedacht ist unter anderem an den Bodensee und den Chiemsee, beide in Süddeutschland. Projektleiter Sven Thomas: „Sachsen-Anhalt aber ist der kreative Vorreiter, wir erleben jetzt schon Science Fiction.“
Hochtechnologie, die die Weltspitze mitbestimmt, sorgt für die hochauflösenden Bilder aus den Tiefen des Süßen Sees und einen vor Jahren noch unvorstellbaren Zeitgewinn. Gebietsreferent Olaf Kürbis, zuständig für den Landkreis Mansfeld-Südharz, sagt: „Ohne den Tauchroboter würde der Süße See archäologisch weiter ein weißer Fleck auf der Karte bleiben.“ Kein Mensch könne innerhalb einer Woche so ziemlich alle Daten eines so großen Gewässers sammeln.
Tauchroboter „Seacat“ ersetzt 100 Taucher
Obwohl die Sichtweite häufig unter einem Meter liegt, liefert „Seacat“ gestochen scharfe Bilder. Das gelingt mit permanent 250 Schall-Impulsen, die auf eine Entfernung von 60 Metern ausgesandt und reflektiert wieder aufgefangen werden. Zeitgleich messen spezielle Instrumente das Erdmagnetfeld - Unterschiede deuten auf das Vorhandensein von Metallen im Boden. Echolot und Kamera runden die Ausrüstung ab. Sensoren und eine computergestützte Steuerung, die im Bug konzentriert sind, halten das unbemannte U-Boot auf dem programmierten Kurs.
Unter günstigen Bedingungen ist das schwimmende Forschungslabor mit sechs Knoten pro Stunde unterwegs. Das ist eine Geschwindigkeit, die an Land manchen Jogger außer Atem kommen lässt: mehr als elf Kilometer pro Stunde. Wer rechnen kann, weiß das als wirtschaftlichen Vorteil zu schätzen. Ein Tauchroboter ersetzt 100 Taucher, so die Faustformel - nun auch in der Archäologie. (mz)