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Vorboten des Holocaust Gerüchte machten 1921 einem jüdischem Kaufmann in Eisleben das Leben schwer

Vor 100 Jahren wehrte sich in Eisleben der jüdische Kaufmann Benno Goldstein gegen Angriffe des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes.

17.04.2021, 06:30

Eisleben

Am 13. April 1921 trat in Eisleben ein Konflikt zutage, der schon wer weiß wie lange unter der Decke geschmort hatte. Doch jetzt sah der jüdische Kaufmann Jakob Benno Goldstein (1864-1946) wohl keine andere Möglichkeit mehr, als in aller Öffentlichkeit einem Gerücht entgegen zu treten, das der Reputation seines Hauses mehr als abträglich war. Ausgerechnet er, Goldstein, der Inhaber des größten Kaufhauses weit und breit, soll sich mit den Randalierern, die vor Ostern die Geschäfte rings um den Markt geplündert hatten, in irgendeiner Form ins Benehmen gesetzt haben. Anders sei es nicht zu erklären, dass die Goldsteinschen Schaufenster in der Sangerhäuser Straße 1-3 verschont geblieben sind, während ein paar Häuser weiter auf dem Markt sämtliche Scheiben zertrümmert wurden.

Kaufmann Jakob Benno Goldstein gibt eine Erklärung in der Presse ab

Da das Gerede darüber offenbar immer wieder neue Nahrung erhielt, entschloss sich Goldstein zu einer ungewöhnlichen Veröffentlichung im Anzeigenteil der Lokalpresse. Unter der Überschrift „Erklärung!“ teilte er mit: „Da unser Haus bei den stattgefundenen Fensterbeschädigungen und Plünderungen verschont geblieben ist, so wird von gewisser, missgünstiger Seite das Gerücht verbreitet, dass wir einer politischen Partei eine große Summe (die Angaben schwanken von Mark 10.000 bis Mark 100.000) gestiftet hätten, um die Gefahr von uns abzuwenden. Da mit der Weiterverbreitung dieses unwahren Gerüchtes der Zweck verfolgt wird, unser Geschäft in bestimmten Kreisen zu schädigen, so sehen wir uns zu unserem Bedauern genötigt, den Weg der Öffentlichkeit zu beschreiten und hierdurch davor zu warnen, diese unsinnige Verleumdung weiterzusagen. Weder sind von einer politischen Partei Forderungen gestellt worden, noch ist ihr für ihre Zwecke und Ziele etwas gegeben worden.“ Abschließend heißt es: „Wir werden von heute ab jeden Fall, der uns bekannt wird, unterschiedslos gerichtlich verfolgen.“

Diese mit einem dicken Rahmen versehene Annonce dürfte für einigen Gesprächsstoff gesorgt haben, wobei die Unterschrift „A. Goldstein“ am Ende des Textes uns heute fragen lässt, wieso Benno Goldstein die Erklärung nicht unter seinem Namen veröffentlicht hat. Der Heimatforscher Rolf Enke, Autor der Schrift „Familie A. Goldstein und ihre Warenhäuser in Eisleben“, erläutert, dass A. Goldstein der Name des Kaufhauses in der Sangerhäuser Straße war, wobei das „A.“ auf Abraham Goldstein hinweist, Bennos 1878 in Roßla verstorbenen Vater, den Gründer der Firma. Sohn Benno hatte das große Eisleber Kaufhaus 1900 gemeinsam mit seinem Bruder Hermann bauen lassen und führte das Unternehmen sehr erfolgreich.

Gruppenwart des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes reagiert

Aber nach dem von Max Hölz angeführten kommunistischen Aufstand im März 1921 sah er sich plötzlich im Zwielicht. Er wusste zwar genau, aus welcher Richtung die Versuche kamen, ihn mit Max Hölz und dessen in Verruf geratenen Anhängern in Verbindung zu bringen, vermied es jedoch in seiner Anzeige, die von ihm erwähnte „missgünstige Seite“ näher zu benennen. Diese meldete sich tags darauf in Gestalt des 1. Gruppenwarts des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes, Fleischer, zu Wort. Zitat: „In Erwiderung der Sache Goldstein ist es mir und noch vielen Anderen ein ungelöstes Rätsel oder wie man zu sagen pflegt ‚grosses Schwein‘ dass die Firma Goldstein bei den letzten Unruhen hat so leer ausgehen können. Sichere Gewährsmänner bürgen mir dafür, dass Herr Goldstein sich der K. A. P. D. sehr erkenntlich gezeigt hat, und darin der Haken liegt, also an dem Gerücht doch wohl was Wahres ist.“

Goldstein hielt es danach für geraten, den Streit nicht weiter zu befeuern, denn am nächsten Tag ließ er lediglich mitteilen, dass mit Veröffentlichung des Schutz- und Trutzbundes Aufklärung darüber geschaffen sei, „aus welchen Kreisen die törichten Anwürfe stammen“. „Wir verzichten darauf, uns weiterhin mit diesem fanatischen antisemitischen Bund irgendwie zu befassen“, so Goldstein. Daraufhin keilte der 1. Gruppenwart des unter dem Zeichen des Hakenkreuzes agierenden Bundes noch einmal zurück, und zwar so übel, dass Goldstein erwiderte: „Die Absicht, uns mit dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund nicht weiter zu befassen, können wir durch das Verhalten seines Oberhauptes, des Herrn Fleischer, nicht einhalten. Herrn Fleischer und seinen ‚sichern Gewährsmännern‘ soll Gelegenheit gegeben werden, vor Gericht ihre Behauptungen zu beweisen.“ Wie es danach weiter ging, vermag derzeit keiner zu sagen. Die Lokalpresse hat das Thema offenbar nicht weiter verfolgt. Denkbar ist jedoch, dass in Archiven oder anderswo noch Hinweise darauf warten, entdeckt zu werden. (mz/Burkhard Zemlin)