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Bester Freund: Computer Wie die Pandemie das Seelenleben von Kindern und Jugendlichen in Dessau-Roßlau beeinflusst

Wie die Pandemie das Seelenleben der Kinder und Jugendlichen beeinflusst hat und es noch immer tut, wissen die Mitarbeiterinnen der Familienberatung.

Von Sylke Kaufhold 05.03.2022, 09:00
Mandy Rüdiger, Ines Tannenberg und Yvonne Merker (v.l.n.r.) sind das Team der Erziehungs- und Familienberatungsstelle der Diakonie.
Mandy Rüdiger, Ines Tannenberg und Yvonne Merker (v.l.n.r.) sind das Team der Erziehungs- und Familienberatungsstelle der Diakonie. (Foto: Thomas Ruttke)

Dessau/MZ - Die Corona-Auswirkungen werden zunehmend spür- und sichtbar in den Familien. Sowohl Kindergarten- und Grundschulkinder als auch Jugendliche und die Eltern selbst zeigen zunehmend Belastungserscheinungen. „Vor uns sitzen genervte und ausgebrannte Familien“, weiß Ines Tinneberg von ihrer Tätigkeit in der Erziehungs- und Familienberatung des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Dessau, wo sie vor allem Eltern mit kleinen Kindern berät.

Ihre Kollegin Yvonne Merker berichtet von einer zunehmenden Zahl junger Mädchen mit Essstörungen schon nach dem ersten Lockdown. „Sport im Verein war nicht möglich und weil die Bewegung fehlte, versuchten die Mädchen mit weniger Essen ihre Figur zu halten“, weiß sie aus Beratungsgesprächen. Nicht selten führte dies zum Klinikaufenthalt.

„Aus Angst vor Ansteckung haben sie ihren Kindern verboten, eine Freundin zu besuchen oder mit anderen Kindern zu spielen“

Ebenso zunehmen würden bei den Jugendlichen depressive Phasen, sagt Merker. Freundschaften zerbrachen, weil der persönliche Kontakt fehlte. „Das Quatschen mit der besten Freundin ist im Teenageralter aber ganz wichtig für das seelische Gleichgewicht. Das gab es aber nicht“, so die Erziehungswissenschaftlerin. Zu den vom Gesetzgeber verhängten Beschränkungen seien oftmals noch Verbote der Eltern hinzugekommen.

„Aus Angst vor Ansteckung haben sie ihren Kindern verboten, eine Freundin zu besuchen oder mit anderen Kindern zu spielen. Auch dann noch, wenn es offiziell wieder erlaubt war“, berichten Merker und Tinneberg. Das hinterlasse Spuren und verändere das Sozialverhalten langfristig, sind beide überzeugt. Schon jetzt sei zu beobachten, dass sich die Jugendlichen zurückziehen, weniger aus dem Haus gingen in ihrer Freizeit. Der Computer ist ihr bester Freund.

„Für die Jugendlichen waren es zwei schwere Jahre, sie konnten vieles nicht erleben, was aber wichtig und prägend ist für diesen Lebensabschnitt, wie feierliche Zeugnisausgaben, Abi-Bälle und Schulabschlussfeiern.“ Rat gesucht haben bei Yvonne Merker Jugendliche zwischen zwölf und 21 Jahren. Unbedingt mehr als in Nicht-Coronajahren seien es aber nicht gewesen.

Spuren hat auch das Home-Schooling bei den Kindern hinterlassen

In der Tat spiegelt sich das Coronajahr 2021 in der Statistik der Beratungsstelle nicht wider. 258 Fälle haben die drei Mitarbeiterinnen im zurückliegenden Jahr begleitet. Das sind nur sieben mehr als 2020, dem ersten Coronajahr. „Wir haben seit Jahren einen kontinuierlichen Anstieg an Klienten“, erläutert Beratungsstellenleiterin Mandy Rüdiger. Die Gründe dafür seien vielfältig, liegen wohl auch darin, dass Beratung gesellschaftsfähiger geworden ist. „Eine Beratungsstelle aufzusuchen wird nicht mehr als persönliche Schwäche gesehen.“

Spuren hat auch das Home-Schooling bei den Kindern hinterlassen, wissen die Beraterinnen. Hier sei es häufig zu Konflikten mit den Eltern gekommen, die sich plötzlich in der Rolle des Lehrers sahen und überfordert fühlten - und zudem oft selbst mit den Herausforderungen des Homeoffice kämpften. Im Frühjahr 2021 seien erste Schulverweigerungen Thema geworden. „Die Jungen und Mädchen hatten gemerkt, dass sie den Anschluss verpasst haben und flüchteten vor dem Problem“, so Merker.

Nicht nur für Kinder, auch für deren Eltern wurde die Pandemie mit fortschreitender Dauer zur Belastung

Einig ist sich das Team um Mandy Rüdiger, dass die Kinder und Jugendlichen ab dem zweiten Coronajahr „absolut nicht mehr mitgenommen wurden“. Sie seien lediglich Ausführende von Regelungen, die sich zudem noch ständig änderten, erklärt Rüdiger. Dass damit ihr Alltag stark beeinflusst wurde und wird, interessierte nicht. „Besonders für kleine Kinder sind solche ständigen Veränderungen eine echte Herausforderung, denn sie brauchen Beständigkeit“, ergänzt Yvonne Merker, die zudem die fehlende oder falsche Begleitung durch Erwachsene beklagt.

Nicht nur für Kinder, auch für deren Eltern wurde die Pandemie mit fortschreitender Dauer zur Belastung, stellte sie im Laufe der Zeit auch als Paar vor Herausforderungen. Jeder hatte weniger Freiraum durch die Beschränkungen, durch Home-Schooling, Homeoffice oder Quarantäne saßen Familien sozusagen fest. „Da wirkt die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger, wurden Probleme, die es auch vorher schon gab, wie unter einem Brennglas sichtbar“, sagt Mandy Rüdiger.

Rat und Hilfe, wenn es in der Familie knirscht

Die Erziehungs- und Familienberatung des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Dessau steht Eltern, Kindern, Jugendlichen, Paaren und Schwangeren mit Rat und Tat zur Seite. Ansprechpartnerinnen sind Mandy Rüdiger (Leiterin der Beratungsstelle), Ines Tinneberg und Yvonne Merker. Sie beraten bei Fragen zur Erziehung, Bewältigung von Trennung und Scheidung, Schwierigkeiten zwischen Eltern und Kindern, psychosomatischen Beschwerden, persönlichen Konflikten, Auffälligkeiten im Sozialverhalten des Kindes, Entwicklungsverzögerung, Beziehungsgestaltung innerhalb der Familie und anderen Themen.

Die Beratungsstelle befindet sich in der Georgenstraße 13-15. Sie ist telefonisch erreichbar unter 0340/2605534 oder per Mail: [email protected]. Geöffnet ist Montag und Mittwoch von 8 bis 16 Uhr, Dienstag und Donnerstag von 9 is 18 Uhr sowie freitags von 8 bis 12 Uhr. Eine vorherige Terminvereinbarung ist erforderlich. Die Beratung ist kostenfrei.