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11. Rathausgespräch in Eisleben 11. Rathausgespräch in Eisleben: Erinnerungen an das "Lutherjahr 1983"

Von Grit-Beate Eisenberg und Wolfram Bahn 02.11.2016, 13:00
Jan Scheunemann (l.) und Klaus Bretschneider beim Fachsimpeln im Saal vor der Lutherstatue
Jan Scheunemann (l.) und Klaus Bretschneider beim Fachsimpeln im Saal vor der Lutherstatue Eisenberg

Eisleben - Das „Lutherjahr 1983“ in der DDR hielt einige Überraschungen parat. Schon, dass die SED-Führung den 500. Geburtstag des Reformators aus Eisleben für sich entdeckt hatte, war eine davon. Im Tauziehen zwischen Staat und Kirche wurde alles genau abgesprochen.

Hiobsbotschaften zur Abschlussfeier beim „Lutherjahr 1983“ in Eisleben

Doch dann ereilten die Organisatoren vom „Lutherjahr 1983“ zur Abschlussfeier am 10. November auf dem Eisleber Markt einige Hiobsbotschaften, an die sich Klaus Bretschneider noch gut erinnern kann. Und die der evangelische Pfarrer im Ruhestand beim 11. Rathausgespräch am Reformationstag zum Besten gab.

Kurzfristig hatte damals Partei- und Staatschef Erich Honecker abgesagt. Sein Stellvertreter im Luther-Komitee, Gerald Götting von der CDU, wurde auf dem Weg nach Eisleben bei Nebel in einen Verkehrsunfalle verwickelt. Und gegen Mittag fingen Polizei und städtische Behörden an, die Zufahrtsstraßen nach Eisleben abzusperren.

Er habe daraufhin sofort seinen Bischof informiert, erzählte Bretschneider, der damals Pfarrer in Eisleben war. Und der habe unverzüglich in Berlin angerufen und damit gedroht, die Westpresse über den Vorfall in Kenntnis zu setzen. „Eine Stunde später waren die Sperren weg“, sagte Bretschneider.

Schon zur Eröffnung des Gedenkjahres zu Luthers Todestag am 18. Februar gab es Verstimmungen. Da wollte plötzlich ein Vertreter der Stadt die versammelte Journalistenschar durch die neue Ausstellung im Sterbehaus führen. „Doch das war gegen die Absprachen“, so Bretschneider. Denn das Gebäude gehörte zwar der Stadt, aber für den Inhalt war die Kirche zuständig. Das regelte ein Vertrag von 1868, auf den die Kirchenoberen in der DDR vor allem im Lutherjahr gepocht haben.

Auch diese Episode, die Bretschneider (Jahrgang 1940) erlebt hat, zeigte, wie angespannt das Verhältnis zwischen den sozialistischen Machthabern und der Kirche war. Und genau darum ging es diesmal bei der traditionellen Runde im voll besetzen Ratssitzungssaal. Denn das Thema, zu dem Oberbürgermeisterin Jutta Fischer (SPD) auch Jan Scheunemann vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie eingeladen hatte, lautete: „Luther in der DDR - zwischen staatlicher Erinnerungskultur und christlichem Bekenntnis.“.

Und der promovierte Historiker ergänzte die Augenzeugenberichte von Bretschneider, der von 1974 bis 1984 eine Pfarrstelle in Eisleben innehatte, mit Fakten und Material aus den Archiven. Dort hatte Scheunemann auch einen Defa-Dokumentarfilm von 1982 entdeckt, den er dem Publikum vorführte.

Rückblicke beim 11. Rathausgespräch in Eisleben

Zuvor hatte das Doppelquartett des Luthergymnasiums die Gäste mit Gesang und Musik aus der Zeit der Reformation auf die Gesprächsrunde eingestimmt. Der 30 Minuten lange Streifen mit dem Titel „Martin Luther“ ließ Erinnerungen lebendig werden, die mancher schon verdrängt hatte. So setzte beim Anblick der bröckelnden Fassaden der Gebäude neben Luthers Sterbehaus allgemeines Gemurmel ein. War das wirklich so schlimm damals? Oder Honeckers Rede, in der er in seiner unnachahmbaren Art mit heiserer Stimme versucht, Luthers Rolle in der Geschichte im revolutionären Sinne der Arbeiterbewegung zu deuten.

Schon in den 1970er Jahren begann der Versuch einer auf die DDR bezogenen nationale Geschichtsschreibung. „Natürlich hatte die SED mit Glauben und Luther nichts am Hut. Aber die DDR-Führung hatte erkannt, dass sich mit Luther etwas zur Reputation machen lässt“, sagte der Historiker, der auch für das jüngste Reformationsprojekt „Luther war hier“ verantwortlich zeichnet.

„Mit dem Festakt zum Kirchentag hatte es sich allerdings ausgeluthert. Da wurde die Sache mit Luther dann zu den Akten gelegt“, so Scheunemann. Immerhin war im gleichen Jahr der 100. Todestag von Karl Marx. Und der durfte ja nicht vom Luther-Jubiläum in den Schatten gestellt werden. (mz)

Der Abschluss des Lutherjahres 1983 vor dem Eisleber Rathaus
Der Abschluss des Lutherjahres 1983 vor dem Eisleber Rathaus
Privat