Sachsen-Anhalt-Tag Sachsen-Anhalt-Tag: Vorfreude und Gelassenheit vor dem Sturm

Eisleben - Ein Festgelände so groß wie elf Fußballfelder. 180.000 erwartete Besucher, bei einer Einwohnerzahl von nicht einmal 25.000. Dazu ein 2,5 Kilometer langer Festumzug. Allein diese Zahlen zeigen: Wenn am Freitagnachmittag in Eisleben der 21. Sachsen-Anhalt-Tag beginnt, dann kommt da eine stattliche Aufgabe auf die Lutherstadt zu. Eine Aufgabe, die den Puls langsam, aber sicher steigen lassen dürfte. Oder etwa nicht?
Bei Siegmund Michalski ist überraschenderweise von Nervosität kurz vor dem Start des Landesfestes nichts zu spüren. Entspannt sitzt der Chef des Organisationsteams in seinem Büro im Eisleber Wiesenweg. Er trägt ein dunkles T-Shirt mit aufgestickten E-Gitarren, an seinem linken Ohr blitzt ab und an ein kleiner Ohrring auf. Vor ihm, auf dem Schreibtisch, liegt eine Karte des Veranstaltungsgeländes. Klar, sagt Michalski, die Vorfreude ist da. Und klar, eine gewisse Anspannung, die gehört dazu. Insgesamt sei er aber doch ziemlich gelassen. „Das wird werden“, sagt der 56-Jährige. Zweifel schwingen dabei nicht mit in seiner Stimme.
„Eisleber wissen, wie man feiert“
Wer wissen will, woher sie kommt, diese optimistische Gelassenheit, der muss eigentlich nur aus Michalskis Bürofenster schauen. Denn direkt davor befindet sich ein großes flaches Gelände aus Rasen, Schotter und Asphalt. Hier findet alljährlich der Eisleber Wiesenmarkt statt, mit rund einer halben Million Besucher das größte Volksfest Mitteldeutschlands. Dazu kommen die Frühlingswiese und ein weiterer, gar nicht mal so kleiner Rummel. All diese Veranstaltungen organisiert Siegmund Michalski. Seit nunmehr über 30 Jahren. Das gibt Routine. Und das gibt Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Auch für den Sachsen-Anhalt-Tag. „Wir Eisleber wissen, wie man feiert und Feste organisiert“, sagt Michalski und lacht.
Auch andernorts in der Stadt strahlen die Verantwortlichen vor dem Landesfest vor allem Vorfreude aus. Eislebens Oberbürgermeisterin Jutta Fischer (SPD) sitzt Anfang der Woche gut gelaunt an einem Holztisch im Rathaus, sie spricht über ihre Erwartungen, ihre Lust auf die Feier und den Stand der Vorbereitungen. Draußen, vor dem Rathaus, schlendern derweil Touristen umher, sie knipsen Fotos vom Lutherdenkmal, das im vergangenen Jahr restauriert wurde und mittlerweile wieder wie ein ruhender Pol auf einem mächtigen Granitsockel in der Mitte des Marktplatzes thront.
Sachsen-Anhalt-Tag 2017 in Eisleben
Ruhig waren die vergangenen Monate für die Oberbürgermeisterin indes nicht. Sie war viel auf Achse, hat kräftig die Werbetrommel gerührt für Eisleben und den Sachsen-Anhalt-Tag. Auf offiziellen Terminen, natürlich, aber auch auf etwas andere Art. Mit dem Gerbstedter Schlagersänger Phil Stewman etwa schmetterte sie ein Lied, das dieser eigens für das große Landesfest komponierte.
Da sang die Verwaltungschefin dann: „He jo, herzlich willkommen, Eisleben ist bereit. He jo, rückt einfach zusammen, jetzt kommt unsre Zeit. Denn wer unsere Straßen betritt, dem folgt Geschichte auf jeden Schritt“. Und ihr Wohnhaus, das hat Fischer schon vor Wochen mit Plakaten geschmückt, um die Besucher zu begrüßen. „Es ist toll, dass die Stadt die Möglichkeit hat, sich zu präsentieren“, sagt sie.
Wie aber wird sich Eisleben präsentieren, diese Stadt, die wie das ganze Mansfelder Land über Jahrhunderte vom Kupferschieferbergbau geprägt wurde und dann das durchmachen musste, was oft ebenso sperrig wie verschleiernd Strukturwandel genannt wird?
