1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Was wird aus Gemeindearbeit? Immer mehr Kirch-Gemeinden in Dessau-Roßlau verlieren ihre Pfarrer

Umbruch am Altar Was wird aus Gemeindearbeit? Immer mehr Kirch-Gemeinden in Dessau-Roßlau verlieren ihre Pfarrer

19.02.2022, 14:00
Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch in der Auferstehungskirche.
Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch in der Auferstehungskirche. (Foto: Thomas Ruttke)

Dessau-Roßlau/MZ - ACT - das ist eine neue Formel in der Dessauer Kirchenlandschaft. Es ist das Kürzel für den Verbund aus Auferstehungsgemeinde, Christusgemeinde und Trinitatisgemeinde. Insgesamt drei Kirchengemeinden mit sechs Kirchen im Dessauer Westen gehören ihm seit dem 1. Januar 2022 an.

Zwei Geistliche, eine Kirchenmusikerin, eine Gemeindepädagogin und viele Ehrenamtliche sind für Gläubige im Einzugsbereich von Groß- und Kleinkühnau über Ziebigk und Siedlung bis nach Alten und Kochstedt zuständig. Das soll helfen, weiterhin Strukturen und Angebote in schrumpfenden Gemeinden vorzuhalten.

Im Gespräch mit Danny Gitter erläutert die Dessauer Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch, wer demnächst mit wem kooperiert, wo die Herausforderungen in den neuen Strukturen liegen und wie sich Kirche verändern muss.

Welche Herausforderungen ergeben sich für die Gemeinden im Verbund?

Friedrich-Berenbruch: Die Gemeinden bleiben selbstständig, nehmen aber bewusst und verstärkt die Angebote in der Verbandsgemeinde wahr und lassen sich dazu einladen. Manche Angebote wird es nicht mehr überall geben - und die Verantwortung für die Ehrenamtlichen in den Gemeinden wird sicher zunehmen. Am hauptamtlichen Personal ändert sich zurzeit noch nichts. Ab 2023 gehen wir von einer Verstärkung auf einhundertprozentige Anstellungen vor allem in der Kirchenmusik, Gemeindepädagogik und in der Verwaltung aus.

Welche Vorteile hat der Verbund?

Es können neue, gemeinsame Angebote entstehen, mit denen wir mehr Menschen ansprechen und die frohe Botschaft des Evangeliums leuchten lassen können. Vereinte Gruppen werden stärker als vorher einzelne Kreise. Die Begleitung der Gemeinden durch hauptamtliche Mitarbeitende sollte durch das Verbundsystem gestärkt werden.

Für scheidende Pfarrer in Dessau-Roßlau rücken kaum Nachfolger nach. Ist der Pfarrberuf ein Auslaufmodell?

Auf keinen Fall. Doch angesichts rasant schrumpfender Mitgliederzahlen und sinkender Einnahmen muss das Personal im Pfarrdienst zum einen reduziert werden. Zum anderen hat sich das Berufsbild stark verändert. Außerdem passt die lebenslange Bindung an den Beruf des Pfarrers, die mit Berufsbeginn angestrebt wird, oft nicht mehr mit der Vorstellung von Freiheit und Flexibilität zusammen, die junge Menschen haben. Zu guter Letzt ist Pfarrer zu sein nicht nur ein Beruf, sondern auch eine Berufung.

Ist neben dem Verbund im Dessauer Westen ein weiterer geplant?

Auch in der Innenstadt mit der Gemeinde Waldersee und in der Evangelischen Gemeinde an der Mulde mit der Gemeinde St. Peter und Kreuz in Dessau-Süd wird derzeit daran gearbeitet, weitere Gemeindeverbände zu bilden. Mildensee, Kleutsch und Sollnitz orientieren sich mehr in Richtung Oranienbaum und Wörlitz. Ein eigener Bereich sind die Gemeinden nördlich der Elbe, die aus historischen Gründen nicht zum Kirchenkreis Dessau, sondern zum Kirchenkreis Zerbst gehören. Sie bilden schon seit einiger Zeit einen Verbund in der Region Roßlau-Weiden.

Wie haben sich zuletzt die Mitgliederzahlen verändert?

In Dessau-Roßlau gab es 7.170 evangelische Gemeindeglieder im Jahr 2021 gegenüber 7.367 im Jahr 2020. Ein besonders starker Rückgang ist eigentlich nirgendwo zu verzeichnen. Die Zahlen sinken aber kontinuierlich in so gut wie allen Gemeinden. In der Auferstehungsgemeinde Siedlung-Kleinkühnau und in Rodleben ist die Mitgliederzahl stabil.

Ein Grund für stark schrumpfende Gemeinden in der Doppelstadt ist die Überalterung der Mitglieder. Was können die Gemeinden tun, um für junge Menschen attraktiv zu sein?

Ich mag das Wort „Überalterung“ nicht. Es wertet ältere Menschen ab, die zum Teil ihr Leben lang und auch in der schwierigen DDR-Zeit an ihrer Bindung zur Kirche und an ihrem Glauben festgehalten haben. Die Gründe für den Rückgang der Mitgliederzahlen sind vielfältig - neben der Demografie gehören dazu unter anderem die Abwanderung und leider auch Austritte.

Es gibt für Kinder und Jugendliche zahlreiche Angebote, von der Christenlehre bis zum Kinderchor und von der Konfirmandengruppe bis zur Evangelischen Jugend. In der Tat ist es besonders schwierig, Jugendliche mit kirchlichen Angeboten zu erreichen. Mit der Jugendkirche Anhalt in Großpaschleben, der Kletterkirche „getragen wagen“, den evangelischen Kindergärten und Grundschulen in Anhalt haben wir aber tolle überregionale Angebote.

Wie könnten sich die Gemeinden durch veränderte Ansprüche an Glauben und Gemeinschaft der jungen Generation in den nächsten Jahren verändern?

Dass Menschen von der Geburt bis zum Tod der Kirche eng verbunden sind, ist längst eher die Ausnahme. Wichtig insbesondere für junge Menschen, sind Vorbilder oder Orientierungsmöglichkeiten. Es liegt wohl ganz wesentlich auch an uns Älteren, die Jüngeren freundlich und einladend zu begleiten und von der Kraft des Glaubens an Jesus Christus zu zeugen! Vielleicht müssen wir Menschen stärker in ihrer besonderen Situation wahrnehmen und in ihrer spezifischen Lebensphase, auch in ihren Zweifeln und in ihrem Suchen für sie interessant sein und gute Angebote zur Begleitung vorhalten. Gerade junge Leute engagieren sich eher für ein bestimmtes Projekt, das sie gut finden, oder suchen die Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Auch für sie muss Kirche – über den regulären Sonntagsgottesdienst hinaus - Angebote haben.