Zwangsheirat Zwangsheirat: Urlaub ohne Rückflug
Rosslau/MZ. - "Siehst du, Frauen haben keine Rechte." Petra Selka aus Roßlau hat den Satz der jungen Türkin Serap im Ohr, doch sie schüttelt den Kopf. Denn Petra Selka und ihr Mann Andreas wollen, dass Serap und ihrem kleinen Sohn Suat Gerechtigkeit widerfährt: "Beide sind in Deutschland geboren. Hier gehören sie hin."
Dass sich die Wege der heute 24-jährigen Serap mit denen von Selkas im vergangenen Jahr im tiefsten Anatolien kreuzten, das ist Zufall. Im Urlaub lernen die Roßlauer die Hotelangestellte kennen. In einer Gegend, in der eigentlich niemand deutsch spricht. Und nach Tagen erfahren sie eine Geschichte, die sie nicht mehr loslässt, denn "Serap wurde von ihrem Vater in die Türkei verschleppt", ist Petra Selka fassungslos.
Verhängnisvoller Sommer
Geboren in Freudenstadt, aufgewachsen in Baiersbronn ist Serap. Sie besuchte einen katholischen Kindergarten, schließlich die Schule. Nach dem Hauptschulabschluss wird sie Bäckereiverkäuferin. Seraps Eltern stammen aus der Türkei und leben seit 1977 in Deutschland, der Vater arbeitet bei Daimler. Dass jedes Jahr der Sommerurlaub im Land der Vorfahren gemacht wird, ist Tradition.
Doch 2006, Serap ist gerade 18, ist alles anders. Zwar ist ihr Rückflug nach Deutschland gebucht, doch im Flieger sitzt sie nicht. Wie auch - ohne Reisepass, den ihr die Familie entzogen hat? Das Mädchen soll heiraten. Basta. Sie muss bei Oma und Onkel bleiben. Anfang Februar kommt es zu einer Eheschließung, sie erhält ihren Pass zurück.
Zwar ist sie im Sommer 2007 wieder in Deutschland, wird aber vom Vater bedroht, und muss zurückkehren zu ihrem Mann. Im Dezember ist sie erneut in Deutschland. Sie ist schwanger, will wieder im Bäckereigeschäft arbeiten, das aber hat keine Stelle frei. Sie geht zur Arbeitsagentur, beantragt Arbeitslosengeld, doch die Post vom Amt wird sie nie erhalten, vermutlich hat sie der Vater abgefangen.
Söhnchen Suat kommt als Frühchen Ende Januar in Tübingen zur Welt. Er erhält die deutsche Staatsbürgerschaft. Doch das Kind ist krank, die Mutter überfordert, Unterstützung von der Familie gibt es nicht. Wieder muss sie in die Türkei zurückkehren.
Gut zwei Jahre später unternimmt Serap erneut den Versuch nach Deutschland, in das Land, in dem sie aufgewachsen ist, zurückzukehren. Doch in der deutschen Botschaft in Ankara wird ihr im September 2009 der unbefristete Aufenthaltstitel entzogen, denn sie habe Deutschland für einen "erheblichen Zeitraum" verlassen. Der Weg zurück ist versperrt.
Als Selkas in ihrem Urlaub davon erfahren, ist für sie klar, hier muss geholfen werden. Denn das Mädchen, von dem sie mittlerweile als "unsere Tochter" sprechen, kam nicht freiwillig in diese Situation. Es wurde fremdbestimmt von der Familie. "Sie ist Opfer einer Straftat geworden", erklärt Petra Selka, die selbst Mutter zweier Söhne ist. Für die Unternehmerin haben das ihre Recherchen in den letzten Monaten - auch bei Gesprächen mit dem Vater - ergeben.
Zu all dem hatte Serap sie bevollmächtigt. Denn sie will wieder nach Deutschland zurück. "Wir haben uns aber auf etwas eingelassen, dessen Tragweite wir damals nicht begriffen hatten", gesteht Andreas Selka. "Wir dachten, die Behörden müssen uns helfen." Doch statt Hilfe erleben sie Feindschaft. "Dabei wird in Deutschland so viel von Integration gesprochen. Wir brauchen händeringend junge Leute hier - und dann sperren wir sie aus."