Wie so häufig gibt es auch auf diese Frage mehr als eine Antwort. Ja, die Zeit, in der der Bergbau gutes Geld in die Stadt brachte, ist vorbei. Unwiederbringlich. Der Niedergang setzte spätestens mit der Wende ein, als das Mansfeld-Kombinat dichtmachte und damit nicht nur tausende Arbeitsplätze in der Region wegbrachen, sondern eine ganze Traditionslinie endete, die lange Zeit ein Gefühl von Zugehörigkeit und Stolz vermittelt hatte. Die Wunden, die diese Entwicklung gerissen hat, sind immer noch nicht gänzlich verheilt.
Das gilt für die Menschen, die damals ein Stück Identität verloren und heute in den Bergmannsvereinen zumindest die Erinnerung an die alte Zeit wachhalten wollen. Das gilt aber auch für die schnöde Statistik: Die Arbeitslosigkeit in Eisleben ist mit 14,9 Prozent nach wie vor sehr hoch, die Einwohnerzahl sinkt, von rund 32.000 im Jahr 1995 auf mittlerweile an die 24 000. Und wie viele andere kleinere Städte leidet auch das Zentrum der Lutherstadt darunter, dass zunehmend alteingesessene Geschäfte schließen. Erst vor einigen Wochen machte am Markt ein Geschäft für Musikinstrumente zu, nach 139 Jahren. Im Schaufenster hing dann statt Gitarren nur noch eine Plastikplane.
Im Schatten von Wittenberg?
Doch das alles ist nur die eine Seite. Und es gibt die andere sehr wohl. So hat sich in Eisleben in der jüngeren Vergangenheit einiges getan. Erst vor wenigen Wochen wurde der modernisierte Bahnhof eingeweiht, ein stattlicher, cremefarbener Bau. Und mit dem Backwarenhersteller Aryzta, der an die 2.000 Menschen beschäftigt, sowie mit kleineren Firmen wie der EWS Schuhfabrik und dem Schulmöbelhersteller Project GmbH gibt es durchaus regionale Unternehmen, die wirtschaftlich erfolgreich sind.
Vor allem aber setzt man verstärkt auf den Luther-Tourismus. Schließlich war es ja Eisleben, wo der Reformator zur Welt kam und starb. Und getauft wurde. Neben Geburt- und Sterbehaus und dem wieder hergerichteten Lutherdenkmal ist es daher nicht zuletzt die über mehrere Jahre aufwendig sanierte Taufkirche Luthers, die Petri-Pauli-Kirche, die aus den vielen Gedenkstätten hervorsticht.
All diese Seiten will man nun zeigen, wenn die Besucher zum Sachsen-Anhalt-Tag kommen, der unter dem Motto „Die Welt zu Gast in Luthers Heimatstadt“ steht. Oberbürgermeisterin Fischer verbindet große Hoffnungen mit dem Fest. Hoffnungen, die weit über die drei Festtage hinausreichen. „Wir wollen den Bekanntheitsgrad der Stadt steigern“, sagt sie.
Man hoffe, dass sich die Gäste wohlfühlen und gerne wiederkommen, dass sie sehen, wie sich die Stadt entwickelt und was sie zu bieten hat. Und dann fügt sie einen Satz an, halb ironisch, halb ernst, der doch ein bisschen was verrät über die Gefühlslage in Eisleben, wo man sich manchmal ein wenig im Schatten der großen Lutherstadt Wittenberg sieht: „Wir haben keine Thesentür, das ist wahr. Aber hier ist immerhin der Geburts- und Sterbeort Martin Luthers.“ Es sei schön, dass an diesem Wochenende alle Augen auf Eisleben gerichtet seien, sagt Fischer. Das habe man sich verdient. „Der Kirchentag war der Höhepunkt für Wittenberg. Der Sachsen-Anhalt-Tag ist unserer.“
Damit das Landesfest auch wirklich zu einem echten Höhepunkt wird, hat man in Eisleben einen Mann wie Siegmund Michalski. Seit mehr als einem Jahr bereite man sich intensiv auf das Großereignis vor, sagt der Cheforganisator mit den kurzen, dunklen Haaren. Organisatorisch werde der Sachsen-Anhalt-Tag eine große Herausforderung, nicht zuletzt, weil sich das Festgelände mit den Ständen, Bühnen und Regionaldörfern durch die ganze Innenstadt ziehe. Das sei ohne Frage ein Unterschied zum alljährlichen Wiesenmarkt.
Und dennoch könne man von den Wiesen-Erfahrungen profitieren, bei Themen wie der Sicherheit etwa oder beim Verkehr. „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden“, sagt er. Da ist sie wieder, die Gelassenheit des Herrn Michalski. (mz)