Selbst an Bundeskanzlerin gewandt
Bei der Fachstelle Vera in Magdeburg, die Frauen in Notlagen vertritt, finden sie Gehör. Wenn das Kind die deutsche Staatsbürgerschaft habe, dann könnten Mutter und Kind nach Deutschland zurück. "Wir dachten, wir haben sie Weihnachten 2011 hier", sagt Petra Selka. Doch der Antrag auf Familienzusammenführung zum deutschen Kind wird im Dezember 2011 abgelehnt.
Nur Tage später wird der Ausweis des Kindes eingezogen, denn dem Kind wurde die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Serap, so sehen es Selkas heute, wurde dafür unter dem Vorwand, einen Antrag auf Wiederkehr nach Deutschland zu stellen, um ein Visum für einen erneuten Daueraufenthalt zu erhalten, in die Deutsche Botschaft nach Ankara gelockt. "Der Antrag ist bis heute nicht bearbeitet." Es sei nur darum gegangen, an den Ausweis des Kindes zu kommen.
"Nachdem Suat die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen wurde, haben wir uns entschieden , Serap über Weihnachten und den Jahreswechsel zu besuchen, nichts ahnend was die Ausländerbehörde Dessau veranlasste", kann es Petra Selka noch heute nicht fassen, dass Mitarbeiter des Ordnungsamtes Anfang 2012 auf dem Grundstück der Familie in Roßlau waren und Nachbarn befragten.
Auch Polizei soll dabei gewesen sein. Herausgekommen ist das erst, als Selkas nicht mehr alleine weiter wussten und im Frühjahr einen Anwalt einschalteten und Akteneinsicht erlangten. Vergeblich hatten sie sich zuvor an Behörden, selbst an Außenminister Guido Westerwelle, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Reiner Haseloff gewandt.
Dass Mitarbeiter der Dessauer Ausländerbehörde vor Ort waren, begründet das Dessauer Ordnungsamt gegenüber der MZ damit, dass die Familie nicht erreichbar war. Und da die Ausländerbehörde grundsätzlich eine im Rahmen der Visumerteilung durch das Bundesverwaltungsamt zu beteiligende Behörde ist, seien "vorgetragene Einreisegründe und das Vorliegen der Voraussetzungen für eine mögliche Visumserteilung zu recherchieren und zu prüfen". Und so wurden auch Ermittlungen zum Verbleib des Kindes angestellt. Die deutschen Behörden vermuteten es offenbar in Roßlau.
Klage vor Berliner Gericht
Auch ein anderes Erlebnis mit der Behörde macht die Roßlauer Unternehmerin fassungslos, die mit ihrem Mann sämtliche Voraussetzungen erfüllen und Verpflichtungen in punkto Unterkunft und Verpflegung auf sich nehmen will, damit Mutter und Kind nach Deutschland kommen können. Doch die Maßstäbe in ihrem Fall seien höher als üblich angelegt worden. Selbst eine von der Behörde geforderte Arbeitsstelle haben sie für Serap schon. "Dort hat man wohl übersehen, dass wir beide selbstständig sind." Petra Selka hat ein Buchführungs- und ihr Mann ein Versicherungsbüro.
Aus der Akte, die mehrere Behörden über die junge Türkin angelegt haben, erfuhren Selkas auch, dass das Landratsamt Freudenstadt im September 2009 festgestellt hatte, dass Seraps Sohn Suat doch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Die Mutter habe weder über einen gewöhnlichen Aufenthalt noch über ein Aufenthaltsrecht verfügt, was Voraussetzung für die deutsche Staatsbürgerschaft des Kindes wäre. - Und eben das ist die strittige Frage, die jetzt das Verwaltungsgericht Berlin zu klären hat. Seraps deutscher Anwalt hat Klage eingereicht.
Selkas haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Frauen, wollen die Roßlauer der Türkin Serap beweisen, haben doch Rechte.